Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler

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Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz - Christoph Heizler


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den „Zeitindex“ in aller theologischer Rede: „Nicht bei den Vorsokratikern, sondern in den eschatologisch-apokalyptischen Theodizeelandschaften der Bibel wäre der epochalen Frage nach ‚Sein und Zeit‘ und nach der Temporalisierung der Metaphysik nachzugehen. Dann ließe sich auch verlässlichere Auskunft geben über die Nähe und Ferne Gottes, über seine Transzendenz und seine Einwohnung, über das ‚Schon‘ und ‚noch nicht‘ seines Heils – beides jeweils nicht etwas zusammengerückt, sondern das eine im anderen und als das andere. Doch obwohl, wie gesagt, alle theologischen Seinsaussagen mit einem Zeitindex versehen sind, ist in der Theologie selbst kaum etwas so wenig ausgebildet, wie ein authentisches, ein ungeborgtes Verständnis von Zeit.“214

      Der von Metz postulierte Zeitindex wird greifbar im Geschehen von Erinnerung und Hoffnung, zumal in apokalyptischen Traditionen der Bibel: „Die Apokalypse biblischer Traditionen, so schwer sie für uns heute in der Tat zu vermitteln ist, ist keine nervöse oder neugierige Berechnung des Zeitpunkts vom Ende der Welt, sondern ein Wahrnehmen der Welt im Wissen um ihr Ende. Ich meine, daß die mit apokalyptischer Schärfe entwickelte Eschatologie die eigentliche, auch kulturell beschreibbare Mitgift des biblischen Geistes ausmacht. […] Umgehen mit dem Ende heißt ja nicht Resignation. Resigniert wird der Mensch vielmehr dann, wenn er vermutet, daß es überhaupt kein Ende mehr gibt. Wenn er also in seinem Lebensgefühl davon ausgeht, daß er und überhaupt alles hineingerissen ist in das Gewoge einer anonymen, endlosen Weltzeit, die schließlich jeden von hinten überrollt wie die Flut das Sandkorn am Meer.“215 Dieser Zeitindex steht, mit Johann Baptist Metz gesprochen, für den Einbruch der unverfügbar anderen Zeit Gottes, die in das menschliche Leben als „vertikale Unterbrechung“216 einfällt und dort eine apokalyptisch gedrängte, auf das baldige Kommen Gottes gerichtete Virulenz freisetzt.217 Dieses apokalyptische Zeiterleben und -verstehen bewegt den Fundamentaltheologen durchgängig: „Und ich schließe diese Überlegungen mit ihr“, nämlich der Apokalyptik, „ab, weil sie mich über die Jahre beschäftigt hat, weil sie gewissermaßen Saum meines theologischen Entwurfes bildet, ohne daß ich je überzeugend und konsistent von ihr zu reden gelernt hätte.“218

      Einer Besinnung auf das Gebet kommt insofern grundlegende Bedeutung zu, als dieses eine Sprachgestalt219 ist, in der der leidende Mensch seine Subjektwerdung erfährt, die sich einer Systemeinholung verweigert, was jedoch in modernen Gesellschaftssystemen zunehmend drohe.220 Im denkend-betenden Vollzug, auch dem der Sprachlosigkeit, wird dieses Systemdenken unterbrochen und das hoffnungsbetonte Ausgerichtetsein auf Gott zur Praxis. Metz sieht somit in der Sprachlosigkeit eine fundamentale „Unterbrechung“. In dieser Kategorie findet er eine Kurzformel für das, was mit Beten gemeint ist: „Genau das habe ich gemeint, daß ein Stück Sprachlosigkeit zu wünschen wäre. Die Spracharmut, ja, die haben wir zwar als gefühlte, aber die wirkt so, wie wenn man durch den Wald läuft und aus Angst pfeift. So wird bei uns weitergeredet aus Angst, daß man in die Grube der Sprachlosigkeit fallen könnte. Dadurch wird meines Erachtens in unserer Gebetstradition gerade eine der großen und, wie ich meine, für uns heute wichtigen Traditionen des Betens immer wieder verdeckt: jene Tradition nämlich, die uns z.B. lehrt, daß Beten zunächst nicht eine rasche Überwindung von Angst ist, sondern erst einmal Zulassung von Angst; daß Beten nicht immer ein Gesang der Seele ist, sondern gar oft ein sprachloser Schrei. Für mich ist die kürzeste Definition von Gebet ganz einfach: ‚Unterbrechung‘, Unterbrechung aller Plausibilitäten, in denen wir leben, und das macht zunächst einmal – sprachlos.“221

      Betend manifestiert sich so eine bestimmte Kultur des Umgangs mit Zeit und zugleich eine bestimmte Gottesauffassung, nämlich einer, bei der Gott ein Geheimnis bleibt, dem mit der Erwartung der Rettung begegnet wird. Mit Blick auf die Gebetssprache222 führt Metz in diesem Sinne aus: „Sie verurteilt den unaussprechlich Angesprochenen nicht zur Antwort, nicht zum vertraulichen Ich-Du. Sie ist keine Unterhaltungssprache. Sie kann weder als Dialog noch als Kommunikation in dem uns vertrauten Sinn beschrieben werden, kann also weder diskurstheoretisch noch kommunikationsphilosophisch durchschaut werden. Sie bleibt die Heimstatt negativer Theologie, bleibt praktiziertes Bilderverbot, bleibt wehrlose Weigerung, sich von Ideen oder Mythen trösten zu lassen, bleibt Gottespassion, sehr oft nichts anderes als ein lautloser Seufzer der Kreatur. Oder, um es nun doch mit einem von Rahner häufig gebrauchten Wort zu sagen: ein Schrei nach dem Licht Gottes.“223 Die Grundanliegen von Johann Baptist Metz aufnehmend, versucht die vorliegende Studie in einer betonten Besinnung auf den geschichtlichen Standort und die in der Biographie der Edith Stein überdeutlich erkennbaren leiderfüllten Momente zu achten. In diesem Sinne sieht sich die angestrebte Darstellung des Gebets bei Edith Stein dem Metzschen Programm einer in seinem Verständnis „nachidealistischen“ Theologie nahestehend. Die Aufnahme der Beiträge von Johann Baptist Metz stellt auch den Versuch dar, der Dimension des Zeitlichen in den Gebetsäußerungen der Edith Stein zu entsprechen, die ein von apokalyptischem Welterleben gefärbtes Kolorit klar erkennen lassen. So wird entsprechendes Zeiterleben sehr deutlich im geistlichen Text „Tabernaculum dei cum hominibus“224 artikuliert oder auch im Beitrag zur Gelübdeerneuerung „Braut des Lammes“225, sowie in den Gedichten „St. Joseph, sorg!“226 und „O hohe Mutter, dich umkleidet“.227 In allen genannten Belegstellen, die exemplarisch für weitere stehen, nimmt Edith Stein vielfältig Bezug auf Stellen der Offenbarung des Johannes. Sie bringt ihr sehnsuchtsvolles Erwarten ins Wort, mit der sie nach der offenbaren Präsenz des endzeitlichen Christus Ausschau hält, dessen Kommen erwartet wird. Der Mensch in seiner Verfasstheit als zwischen Bedrängnis und Sehnsucht auf Rettung und Erlösung ausgespannte Existenz wird von ihr somit durchgängig und in verschiedenen literarischen Gattungen konturiert.

      Die vorliegende Studie versucht vor dem Hintergrund des Dargelegten, dem Geheimnis des Abgründigen zu entsprechen, das sich in der Tragödie der Shoa geschichtlich unhintergehbar manifestiert hat, und das als Irritation und Vor-Gabe nicht mehr aus der Theologie zu entfernen ist. Eine Gebetstheologie des 21. Jahrhunderts, die dessen eingedenk bleibt, ist in einem wertvollen Sinne traditionell, weil sie das geschichtlich Überkommene nicht ignoriert, sondern als geistlich zu entschlüsselnden Fingerzeig in die Gottesrede integriert und diese davon orientieren lässt – und zwar besonders orientieren lässt von der Sprachgestalt der Gebete der Opfer. Bei allem, was zur Gestalt des Betens bei Edith Stein im folgenden formuliert wird, und was bei der Auslegung der geistlichen Texte Edith Steins ins Wort kommt, mögen diese grundlegenden Überlegungen in Erinnerung bleiben.

      183 Waaijman, K.: Handbuch der Spiritualität. Formen, Grundlagen, Methoden. Band 3: Methoden, Ostfildern 2007, S. 74.

      184 Vgl. ihre Übersetzung der quaestiones disputatae de veritate des Thomas von Aquin (ESGA 23 und 24) und ihre anthropologischen Entwürfe in „Was ist der Mensch? Theologische Anthropologie“ (ESGA 15).

      185 Vgl. ESGA 11/12.

      186 Gerl-Falkovitz, Unerbittliches Licht, S. 165.

      187 Vgl. Schärtel, T.: Artikel „Entelechie“, in: Franz, A./Baum, W./Kreutzer, K. (Hg.): Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie, Freiburg 2003, S. 112–113, hier S. 112.

      188 Vgl. ESGA 11/12, S. 206. Entsprechend formuliert Edith Stein mit Blick auf Aristoteles und das Ziel, das die Ursache einer Bewegung ist: „das Bewegte strebt nicht nur darauf zu, sondern wird dadurch in Bewegung gesetzt, gleichsam von dort aus gezogen.“ (ebd. S. 212). Zur Verwendung und Bedeutung des Begriffs Entelechie bei Edith Stein vgl. Müller, A. U.: Grundzüge der Religionsphilosophie Edith Stein, Freiburg 1993, S. 258–277, sowie Knaup, M.: Artikel „Entelechie“, in: Edith Stein-Lexikon, herausgegeben von Marcus Knaup und Harald Seubert unter Mitwirkung von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Martin Hähnel und René Raschke, Freiburg 2017, S. 99–101.

      189 Hemmerle, K.: Die geistige Größe Edith Steins. in: Elders, L. (Hg.): Edith Stein. Leben, Philosophie, Vollendung, Würzburg 1991, S. 275–290, hier S. 281.

      190 Vgl. Dobhan, U.: Edith Stein die Karmelitin, in: Edith-Stein-Jahrbuch 12 (2006), S. 75–124, hier S. 80.

      191 Vgl. Schandl, Ich sah aus meinem Volk die Kirche wachsen, S. 86–87.

      192


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