Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler

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Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz - Christoph Heizler


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Urs von Balthasar bemerkt auch Martha Zechmeister: „Denn so sehr die Theologie Balthasars als ‚geschichtliche‘ und ‚theodramatische‘ entworfen ist, so legt sie doch diese ‚Gottes-Geschichte‘ und dieses ‚Gottes-Drama‘ so aus, daß sie kaum von der Gebrochenheit und Katastrophizität der Weltgeschichte affiziert ist.“317

      Die Gefahren solcher theologischen Ansätze bestehen für Metz schon darin, dass die in der biblischen Gebetssprache sich überdeutlich zeigenden Kategorien der „Frage“ und der leidgespannten „Klage“ als Ausdruck theologischer Rede grundlegend depotenziert werden, wo jedwedes Leid in der Gestalt Jesu Christi schon systematisch integriert gesehen und innergöttlich in trinitätstheologischer Perspektive „verewigt“ wird. Metz sieht das am Werke, wo Autoren geneigt sind, „mit explizit trinitätstheologischen Motiven“ die Theodizeefrage „auf eine innergöttliche Geschichte hin zu durchschauen und zu beschreiben“.318 Diese Tendenz erblickt er auch beim Basler Theologen: „[…] auf katholischer Seite vor allem bei Hans Urs von Balthasar […] spricht man vom leidenden Gott, vom Leiden zwischen Gott und Gott, vom Leiden in Gott. Ich kann mich nicht anschließen.“319

      Tatsächlich sieht Balthasar bei Jesus Christus eine alle menschliche Verlassenheit grundlegend und qualitativ übersteigende „Gottverlassenheit, zu der er allein als der Sohn fähig ist, und die jede mögliche Hölle quantitativ unterfaßt“.320 Für Balthasar ist diese radikale Differenz allerdings begründet und situiert in der „innertrinitarischen Differenz zwischen Vater und Sohn“321 und ein Moment am umfassenden Heils- und Erlösungswillen Gottes, das der Basler Theologe nahe bringen will. Diese innergöttliche Trennung sieht Balthasar in soteriologischer Perspektive wirksam bei der Frage, wie die Qualität von „Hölle“ als gesteigerter Gottesferne überwunden werden kann, „nämlich nur an diesem Ort innerhalb der Differenz der Hypostasen“.322 Die Entfernung zwischen „Vater und Sohn weitet sich, um der Überwindung der ‚Hölle‘ in den trinitarischen Relationen willen, gleichsam in einer letzten Überdehnung: Gott – der Sohn – sucht in der letzten Finsternis der Sünde Gott – den Vater.“323 Balthasar kann daher jedes negative Moment der Geschichte und der Sünde als in der „innersten Positivität des trinitarischen Lebens“ bereits überwunden und „aufgehoben“ ansehen.324 Dort erblickt er ein Geschehen der innergöttlichen Selbstverherrlichung: „der Gang der Liebe ‚bis ans Ende‘ (Joh 13,1) ist als solcher Selbstverherrlichung.“325 Wo jedoch jedwedes menschliche Leid im Hiatus zwischen dem göttlichen Sohn und dem ewigen Vater innertrinitarisch situiert und von daher in seiner Perspektive schon total überwunden und erlöst angesehen wird, da werde Metz zufolge326 dem Abgründigen des menschlichen Leids nicht entsprochen und auch der Schrei Jesu Christi am Kreuz überhört. Metz befürchtet, dass dadurch die innere Virulenz des in der Klage sich manifestierenden Gebetsgeschehens auf diese Weise entschärft wird, dass diese Virulenz gleichsam in Gott „aufgehoben“ und dadurch in ihrer schmerzlichen Schärfe verdeckt wird. Dabei sieht er gerade im „Schrei“327 diejenige Anrede an Gott, die um seine baldige Initiative zur Rettung ruft und die den Horizont einer leidvoll gespannten Erwartung seines machtvollen Kommens immer neu wachhält. Dem gegenüber sieht er ästhetisierende Entwürfe in der Tendenz, sich gegen das menschliche Leid zu immunisieren und es zu integrieren, statt sich von ihm fundamental irritieren und unterbrechen zu lassen. Er sieht eine fatale Entspannung am Werke, wo es um das Gegenteil, nämlich eine apokalyptische Zeitsensibilität und eine gespannte, entsprechende Aufmerksamkeit gehe. In verdichteter Form fasst Maria Zechmeister zusammen: „Den zerstörten Antlitzen standhalten – und Gott-vermissen. Auf diese kürzeste Formel kann wohl die Karsamstagserfahrung im Kontext neuer Politischer Theologie gebracht werden.“328

      Dieser von Metz durchgängig aufgeworfenen Anfrage an in sich geschlossene, theologisch-ästhetisch formierte Gedankengänge möchte sich die vorliegende Untersuchung stellen und in ihrem Duktus darauf Bezug nehmen. Das Anliegen dabei ist, die Darstellungsweise und theologische Begrifflichkeit Balthasars im Rahmen seines Gestaltverstehens so aufzugreifen, dass die genannten Gefährdungen möglichst vermieden werden. Nur wo es gelingt, die Gestalt des Betens der Edith Stein aufzuweisen, ohne dabei das Ersticken ihrer Stimme in Auschwitz vom Duktus der eigenen theologischen Darstellung her zuzudecken oder auszublenden, kann die Aussicht bestehen, eine Rede von der ‚Gestalt‘ ihres Betens im Munde zu führen, die nicht inadäquat wird. Wo der Versuch unternommen wird, die an Edith Stein aufscheinende Gebetsgestalt zu konturieren und aus sinndeutenden Horizonten zu erschließen, dort soll der Gedanke an die Brüchigkeit im Sinn bleiben, die dem Kapuziner Thomas Dienberg zufolge alle theologische Sprache und auch das Gebet nach Auschwitz auszeichnet. Er schreibt: „Die Sprache nach Auschwitz ist gebrochen, das Gebet nach Auschwitz ist gebrochen.“329 Eine Skizze der Gebetsgestalt unserer Autorin kann daher nur so gezeichnet werden, dass jener Bruch als geschichtliche Erschütterung die ausführende Hand des Zeichners berührt und dass diese Berührung in aller Darstellung von Gebetsmomenten der Edith Stein untergründig wirksam bleibt.

      In der Formulierung „kirchliche Existenz“ ist eine Verbindung von zwei mit Bedeutung gefüllten Wortfeldern geschaffen. Dadurch entsteht ein neuer semantischer Bedeutungsraum. Dieser ermöglicht, das Beten des Menschen Edith Stein zum einen raumzeitlich und zugleich geistlich zu verorten – im umfassenden Raum der Kirche. Zum anderen kann das Gebet als Ausdruck einer geschichtlich-einmaligen Erscheinungsweise, als menschlicher Daseinsakt verstanden werden – als Existenz. Edith Stein versteht unter Existenz „Ins-Dasein-gesetzt sein330. „Sie akzentuiert diesen Gebrauch des Begriffs in Absetzung zu Heidegger, “indem sie der Geworfenheit ins Dasein ihre Einsicht der darin gefundenen Geborgenheit zur Seite stellt“, wie René Raschke ausführt.331

      Die Bezugnahme auf die Pole „Kirche“ und „Existenz“ will somit eine Sehhilfe sein, um die Optik für das Beten der Edith Stein zu schärfen, und zwar indem das erkundende Interesse der Untersuchung den Ort und die Art der Gegebenheit ihres betenden Menschseins stets im Blick zu behalten sucht. Durch die zweifache Rückbindung der Gestaltüberlegungen an die Referenzpunkte „Kirche“ und „Existenz“ versucht die vorliegende Studie somit, eine ungeschichtliche und darin ortlose und so ins Zeitlose entzogene Gestaltformulierung des Betens der Edith Stein schon im Ansatz zu vermeiden. Stattdessen soll mit den beiden Dimensionen „Kirche“ und „Existenz“ das, was an Gestaltformulierungen zum Beten der Edith Stein im Verlauf meiner Studie benannt wird, bleibend zurückgebunden werden an das geschichtlich Konkrete, wie es sich in der Biographie dieser Frau als Prozess und als Werden manifestiert hatte. Die gesuchte Rückbindung dient somit dazu, die Gestaltformulierungen gleichsam zu „erden“ und eine idealisierende Diktion zu vermeiden. Der Verfasser dieser Studie ist bei diesem Anliegen von Johann Baptist Metz und seiner Theologie angeregt, die besonders in frühen Phasen danach suchte, eine „nachidealistische Theologie“ zu verwirklichen.332

      Das Adjektiv „kirchlich“ verweist zunächst unmittelbar sowohl auf den geschichtlich-sozialen Entstehungsort als auch den geistlichen Lebensraum, in den hinein sich das betende Geschehen im Leben der Edith Stein entfaltet hat. Denn zugleich und verbunden mit der sichtbaren Dimension von Kirche ist auch die dem äußeren Blick entzogene, christologisch-pneumatologisch-eschatologische Dimension von Kirche gemeint. Diese ist „im Heiligen Geist geeint“, „dem Sohn Jesus Christus zugestaltet“ und darin im Modus der Pilgerschaft zum „Reich Gottes des Vaters berufen“, wie Medard Kehl mit Bezug auf die Kirchenkonstitution des II. Vaticanums formuliert.333 In diesen umfassenden, eschatologisch geöffneten Raum hinein wirkt das Beten der Edith Stein als geschichtliches Ereignis über ihren Tod hinaus weiter fort. Daher ist mit dem Referenzpunkt „Kirche“ auch der Raum der Wirkungs- und Entfaltungsgeschichte dessen angesprochen, was sich im Leben der Breslauer Philosophin bis hin zu ihrem Tod als Gebet zugetragen hat. In einem bildhaften Vergleich gesprochen markiert das Wort „Kirche“ somit gleichsam den „Klangraum“, aus dem heraus das betende Wort der Edith Stein bis zur heutigen Zeit verlautet. Dabei klingt und „ruft“ das Gebetswort und auf seine Weise das Schweigen der Edith


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