Die Eifel und die blinde Wut. Angelika Koch
Читать онлайн книгу.nicht los, nie. Die Leute reden. Und das Schlimme war, dass ich sicher war, mein eigener Vater hat mich damals exakt so wie dieser Junge gesehen, als Mörderin. Ich bin komplett ausgerastet. Darum kam dann jemand vom Jugendamt. Mein Vater kannte den Chef, das war ruckzuck geregelt. Die Eltern des Jungen mussten sich bei meinem Vater entschuldigen. Wie? Bei mir entschuldigen? Nein, von meinem Vater habe ich eine gepfeffert gekriegt … Den Genuss, dass die Eltern angekrochen kamen, hatte er ganz allein. Und auf dem Schulhof wurde es natürlich auch nicht besser für mich, als Tochter vom Nippes. Es gab auch andere, die fanden ihn aufrichtig toll, die saßen bei uns im Wohnzimmer, da, wo Sie jetzt sitzen. Es war ja die Zeit kurz nach der Wende, alle haben »Helmut! Helmut!« gejohlt. Mein Vater meinte, der Helmut wäre ein Weichei, aber besser als nix, und jetzt bekäme er auch in der Eifel Rückenwind für seine Sachen. Er ist oft rübergefahren, in die DDR. Da hat er viele Kontakte geknüpft.
Mama und ich waren dann meistens allein hier. Wir hätten den Hof sowieso nicht geschafft, selbst wenn er öfter hier gewesen wäre. Es war eine Erleichterung, das meiste Land und die Maschinen zu verkaufen und umzusatteln auf Ferien auf dem Bauernhof. Nur noch gut gelaunte Leute, die freiwillig da sind … Ist echt ein Unterschied. Macht nix, wenn haufenweise Kids kommen, die noch nie ein Viech live gesehen haben und ausflippen … O wie süß, o wie niedlich! Die Tiere können das ab. Die wedeln ein bisschen mit den Ohren oder keilen hinten aus, wenn es zu viel wird, aber selbst das fällt für die Städter in die Rubrik ›geiles Abenteuer‹. Am besten sind die Gäste mit Hund. Die sind so dankbar, dass sie mit ihrem Bello mal frei rumlaufen können ohne Gefahr, alle paar Meter von einem Auto umgefahren zu werden. Und dass sie nicht immer die Hundekacke in Tüten packen müssen, sondern dass Mutter Natur das schon regelt, im Wald. Die sind so dankbar, die hinterlassen die Ferienzimmer sauberer als bei Ankunft, sage ich Ihnen.
Nur für den Pollmeier, für den war es dann nicht so mega. Der? Der kam aus Westfalen, irgendwo aus dem Münsterland, und hat uns alles abgekauft, was wir nicht brauchten, wollte groß durchstarten mit Ökolandbau, hatte schon einen runtergewirtschafteten Aussiedlerhof in der Nähe übernommen und wollte unser Land dazu. Hatte Agrarwirtschaft studiert, ein richtiger Idealist. Der hat sein blaues Wunder erlebt, allein schon wegen der Bodenqualität … Ist hier ja ganz anders als da, wo er herkam. Mein Vater hat sich ins Fäustchen gelacht, als der Deal perfekt war.
Wann der Pollmeier gekauft hat? Lassen Sie mich überlegen … Ich war gerade aus Amerika zurück. Es muss also mindestens fünf Jahre vor dem Mord gewesen sein. Mama hat sogar geglaubt, dass der Pollmeier was für mich wäre, nach meiner Scheidung. Aber dann war ja schnell klar, dass er eine Freundin hat, die mit in die Eifel zieht. Und dass sie gemeinsame Kinder haben. Ja, Mama war halt immer ein bisschen harmoniesüchtig, sie meinte es wohl nur gut mit mir … und mit sich selbst. Ich glaube, sie wollte, dass ich in der Nähe bin, nur ein paar Kilometer entfernt von ihr. Sie hatte wohl Angst, dass ich es nicht lange mit meinem Vater aushalte und dann wieder weggehe. Dass ich sie mit ihm allein lasse. Aber das hätte ich nie getan. Der Krebs hat sie verändert … Plötzlich war sie … plötzlich war sie eine wirkliche Mutter, die sich für mich interessierte, die fragte, wie es mir geht. Vielleicht wollte sie nur von sich selbst ablenken, keine Ahnung, aber ist das wichtig? Für mich war nur wichtig, dass ich nach all den Jahren doch mit ihr reden konnte und dass sie nicht mehr so vollkommen geistesabwesend war.
Sie hatte anfangs noch die Hoffnung, wieder gesund zu werden. Hat wohl jeder. Sie hat sich durch die Chemo gekämpft, alles ertragen. Ich weiß gar nicht, woher sie so viel Willen nahm zu überleben … nachdem sie doch all die Jahre … Ich bilde mir ein, dass es auch ein bisschen damit zusammenhing, dass ich zurückgekehrt war. Und dass sie merkte, ich kann jetzt verstehen, warum sie mich als Kind so im Stich gelassen hat. Dass ich ihr deswegen nicht mehr böse bin. Nein, mein Vater hat sich abgekapselt, hat es dem Pflegedienst und mir überlassen. Er konnte noch nie was mit Frauenleiden anfangen … Und Brustkrebs, nein, das war für ihn igitt, irgendwie. Aber das war gar nicht schlimm, wir waren ja froh, dass er mit was anderem beschäftigt war und uns in Ruhe ließ, Mama und mich.
Wie es war, als sie gestorben ist? Das … bitte verzeihen Sie … das ist noch immer etwas, das ich mir nicht verzeihe. Ich war nicht da. Nein, sie ist nicht im Krankenhaus gestorben. Als die zweite Chemo keinen Erfolg hatte und sie immer mehr Schmerzen bekam und auf einmal Metastasen in den Lymphknoten hatte, und auch am Hals, sodass sie nicht mehr sprechen konnte … Ich habe nicht gemerkt, dass sie noch Packungen von dem Zeug gehortet hatte, ihre Benzos. Sie hat es geschafft, sie hat es tatsächlich geschafft, die noch zu nehmen. Alle auf einmal. Sie hat nicht mal davon gekotzt … sie war dann einfach weg. Ich hoffe, sie hat nichts gemerkt. … Danke, ich habe selbst ein Taschentuch … Ich habe sie erst am nächsten Morgen gefunden. Und mein Vater, dieser … dieser … er sagte mir, man könne mir einfach nichts anvertrauen, damals mein Bruder, jetzt Mama … und darum solle ich enterbt werden, nur Pflichtteil, mehr nicht. Das war alles, an das er gedacht hat. Und als ob ich schuld daran wäre. Stellen Sie sich das vor! Ich! Dabei hat er sich nie um etwas gekümmert! Er hat einfach nur zugeschaut, wie Mama verreckt ist. Einfach nur zugeschaut! Er hat sehenden Auges hingenommen, dass sie jämmerlich krepiert. Er hat sie nicht ein einziges Mal in den Arm genommen. Oder mit mir geredet. Oder wenigstens mit den Ärzten. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, das war sein Prinzip … diese drei Affen. Aber Affen sind nicht so, wir sind schlimmer als die … viele von uns jedenfalls.
Nein … nein, das war wohl nur eine leere Drohung. Ich habe den Hof geerbt, das wissen Sie doch … Ein Tatmotiv? Halten Sie mich allen Ernstes für so platt, dass ich jemanden umbringe bloß wegen Geld? Und dann auf eine solche Weise? Meinen eigenen Vater? Ja, natürlich, auch der Hass. Es muss Hass dabei gewesen sein. Geldgier und Hass, die Klassiker. Ach, Herr Baltes, so einfach ist die Welt nicht. Doch? Ihre vielleicht, meine nicht. Wissen Sie, wie viel Kraft es kostet, einen Menschen wirklich zu hassen? Sie sind naiv, Sie sind wirklich naiv.
Oh … natürlich, auch Sie kennen Abgründe. Tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen. Und vielleicht sind wirklich die meisten Taten so simpel gestrickt, ich weiß es nicht. Ich kann Sie verstehen, ich habe kein Alibi, jedenfalls ist mir keines bewusst, und ich habe gleich zwei Motive, die normalerweise ausreichen, um jemanden zu töten. Okay, meinetwegen ist das so, man tötet sogar für weniger als das. Für ein paar Euro sogar, sagen Sie? Das haben Sie im Beruf schon erlebt? Du lieber Himmel … Und ist es dann auch normal, einen Toten so zuzurichten, so wegzuwerfen, in den Müll zu werfen? Aber das bin ich nicht, verstehen Sie? Ich bin das nicht!
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