Die Eifel und die blinde Wut. Angelika Koch
Читать онлайн книгу.in die Daunenfüllung des Kissens hinein. »Iffbimi emschbammunk ssselbss.«
»Du sollst mit vollem Mund nicht reden, mein Schatz.«
Baltes bemühte sich. »Ich. Bin. Total. Entspannt.«
Vera hielt inne. »Lügner. Ich sollte dich züchtigen.«
»Mmmpff«, entgegnete ihr dahingestreckter Gatte. »Wuschtichsdoch. Fffrauensingefääälich.«
»Ich werde gefährlich, wenn du so weitermachst.« Sie gab ihm einen Klaps auf den Oberarm. »Der Fall setzt seit mehr als fünf Jahren Staub an, Schatz. Die SOKO hatte keinen Erfolg, das LKA hat ihn nicht gelöst, nicht einmal Aktenzeichen XY hat was gebracht. Niemand erwartet von dir, dass du jetzt einen Täter aus dem Hut zauberst. Du sollst dich nur behutsam wieder an den Arbeitsalltag gewöhnen, nicht mehr, nicht weniger.«
Damit war Baltes nicht allein. Das ganze Land musste sich wieder daran gewöhnen, nach all den Wochen Ausnahmezustand dank eines kleinen, mit kronenförmigen Ausbuchtungen versehenen Virus. Die Menschen standen jetzt wieder nah beieinander, zwar noch immer mit Mundschutz, aber ohne nach Gummi riechende Einmalhandschuhe. Desinfektionsmittel gab es in den Supermärkten zu Schleuderpreisen und keiner wollte Dosensuppen oder Nudeln kaufen. Vermutlich hortete man das Zeug palettenweise im Keller, wo es verstauben würde, bis vielleicht ein späterer Archäologe aus den versteinerten Resten Rückschlüsse auf eine geheimnisvolle Katastrophe schließen würde. Die Spuren würden so schnell nicht ausradiert sein. Vor allem nicht die in den Köpfen. Baltes fühlte sich mit seiner verletzlichen Langsamkeit nicht mehr allein. Seine ganz eigene Krankheit war ihm ein früher Lehrer gewesen, er hatte früher als andere das Rüstzeug gehabt, mit der verordneten Innerlichkeit etwas anzufangen. Der wochenlange Zwangssonntag war für ihn nicht der entlarvende Leerlauf einer antrainierten Unersättlichkeit gewesen, der nur mit Ablenkung beizukommen war. Sie hatte ihm den Blick geschärft, er hatte ganz neue Fragen. Baltes war voller Tatendrang. Er befreite seinen Mund. »Deine Massagen wirken Wunder.«
2
Manche Dinge fangen ganz banal an. Und es gibt fast nichts Banaleres als Essensreste, die man nach der Mahlzeit vom Teller in den Mülleimer wischt, oder ausgequetschte Teebeutel oder das schon leicht angetrocknete Dosenfutter, das die Etepetete-Katze nicht mag. Kurzum, Biomüll ist trivial, stinkt und man will ihn schnellstmöglich loswerden.
So ging es an einem Augustabend, lange vor Werner Baltes’ Ausraster, auch Melanie Wollmer. Sie hatte für sich, ihren Ehemann Mirco und die dreizehnjährigen Zwillinge gekocht. Es sollte etwas Besonderes sein, denn kürzlich hatte sie auf eine Halbtagsstelle im Seniorenheim Sonnenhang gewechselt und nun mehr Zeit. Melanie war überzeugt: Jetzt fängt das Leben an, jetzt kann sie auch etwas für die Gesundheit tun. Nicht nur für die ihrer Patienten. Die waren zwar irgendwie auch alle lieb, die meisten jedenfalls, außer Herr Mayer. Der war aggressiv in seiner Demenz und grapschte, was sie lästig fand. Deswegen hatte sie ihm schon manches Mal auf die Finger geschlagen. Aber für sich selbst und die eigene Familie etwas zu tun, das war schon anders. Sie hatte Rosenkohl in buttriger Mandelsoße auf dem Plan gehabt, dazu selbst gemachtes Kartoffelpüree und nichts Angerührtes aus der Tüte. Die Kinder sollten lernen, wie gut es schmeckt, wenn es mal etwas anderes als Pizza oder Burger gab. Mirco vor allem musste abnehmen, er wog mehr als hundertzwanzig Kilo.
Das Mahl verlief schweigsam. Die Kinder trollten sich Richtung Kühlfach und holten sich eine extra pappige Pizza raus, American Style. Mirco hielt sich tapfer und meinte, sein Kumpel Tom habe Grillabend. »Habe ich beinah vergessen … tschö!« Melanie hörte, wie er die Haustür zuknallte. Sie kaute auf einem Bissen Rosenkohl herum und musste zugeben, es schmeckte … nach nichts. Bestenfalls. Das Püree dagegen wies leichte Schmauchspuren auf. Sie seufzte, stapelte die Teller und schob die klebrige Masse in eine papierene Biomülltüte, welche wiederum in ein neongrünes Henkeleimerchen eingebettet war. Das ganze Konstrukt sollte dazu dienlich sein, den häuslichen Essensabfall zu Fuß oder mit dem Auto zu einem Sammelcontainer am Dorfende zu verfrachten. Einmal wöchentlich wurde der große schwarze Container geleert.
Das System war neu in der Gegend, vorher hatten manche Haushalte eine eigene braune Biotonne. Die meisten jedoch, das wusste Melanie, kippten alles einfach in den Restmüll. Jeder tat, wie er wollte, und keiner verschwendete einen Gedanken an die Entsorgung der eigenen Hinterlassenschaften. Bis irgendwelche Juristen oder Politiker auf die Idee kamen und etwas neu geregelt haben wollten, so ganz blickte Melanie nicht durch. Und nun pilgerte man seit einigen Wochen vorzugsweise abends in der Dunkelheit zum Sammelcontainer, um den eigenen matschigen Abfall zu dem bereits vorhandenen zu geben. Sie mochte es sogar, in der Abenddämmerung noch ein bisschen rauszukommen. Sie schnappte sich das Eimerchen, als die abendlichen Amselgesänge allmählich verstummten, die Zwillinge in irgendeinem Computerspiel versackt waren und Mirco wohl immer noch mit Tom am Grill stand. Oder Bier trank.
Alles war still auf der Straße, niemand außer ihr war unterwegs. Doch hinter den Hecken konnte sie in manch einem Garten Gelächter und klirrende Gläser hören. Irgendwer hörte Musik, auf volle Lautstärke gestellt, vermutlich Sascha. Er verbarrikadierte sich stets nach Feierabend in der Einliegerwohnung seiner Eltern und dröhnte sich zu mit irgendetwas, das für Melanies Ohren wie eine Mischung aus Laubbläser und Kolbenfresser klang, aber Sascha sagte »geile Mucke« dazu. Wenn er mal vor die Tür trat und ansprechbar war.
Melanie ging weiter, am Sportplatz vorbei zum Wendeplatz einer einsamen Sackgasse, auf dem der Glascontainer und seit Neuestem der Biomüllcontainer das Wenden zu einem erratischen Manöver machten. Aber der Gemeinderat hatte beschlossen, alles, was auch nur entfernt nach Wegwerfbarem aussah, aus der Dorfmitte zu verbannen. Eine energiesparende Straßenlaterne schickte ihr rötliches Licht auf den Weg. Wäre Daun eine Großstadt, Melanie hätte vielleicht Angst vor fußläufigen Ausflügen in eine derart schummrige Gegend, aber es war ihr Dorf. Heimat halt. Hier passierte nie etwas Schlimmes außer den obligatorischen Handgreiflichkeiten nach dem österlichen Junggesellenfest. Aber das gehörte einfach dazu: Erst füllten die Unbeweibten eiserne Wagenräder mit Stroh, steckten sie in Brand und schubsten das flammende Inferno die steile Wiese von Bauer Häb runter. Dann aßen sie Rührei mit Speck, kiloweise sogar, schließlich hatten die Jungs zuvor der Tradition entsprechend Eier im Dorf gesammelt. Und jeder gab gern und reichlich, weniger als zehn gespendete Eier pro Haushalt wären als Geiz ausgelegt worden. Wer die brachiale Cholesterinzufuhr unbeschadet überstand, kippte ausreichend Stubbis mit Bitburger Bier hinterher – fertig war die enthemmende Mischung. All das war Melanie zutiefst vertraut, nichts Bedrohliches fand sie daran.
Da war das, was aus der offen stehenden Klappe des Biomüllcontainers ragte, schon eher unheimlich. Es hatte Haare … drahtige dunkle Borsten. Es hatte Zähne, gebogene gelbliche Hauer. Es hatte stumpfe Augen, die den Schein der Laterne nicht widerspiegeln konnten.
Melanie ließ ihr Eimerchen fallen, die Papiertüte mit dem missglückten Abendessen rutschte raus und verteilte ihren Inhalt auf dem Asphalt.
»Scheiße!«, brüllte sie und meinte gleich beides: ihr Malheur und den leblosen Wildschweinkopf im Container. »Wer macht denn so eine Scheiße!« Dabei hatte sie sofort einen Verdacht. Sie wusste um die Proteste gegen die Einführung der Biomüllcontainer, die seit einigen Wochen die Eifel in Wallung brachten. Es gab eine Gruppe in den sozialen Medien mit unermüdlichen, bisweilen jeglicher Rechtschreibung spottenden Aufrufen, es »denen da oben« zu zeigen – und sei es, indem man Biomüll vor die Haustür der Verantwortlichen kippte oder eben die Containerstellplätze in Müllhalden verwandelte. Der Ton wurde rauer und angriffslustiger. Sogar eine Handvoll bekennender Reichsbürger hatte sich der Gruppe angeschlossen und postete, dass sich am Container nun deutsche Senioren mit Stöcken gegen marodierende Ratten zur Wehr setzen müssten – mal wieder ein Verrat am Volke. Woher sie ihre Informationen hatten, blieb schleierhaft, denn die Profile offenbarten Wohnsitze weit jenseits der Eifeler Berge. Andere nannten es einen lebensgefährlichen Angriff auf unschuldige Allergiker, denn auch Wespenschwärme fanden sich ein. Im Dorf machten sich einige über die Protestler lustig, andere wiederum empfanden sie als Speerspitze berechtigter Wut gegen unliebsame Entscheidungen über alle Köpfe hinweg. Alle schienen sich einig zu sein, dass es Wichtigeres und Appetitlicheres als die Entsorgung der eigenen Abfälle gab. Aber insgesamt hatte das Ganze eine buchstäblich anrüchige