Fröhliches Morden überall. Margit Kruse

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Fröhliches Morden überall - Margit Kruse


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war es um sie geschehen. Sie schluchzte unvermittelt los und sackte regelrecht in sich zusammen. »Ich vermisse Sepp so sehr. Die letzten Jahre habe ich immer mit ihm zusammen Weihnachten gefeiert. Was hatten wir für schöne Zeiten! Dieses Jahr wollte er nicht. Ist bei seiner Frau geblieben.«

      »Liebe Waltraud!«, sagte Margareta. Sie nannte ihre Mutter meistens beim Vornamen. »Bleib doch mal objektiv. Wie sahen sie denn aus, deine schönen Zeiten? Die Zeit, die er mit dir verbracht hat, hat er sich gestohlen, und ist danach ganz schnell wieder in die Arme seiner Alten geflüchtet, von der er sich nie lösen wird. Vergiss ihn endlich!« Margareta musste an das Weihnachtsfest denken, an dem sie den alternden Bandleader dieser Altherrencombo zum ersten Mal getroffen hatte. Ihre Mutter hatte ihn in einem zwielichtigen Tanzschuppen für Greise kennengelernt. Es war im Wohnzimmer ihrer Mutter Waltraud im Kreise der engsten Familie gewesen. Der Hesse aus Nidda hatte Unterschlupf bei ihrer Mutter gesucht. Und nicht nur das. Margareta hatte Felix, den Obdachlosen, mitgeschleppt, um ihm schöne Feiertage zu bescheren. Und da hatte auch Sepp am Tisch gesessen, dieser tattrige Opa, der am zweiten Weihnachtstag mit dem Geld aus dem Bankraub in Buer, welches er beschützen sollte, dreist getürmt war. Zum Glück hatte ihn die Polizei geschnappt. Das Geld konnte er daraufhin vergessen. Immer wieder hatte er danach vor Waltraud auf den Knien gelegen und um Verzeihung gebettelt. Immer wieder war er jedoch kurz darauf zu seiner Frau zurückgekrochen und hatte Waltraud ganz schnell vergessen. Gut, dass das jetzt hoffentlich ein Ende hatte.

      Während Thomas den Tisch abräumte, betrat Eleonore vergnügt das Zimmer, als wäre nichts gewesen, und setzte sich auf ihren Platz am großen Küchentisch.

      »Sag jetzt nichts Falsches«, zischte Margareta Thomas zu, während sie ihm beim Abräumen half.

      »Wie wäre es mit einer Runde Halma? Ich habe im Schrank eine Spielesammlung gesehen.« Munter kramte Eleonore das Spiel heraus und setzte sich wieder an den Tisch.

      »Wieso nicht«, meinte Thomas. »Spielen wir Halma.«

      Der eventuell vorhandene Lover von Eleonore, der treulose Sepp, der Kuhstallmief sowie der Schweißgeruch waren schnell vergessen. Es wurde tatsächlich ein richtig schöner Heiligabend mit Pfirsichbowle, Pils und Spielesammlung und einem herrlichen Kaminfeuer.

      Am anderen Morgen, dem ersten Weihnachtstag, hatte es geschneit. Eine ungefähr fünf Zentimeter hohe Schneeschicht überzog die Landschaft.

      Thomas lief von Fenster zu Fenster und konnte sich gar nicht beruhigen. Ach, wie schön, ach, wie toll. Bereits fertig angezogen saß er anschließend am Frühstückstisch und wollte schnellstmöglich raus, zu Fuß zum Skigebiet Hunau, ungefähr vier Kilometer vom Ferienhaus entfernt. Auf Eleonores Einwand, er könne doch überhaupt nicht Ski fahren, wurde er knurrig. Nur schauen wollte er, einfach nur schauen.

      »Und du? Willst du den ganzen Tag vor dem Fernseher abhängen? Da läuft die 5.000ste Wiederholung der Schwarzwaldklinik, und Waltraud und du starrt gebannt hin, als würdet ihr den alternden Gockel von Professor zum ersten Mal sehen. Seid ihr zum Fernsehen hergekommen?«

      »Ich denke, wir haben Urlaub, da können wir machen, was wir wollen«, antwortete Eleonore ihrem Sohn, ohne den Blick vom tollen Professor Brinkmann in seinem wehenden Kittel abzuwenden.

      »Ich finde, wir sollten die TV-Zeiten beschränken. Sagen wir: pro Tag zwei bis drei Stunden?«, schlug er vor.

      »Bei dir piept es wohl, Junge. Ich entscheide immer noch selbst, wie ich meine Zeit verbringe«, meinte Eleonore.

      Wenigstens hatte Mutter Scheffel am frühen Morgen ausgiebig geduscht, dachte Margareta. Und frische Klamotten trug sie auch. Sogar ihre Dachsfrisur hatte sie in Form gebracht. Gar nicht so falsch, mal was zu sagen. Margareta lächelte in sich hinein.

      »Ihr zwei könnt hoch zur Kreuzbergkapelle marschieren, von dort aus rüber zum Wanderparkplatz Mechterkuse, und schon seid ihr wieder hier an der Hütte. Sind höchstens acht Kilometer. Bin ich gestern auch gelaufen. Heute ist es viel schöner bei Schnee«, schlug Thomas vor.

      »Da hättest du den Bauernhof im Wald sehen müssen, den ich mir gestern angeschaut habe«, meldete sich Margareta zu Wort.

      »Habe nicht drauf geachtet.«

      »Das ist mir zu weit. Ich habe Hüftprobleme, ich kann nicht so weite Touren machen.« Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb sich Waltraud die rechte Hüfte. »Bis zur Ortsmitte schaffe ich es.«

      »Dann lass uns in dieses Café gehen und dort was Schönes zu uns nehmen«, sagte Eleonore begeistert. »Die haben tolle Torten und weiße Trinkschokolade.« An ihren Sohn gewandt: »Und du heize schon mal den Kaminofen an, damit wir es gemütlich haben, wenn wir durchgefroren heimkommen.«

      »Später«, antwortete Thomas einsilbig und verließ kopfschüttelnd den Raum. »Torte essen, so schnell nach dem Frühstück«, murmelte er dabei vor sich hin.

      Margareta war froh, dass die beiden Frauen sich besser verstanden und sich keine Gemeinheiten mehr an den Kopf knallten wie am Vortag. Am späten Abend hatte Waltraud Eleonore die ganze Sepp-Lovestory haarklein erzählt, was ihr wohl Pluspunkte eingebracht hatte. Doch keine fromme Kirchenmaus, die gute Eleonore? Margareta musste schmunzeln. Hatte sie sich tatsächlich schon einen Kerl aufgerissen?

      Arm in Arm schoben die beiden älteren Damen wenig später dick vermummt ab, was Margareta vom Wohnzimmerfenster aus beobachtete. Eleonores lautes Gemecker konnte sie durch die Scheibe hören.

      »Hätte uns mit dem Auto mal nach Winterberg fahren können, mein lieber Sohn.«

      Dem stimmte Margareta zu. Irgendwie war Thomas schon wie ein bequemer Opa, fand sie. Und das mit 42 Jahren. Trotzdem lächelte sie ihn an, als er sich ihr von hinten näherte.

      »Haben wir uns überhaupt schon frohe Weihnachten gewünscht?«, fragte er mit sanfter Stimme und nahm sie in die Arme.

      3.

      Eleonore war missgelaunt. Sie fühle sich leer. Das Jahr ging zu Ende. Das neue konnte nur besser werden. Nun war Robert schon fast ein halbes Jahr tot. Einen qualvollen Tod hatte er gehabt. Zum Schluss hatte er sich die Lunge aus dem Hals gehustet und nur noch Blut gespuckt, bevor er endlich in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer in Herten für immer die Augen schloss. Es war seinem Bergmannsposten unter Tage geschuldet, dass der Krebs seine Lunge aufgefressen hatte. Eine schlimme Zeit, ihn mithilfe des Pflegedienstes zu versorgen. Wie oft hatte sie daran gedacht, einfach das Weite zu suchen und abzuhauen, egal wohin, Hauptsache weg. Doch wäre das christlich gewesen? Er hatte ein Leben lang für sie gesorgt, da war es das Mindeste gewesen, ihn zu pflegen.

      Letztendlich war sie froh, bis zum Schluss ausgeharrt und die liebende, sich kümmernde Ehefrau gespielt zu haben. Das hatte ihr besonders bei Pfarrer Ansgar Morgenrot der St.-Johannes-Gemeinde in Herten enorm viele Pluspunkte eingebracht. Voller Hochachtung lobte er sie in der gesamten Gemeinde, in der sie sich vor Roberts Erkrankung kaum hatte sehen lassen. Kirche und das ganze Drumherum gingen ihr am Allerwertesten vorbei, hatte sie jedem erzählt, der sie gefragt hatte, wieso sie nicht am Gemeindeleben teilnahm.

      Wie rührend sich der Pfarrer trotzdem nach Roberts Tod um sie gekümmert hatte und es noch tat, verwunderte sie. Er hatte bei den zahlreichen Hausbesuchen in ihre verweinten Kuhaugen gestarrt und sich – wieso auch immer – verpflichtet gefühlt, genau diesem Schäfchen seine volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Diese beschränkte sich nach der Beisetzung zunächst auf die Vorbereitung des sonntäglichen Gottesdienstes am Samstagnachmittag. Nicht gerade nett von ihm, Ursula Kaminski diesen Posten zu entziehen und ihn Eleonore aufs Auge zu drücken. Besondere Umstände veranlassen ihn dazu, hatte er versucht, der Kaminski einzureden, die oft sehr zudringlich wurde. Kerzenständer polieren, Altarblumen dekorieren, Gesangsbücher ordnen, Messwein auffüllen und seinen Talar abbürsten zählten zu den Aufgaben einer Samstagnachmittagshelferin. An Eleonore war eine Schauspielerin verloren gegangen, so gut spielte sie ihre unterwürfige Rolle.

      Wenig später hatte er sie in die Seniorenstube eingeführt. Da biss er bei dem alteingesessenen Stamm allerdings auf Granit. Vier Frauen der ungefähr 20 Mitglieder waren seit vielen Jahren befreundet und trafen sich auch privat. Dazu zählte Ursula


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