Juwelennächte. Karin Joachim
Читать онлайн книгу.Sie umgab ein illustrer Pulk regionaler und überregionaler Amtsträger sowie eine Schar von Journalisten und Fotografen, die sie umrundeten, riefen und unentwegt mit ihren Blitzlichtern die Nacht erhellten. Die junge Frau blieb in Bewunderung für diese Frau, die trotz ihres nicht mehr jugendlichen Aussehens mit einer enormen Ausstrahlung gesegnet war, wie angewurzelt neben ihrer Vespa stehen. Die Wartende beschloss, ihr unredliches Vorhaben für eine Weile zu unterbrechen, schlug sich an den aufgeregten Fotografen vorbei bis zu Josephine Baker durch und bat stattdessen schüchtern um ein Autogramm, das ihr gewährt wurde. Als sich für einen winzigen Moment ihre Blicke begegneten, glaubte die junge Frau in den Augen der Berühmtheit zu erkennen, dass diese es in ihrem Leben nicht immer leicht gehabt hatte. Diese Begegnung bewirkte in ihr ein Umdenken, sodass sie sich entschied, sich nicht länger in den Dienst der Diebesbande zu stellen. Wie sie ihre Entscheidung den Rädelsführern erklären sollte, wusste sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Doch der Zufall scherte sich nicht um ihren Entschluss, denn die Menge spülte die junge Frau über den Hauptaufgang ins Foyer. Sie war nicht im Besitz einer Eintrittskarte, doch sie erinnerte sich daran, dass jemand ihr einen gefälschten Presseausweis mitgegeben hatte. So gelang es ihr, sich in Ruhe umzuschauen. In einer Halle lagen die Gewinne für die große Tombola aus: Was sie zu sehen bekam, ließ ihren Atem stocken. Eine derartige Fülle von Waren und Kostbarkeiten hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Manche Gäste lebten wenige Jahre nach dem Ende des Kriegs offensichtlich ein Luxusleben, das ihr ungerecht erschien. Die Auslagen waren zu gut bewacht, als dass sie sich auch nur ein einziges Schmuckstück unter ihren Ärmel hätte schieben können. Als sie die Aufmerksamkeit eines der Sicherheitsbeamten erregte, verließ sie mit unschuldiger Miene die Halle. Keinesfalls wollte sie riskieren, dass man ihren Ausweis genauer untersuchte und die Fälschung entdeckte. Immerhin wartete zu Hause ein kleiner Junge auf sie.
1. Kapitel:
Freitag im Juni, früher Abend
Über dreißig Grad warm war das Thermalwasser von Bad Neuenahr, das der Walburgisquelle entsprang. Sie befand sich dreihundertfünfzig Meter tief unter der Erde und war in den Siebzigerjahren erbohrt worden, so hatte Jana es gelesen. In den Neunzigerjahren erhielten die Ahr-Thermen ihr markantes blaues Dach. Obwohl die Temperatur des Wassers und jene der Luft nahezu identisch waren, empfand Jana das Wasser auch heute wieder als sehr angenehm. Sie kam neuerdings öfter hierher und genoss die Momente, in denen das mineralhaltige Wasser ihren Körper umspielte. Am liebsten schwamm sie im Außenbecken und beobachtete dabei den Himmel. Ein anstrengender Arbeitstag lag hinter ihr. Einer von vielen, den sie in der Dienststelle in Koblenz verbracht hatte. Nach wie vor arbeitete sie mit Hauptkommissar Clemens Wieland zusammen, der sich mit seiner Doppelbelastung als ermittelnder Beamter und Dozent an der Landespolizeischule regelrecht aufrieb. Für ihre Zweisamkeit blieb immer weniger Raum, und Jana fragte sich, ob sie nicht einen großen Fehler gemacht hatte, sich derart von Clemens abhängig zu machen. Konnte es gut gehen, dass er gleichzeitig ihr Vorgesetzter und ihr Lebensgefährte war? Die Arbeit im Archiv machte ihr weniger Spaß, als anfangs angenommen. Und richtig blühte sie nur dann auf, wenn sie als Tatortfotografin zum Einsatz kam. Doch mit den Kollegen ermitteln durfte sie nur in besonderen Ausnahmefällen, weil Clemens darauf achtete, dass Jana ihre Kompetenzen nicht überschritt. Er wollte sich nicht vorwerfen lassen, sie zu bevorzugen. Doch Jana wollte unbedingt mehr ermitteln. Sie hatte sich bereits erkundigt. Einer Weiterbildung zur Kriminalkommissarin stand ein entscheidender Faktor im Wege, den sie nicht so einfach beseitigen konnte: ihr Geburtsdatum. Für eine Zulassung zum dualen Studium war sie einfach zu alt. Selbst eine Ausnahmegenehmigung würde sie nicht erhalten. Sie ärgerte sich über ihre eigene Unzufriedenheit, die offensichtlich ihr gesamtes Leben durchzog. Zwar hatte sie eine Weile mit einer freiberuflichen Tätigkeit als Fotografin geliebäugelt, doch sie konnte sich nicht vorstellen, davon zu leben. So grübelte sie über ihre Zukunft, während sie in den Ahr-Thermen ihre Bahnen zog, und sich von dem wohltemperierten Mineralwasser getragen fühlte. Die Abendsonne hüllte den Außenbereich des Bades in ein orangefarbenes Licht. Nur wenige Besucher nutzten die späte Badezeit, und so fiel Jana ein Schwimmer auf, der sich durch den Strömungskanal treiben ließ. Da er auf sie einen mitgenommenen Eindruck machte, sprach sie ihn an, um sicherzugehen, dass kein medizinischer Notfall vorlag. »Guten Abend«, sagte sie. Er antwortete mit einem kurzen Gruß, signalisierte ihr jedoch unmissverständlich, dass er nichts von Small Talk hielt. Da er klar bei Verstand zu sein schien, entschied sich Jana, sich nicht weiter um ihn zu kümmern. Ihr Eindruck hatte sie anscheinend getrogen. Üblicherweise verließ sie die Thermen gleich nach dem Schwimmen, doch heute gönnte sie sich eine Ruhezeit auf der Liegewiese. Das Laub der Bäume raschelte leise im Abendwind, die Sonnenstrahlen wärmten immer noch und so schlief sie ein. Laute Männerstimmen, die vom Ende des Schwimmbadgeländes an ihr Ohr drangen, weckten sie. Jana rieb sich die Augen und beschloss, nach Hause aufzubrechen, wo ihr Airedale Terrier Usti sicherlich schon sehnsüchtig auf sie wartete. Während Jana ihre Bluse über den mittlerweile trockenen Badeanzug zog, bemerkte sie aus dem Augenwinkel den Mann, den sie zuvor angesprochen hatte. Er trat zwischen einer Baumgruppe hervor, war nun bekleidet, trug eine helle Sommerhose und ein ähnlich gefärbtes T-Shirt. Schuhe hatte er keine an. Kurz bevor er an ihr vorbeigelaufen war, trafen sich ihrer beiden Blicke. Der Mann hielt inne.
»Ich war mit einem Freund hier verabredet«, sagte er. »Aber er kam erst jetzt. Es lohnt sich nicht mehr …« Es klang wie eine voreilige Entschuldigung.
Jana rollte ihr Handtuch zusammen, während der Mann wortlos neben ihr stehen blieb.
»Ich habe Sie noch nie hier gesehen«, sagte er schließlich.
»Ich bin zu unregelmäßigen Zeiten in den Thermen«, antwortete sie und wandte sich zum Gehen.
»Ich bin Daniel«, sagte der Mann.
Überrascht, dass ihm nun doch nach Small Talk war, stellte Jana sich ebenfalls mit ihrem Vornamen vor und wartete, ob er noch etwas sagen wollte. Aber sie wartete vergeblich. Er blickte an ihr vorbei, und es schien so, als habe er ihre Anwesenheit ausgeblendet. Jana fand den Mann einfach nur überheblich und verabschiedete sich. Er murmelte etwas, das sie nicht mehr verstand, da sie sich bereits von ihm entfernt hatte. Bevor sie ins Gebäude trat, um ihre Sachen aus dem Spind zu holen, blickte sie sich noch einmal um. Daniel hatte sich auf eine Liege gelegt und schien zu dösen. Seltsamer Typ.
2. Kapitel:
Samstag, früher Morgen
Clemens versuchte, möglichst leise aufzustehen, doch Jana war bereits vom Klingeln seines Smartphones wach geworden. Als sie gestern Abend mit dem Rad vom Schwimmen nach Hause gekommen war, hatte sie ihn oben auf der Dachterrasse entdeckt und ihm von der Straße aus zugewinkt. Er besaß natürlich einen Schlüssel zu ihrer Wohnung in der Ahrweiler Altstadt und schlief bei Jana, so oft es ihm möglich war. Während der letzten Wochen jedoch war das nur noch selten der Fall gewesen. Sie hatten seit Langem einmal wieder unbeschwerte Stunden miteinander verbracht, die mit einem Spaziergang mit ihrem Hund Usti durch die Weinberge begonnen hatten. Jana und Clemens hatten auf einer Bank gesessen und die untergehende Sonne betrachtet, bevor sie hinunter in die Stadt gelaufen waren, um den Abend bei Rotwein und Kerzenlicht auf der Terrasse ausklingen zu lassen.
Als Clemens nun bemerkte, dass Jana ebenfalls nicht mehr schlief, hörte er auf zu flüstern, und telefonierte in normaler Lautstärke weiter. Jana entnahm dem Gespräch, dass es mit der samstäglichen Gemütlichkeit vorbei war. Sie wäre zu gerne noch liegen geblieben, zumal der nostalgisch gestaltete Wecker auf ihrem Nachttisch gerade einmal kurz nach sieben anzeigte. An einem Wochentag befände sie sich nun bereits auf dem Weg zur Arbeit, nachdem sie Usti bei ihrer Freundin Meike Jacob abgegeben hatte. Je älter ihr Hund wurde, desto mehr strengte es ihn an, Jana mit ins Kommissariat zu begleiten. Mit seiner Hundefreundin Gini, mit der er auf Meikes großzügigem Waldgrundstück umherlaufen konnte, ging es ihm einfach besser. Da sie unbedingt noch mit Clemens frühstücken wollte, wartete sie das Ende seines Telefonats gar nicht erst ab, sondern stand auf, stellte in der Küche die Kaffeemaschine an und huschte ins Bad. Kaum war sie mit Duschen fertig, nahm ihr Clemens die Klinke der Duschabtrennung aus der Hand. Beide waren mittlerweile ein eingespieltes Team, was die morgendlichen Abläufe betraf.
»Es wurde ein Toter in den Ahr-Thermen gefunden«, sagte Clemens, während er seine Haare einseifte.
»In