Juwelennächte. Karin Joachim
Читать онлайн книгу.Diese Antwort fand Jana wenig zufriedenstellend.
»Aber die Thermen schließen doch irgendwann. Wollte er danach noch irgendwo hin?«, bemerkte Clemens.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Katrin Anders antwortete. Jana ließ derweil ihren Blick schweifen. Das gesamte Interieur des Wohnzimmers entstammte ebenfalls dem Sortiment des schwedischen Einrichtungshauses. Bis auf eine Ausnahme, einen alten Sekretär gleich neben dem Fenster.
»Er geht oft noch zu Veranstaltungen, über die er berichtet. Meistens fährt er nach Bonn oder Köln. Oder er trifft sich mit Interviewpartnern.«
»Und hatte er gestern Abend auch noch einen Termin?«
»Ich glaube nicht. Aber er erzählt mir ja auch nicht alles.«
So wie sie die Situation von gestern Abend einschätzte, ging Jana nicht davon aus, dass Daniel Bender noch vorhatte, aus beruflichem Anlass die Stadt zu verlassen.
»Wo verzeichnet er seine Termine?«, wollte Clemens wissen.
»In seinem Smartphone, meistens.«
»Hat er keinen handschriftlichen Kalender?«, fragte Clemens weiter.
Katrin Anders schüttelte den Kopf.
»Wo steht denn sein Wagen?«, mischte sich Jana ein. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, Clemens’ Befragungen nicht mehr zu unterbrechen und stattdessen nur genau zuzuhören, um sich ihre eigenen Gedanken zu machen.
»In der Tiefgarage.«
»Darf sich unsere Spurensicherung den anschauen?«, fragte Clemens.
»Warum denn das? Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie mir diese ganzen Fragen stellen.«
»Wollen Sie denn gar nicht wissen, wie Ihr Freund zu Tode kam? Immerhin erzählten Sie mir doch eben, dass er an keiner Vorerkrankung litt«, bemerkte Clemens.
»Sie meinen, er wurde umgebracht?« Katrin Anders sank regelrecht in sich zusammen. »Ich habe ihn immer davor gewarnt …«
Jana wurde hellhörig.
»Wir ermitteln erst einmal die Todesursache, und dann sehen wir weiter. Oftmals findet sich eine medizinische Erklärung. Wir wollen nicht vom Schlimmsten ausgehen.«
Hatte Clemens die Bemerkung der jungen Frau etwa überhört? Sie wusste, dass er mit Rücksicht auf die psychische Verfassung von Katrin Anders sehr behutsam vorging. Es gab jedoch diese stille Übereinkunft zwischen dem Kriminalkommissar und Jana. Vor einiger Zeit hatten sie beide festgestellt, dass diejenigen, mit denen sie beruflich zu tun hatten, Jana gegenüber eher ins Plaudern gerieten.
»Ihr Freund war doch Journalist, nicht wahr? Hat er bestimmte Themen bevorzugt bearbeitet? Oder schrieb er vorwiegend über Regionales?« Aus Janas Mund hörte sich vieles wie Small Talk an. So auch jetzt.
»Als ich ihn damals an der Uni kennenlernte, war er mein Tutor. Er schrieb bereits für eine Bonner Zeitung. Er wohnte in Bonn und wäre auch gerne dort wohnen geblieben, doch mir zuliebe zog er hierher. Meine Eltern leben auch hier und ich fühle mich ihnen sehr verbunden.«
Seltsam, dass Katrin Anders Daniel Benders Eltern mit keinem Wort erwähnte. Schließlich wohnten sie ebenfalls in der Stadt.
»Heute geht ja vieles online und seit einiger Zeit arbeitet er nur noch freiberuflich. Seine Interviews führt er per Live-Gespräch am Computer. Die meisten Politiker machen das mittlerweile viel lieber. Daniel trifft sich dann höchstens bei offiziellen Anlässen mit ihnen, wie Ausstellungseröffnungen, Denkmalenthüllungen.«
»Ihr Freund beschäftigt sich also mit politischen Themen?«, fasste Clemens zusammen.
»Ja, aber auch mit den Menschen dahinter.«
Zum ersten Mal spürte Jana heute dieses Kribbeln, das sich einstellte, wenn sie ein Tatmotiv witterte. Ihnen lagen zwar noch keine Hinweise auf einen Tod durch Fremdverschulden vor. Aber ihrem Gefühl hatte sie bislang immer vertrauen können, und so war sie überzeugt davon, dass das Obduktionsergebnis ihre Vermutung bestätigen würde.
Clemens leitete den Aufbruch ein. Er empfahl Katrin Anders, sich an ihren Hausarzt zu wenden, wenn sie sich unwohl fühlen sollte, sowie ihre Eltern zu verständigen, die ihr sicherlich beistehen würden.
Jana war bereits vorausgegangen und wartete vor der Wohnungstür.
»Sobald wir mehr wissen, werden wir uns bei Ihnen melden. Sie sind auf Ihrem Handy erreichbar?«, fragte er und klappte sein Notizbuch zu.
Katrin Anders nickte. Jana sprach ihr noch mal ihr Beileid aus und folgte dann Clemens nach draußen.
»Ob wir es mit einem politischen Fall zu tun haben?«, fragte sie leise, während sie zurück zu den Ahr-Thermen liefen.
»Das will ich doch nicht hoffen«, antwortete Clemens. »Jetzt kümmern wir uns erst einmal um die Vorgänge im Thermalbad.«
Auf dem Weg dorthin kamen sie erneut am Auffindeort vorbei. Die Kollegen entfernten gerade die letzten Absperrungen. Vor dem Haupteingang hatte sich eine Schlange mit Badegästen gebildet. Steven Pesch erklärte ihnen geduldig, dass es aufgrund eines technischen Defekts noch keinen Einlass gebe. Als er Clemens und Jana entdeckte, hellte sich seine Miene auf.
»Wie lange dauert es noch?«, fragte er freundlich.
»Wir sprechen noch mit Ihren Angestellten. Danach entscheide ich, ob Sie das Bad öffnen können.«
»Die beiden Herren warten in der Halle auf Sie«, sagte der Betriebsleiter.
Clemens ging voraus, Jana blieb zunächst bei Steven Pesch stehen. Ihr war eben etwas eingefallen, das sie ihn fragen wollte. Doch der Gedanke war auf einmal wieder weg.
»Sind die beiden die Einzigen?«, fragte sie stattdessen, um überhaupt etwas zu sagen.
»Die anderen hatten gestern doch keinen Dienst, wie ich ursprünglich annahm«, antwortete Steven Pesch. »Würden Sie das Ihrem Kollegen ausrichten?«
Jana nickte. Sie würden diese Angabe allerdings noch überprüfen müssen. Als sie kurz darauf zu Clemens stieß, sprach er gerade mit zwei durchtrainierten jungen Männern. Er hatte sie offensichtlich nach ihren Personalien gefragt. Jana warf einen Blick in Clemens’ geöffnetes Notizbuch und konnte mit Mühe die Namen Besim Arslan und Tim Meurer entziffern. Clemens’ Schrift war kaum leserlich.
»Also, die Herren. Haben Sie etwas damit zu tun, dass draußen in der Nähe des Tores ein toter Badegast aufgefunden wurde?«, fragte Clemens die beiden Angestellten.
Die Männer sahen einander an.
»Wir können es langwierig machen, indem wir von Ihnen DNA-Proben nehmen und diese dann mit Anhaftungen an der Kleidung des Toten vergleichen.«
Wieder wanderten Blicke zwischen den beiden hin und her. Ihre Muskelspannung hatte merklich abgenommen.
»Also, meine ganz konkrete Frage lautet: Haben Sie den jungen Mann aus dem Bad herausgeschafft?«
Die beiden blickten auf den Boden. Schließlich gaben sie mit einem beinahe gleichzeitig gesprochenen »Ja« zu, was Jana und Clemens vermutet hatten.
»Ja?«
»Ja.«
»Also. Bitte schildern Sie, was gestern Abend genau geschehen ist.«
Den Männern blieb nichts anderes übrig, als mit der Wahrheit herauszurücken. Sie hatten beim letzten Rundgang über das Freigelände Daniel Bender auf der Liege entdeckt, schlafend, wie sie zunächst annahmen. Als er sich nicht mehr bewegte und kein Lebenszeichen festzustellen war – die beiden betonten, dass sie während ihrer Ausbildung gelernt hatten, wie man den Tod eines Menschen feststellen konnte –, schoben sie ihn auf der Liege, auf der er offensichtlich verstorben war, bis zum Tor und setzten ihn draußen auf die Bank. Es sei schon beinahe dunkel gewesen, weshalb sie bestimmt niemand dabei beobachtet hatte.
»Aber warum haben Sie das gemacht?«,