Juwelennächte. Karin Joachim
Читать онлайн книгу.Die Ermittlungen gestalteten sich zäh. Üblicherweise hatten sie am Anfang eines Falls schnell eine Spur, der sie nachgehen konnten, manchmal sogar zu viele Informationen. Die Auswertung des Handys von Daniel Bender ließ auf sich warten, das Bewegungsprofil des Opfers zu erstellen, gestaltete sich komplizierter als gedacht, lediglich seine Aufenthalte in den Ahr-Thermen während der vergangenen Tage waren gut zu dokumentieren. Es schien so, als habe Daniel Bender den tatrelevanten Zeitraum vorwiegend in Bad Neuenahr verbracht. Sein Auto hatte er kaum bewegt. Auch wenn es nicht Daniel Benders Gewohnheit entsprach, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, hatte man die Überwachungsvideos der Stationen der Ahrtalbahn, die das Tal mit der Rheinschiene verband, angefordert. Auch die örtlichen Taxiunternehmen waren befragt worden, ob jemand Daniel Bender befördert hatte. Mit wem er während der letzten Tage beruflichen Kontakt gehabt hatte, hatten Clemens’ Kollegen ebenfalls noch nicht herausgefunden. Katrin Anders war kurzfristig in einer Klinik aufgenommen worden, sodass man sie zunächst nicht mehr befragen konnte. All das wusste Jana von Clemens, der gestern Abend noch kurz bei ihr war, bevor er nach Koblenz gefahren war. Dort wohnte er unter der Woche, die Wochenenden hingegen verbrachte er zumeist bei Jana. Er entschuldigte sein Wegbleiben damit, dass er sein Seminar in der Polizeischule vorzubereiten habe und wegen des aktuellen Mordfalls dafür nachts arbeiten müsse und sie nicht stören wolle.
»Bitte dieses Mal wirklich keine Alleingänge, Jana, solange wir nicht wissen, von welchem Tatmotiv auszugehen ist«, hatte er Jana inständig gebeten. Sie verstand, dass ihn die Umstände des Falls beunruhigten.
Den Samstagabend hatte Jana für einen ausgiebigen Spaziergang mit Usti genutzt, hatte danach zur Ablenkung einen Rotweinkuchen gebacken und war dann recht früh schlafen gegangen. Da es keinen Grund dafür gab, früh aufzustehen, war sie am Sonntagmorgen länger als gewöhnlich im Bett liegen geblieben. Erst der Stups von Ustis kalter Nase gegen ihren Oberarm konnte sie zum Aufstehen bewegen. Spaziergang und Frühstück lagen hinter ihr, als sie sich den Aufnahmen von gestern widmete. Sie hatte nicht nur mit der großen Kamera fotografiert, sondern auch mit ihrem Handy. Jana schickte einige der Aufnahmen an ihre Mailadresse, sodass sie diese auf ihrem Laptop ansehen konnte. Vergrößerte Ausschnitte, stellte Vergleiche zu ihrem ersten Eindruck vom Arbeitszimmer des Opfers an, dachte nach, machte sich weitere Notizen. Doch sie fand nichts Auffälliges. Vielleicht ja doch: Der Mann, der sich unberechtigterweise Zutritt verschafft hatte, hatte keine Unordnung hinterlassen. Es wirkte vielmehr so, als habe er nicht lange nach dem suchen müssen, worauf er es abgesehen hatte. Was hatte sich nur auf Daniel Benders Laptop befunden, woran hatte er gearbeitet? Was war so brisant, dass man nach seinem Leben trachtete? Oder hatte ein Dritter die Rechercheergebnisse gestohlen, um damit jemanden zu erpressen? Das würde bedeuten, dass eine weitere Person über die Recherchen Bescheid wusste. Wie dem es auch sei, alles lief auf eines heraus: Sie musste unbedingt in Erfahrung bringen, woran Daniel Bender gearbeitet hatte.
Jana hatte über ihre Gedanken hinweg die Zeit aus den Augen verloren. Sie machte sich ein Sandwich und schnitt sich ein Stück vom Rotweinkuchen ab. Die kleinen Schokoladenstückchen, die sie hineingegeben hatte, schmolzen langsam im Mund. Usti war müde und hatte kein Interesse an einem Spaziergang durch die nachmittägliche Sommerhitze. Jana gab Daniel Benders Namen in die Suchmaschine ihres Browsers ein und hoffte, so zu erfahren, zu welchen Themen er bevorzugt journalistisch tätig gewesen war. Frühe Artikel hatte er vorwiegend in den Lokalzeitungen zwischen Rhein und Ahr veröffentlicht. Er benutzte das Kürzel »bend«. Diese umfassten das typische Spektrum vom Polizeibericht, über Vereinssitzungen bis hin zu Kulturveranstaltungen. Im letzten Jahr hatte er sich entweder anderen Themen zugewandt oder er hatte begonnen, für andere Zeitungen zu arbeiten, jedenfalls fehlten Artikel mit seinem Kürzel oder seinem vollständigen Namen in den lokalen Zeitungsausgaben. Oder war er nicht mehr als Journalist tätig? Zu gerne hätte Jana Katrin Anders befragt, ob vor etwa einem Jahr etwas geschehen war, was das Leben von Daniel Bender in eine neue Richtung gelenkt hatte, oder er sich aus eigenem Antrieb neu orientiert hatte. Aber wenn sie sich richtig erinnerte, ging Katrin Anders immer noch davon aus, dass ihr verstorbener Freund bis zu seinem Tod als Journalist gearbeitet hatte. Dazu passte, dass das Ausstelldatum seines Presseausweises recht aktuell war. Sie schrieb ein kurzes Memo über ihre Auswertungsergebnisse und leitete es als verschlüsselte Mail an Clemens weiter. Da sie nicht so recht wusste, was sie mit sich anfangen sollte und Usti nicht hinauswollte, entschloss sie sich, mit dem Fahrrad nach Bad Neuenahr zu fahren und in den Ahr-Thermen den Tag ausklingen zu lassen. Vielleicht wirkte die Umgebung inspirierend auf sie.
5. Kapitel:
Sonntagabend
Sie hatte gemerkt, dass es ihrem Körper besser ging, wenn sie sich im warmen Thermalwasser treiben ließ, selbst wenn die Lufttemperatur beinahe ebenso hoch war. Dieser Zustand der vollkommenen Entspannung wirkte sich derart positiv auf ihre Psyche aus, dass sie sich danach wie neu geboren fühlte. Heute Abend allerdings herrschte reger Betrieb in den Ahr-Thermen, anders als unter der Woche. Zum Nachdenken kam sie deshalb kaum, was sie aber auch als wohltuend empfand, denn sie neigte sehr zum Grübeln. Und wenn sie ein Fall beschäftigte, gelang es ihr normalerweise nicht abzuschalten. Die Schwimmmeister, die heute Dienst hatten, hatte sie bislang hier noch nicht gesehen. Trotz der Nähe des Fundortes von Daniel Benders Leiche und den auf dem Gelände erst gestern durchgeführten Ermittlungen stellte sich unerwartet so etwas wie Urlaubsstimmung ein. Und Unternehmungslust. Deshalb holte sie beim Verlassen des Geländes ihr Handy hervor und wählte Meikes Nummer, um sich spontan mit ihr zu verabreden. Doch Meike befand sich bereits auf dem Weg nach Köln ins Theater. Auf Clemens konnte Jana heute vermutlich auch nicht mehr bauen. Langweilig würde Jana zu Hause jedoch nicht werden. So schwang sie sich auf ihr Fahrrad und machte einen kurzen Umweg zu einer Eisdiele auf der gegenüberliegenden Ahrseite im Zentrum der Kurstadt. Mit dem Eis in der einen Hand schob sie ihr Rad durch die Straßen, studierte die Neuerscheinungen, die im Schaufenster der Buchhandlung auslagen, und kam schließlich an einem Antiquitätenladen vorbei, dessen Name ihr etwas sagte. Sie erinnerte sich an eine Visitenkarte, die an der Pinnwand in der Küche von Daniel Bender und Katrin Anders hing. »Antiquitäten Corvinius«. Der Name klang für sie äußerst verstaubt, nach einem Dozenten für Latein oder einem Renaissance-Gelehrten. Jana dachte, dass der Sekretär, den sie in Benders Wohnzimmer bewundert hatte, möglicherweise bei diesem Antiquar erworben worden war. Sie wollte sich gerade das Schaufenster ansehen, denn sie mochte alte Gegenstände, die Geschichten erzählten, als ihr Handy den Eingang einer Nachricht ankündigte. Sie war von Clemens, der sein Kommen ankündigte.
Wenn sie sich beeilte, blieb ihr noch Zeit, um sich zu duschen. Also radelte sie noch ein wenig schneller als gewöhnlich.
Jana hatte außer ihrem Handtuch, das sie umgelegt hatte, nichts an, als der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Usti war nun, da die Hitze des Tages allmählich wich, auch wieder wacher und stand mit wedelnder Rute vor der sich langsam öffnenden Tür.
»Hallo, schöne Frau«, sagte Clemens und gab Jana einen Kuss auf ihre freie Schulter. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich auch rasch unter die Dusche springe?«, fragte er. Manchmal lag diese merkwürdige unsichtbare Barriere zwischen ihnen und ein anderes Mal fühlte sich alles wieder so harmonisch an. Wie jetzt, als es Jana so vorkam, als wohnten sie zusammen und Clemens wäre gerade vom Einkaufen zurückgekehrt. Nur die Umhängetasche, in der er für gewöhnlich seine Akten aufbewahrte, passte nicht ins Bild.
»Nur zu«, sagte sie und folgte ihm ins Bad, wo sie sich schminkte, während Clemens leise pfeifend duschte.
Sie zog sich eines ihrer zwei Sommerkleider an und arrangierte ein gemütliches Abendessen auf der Dachterrasse.
»Oh.« Clemens schien ihr Outfit zu gefallen.
Jana reichte ihm ein Glas mit gekühltem Roséwein. »Bist du mit deinen Vorbereitungen für die Hochschule schon fertig?«
Clemens nickte zögerlich.
»Nicht?«
»Zumindest hatte ich nicht vor, noch mal mit dem Auto wegzufahren.«
Das hieß, dass er doch noch arbeiten wollte. Irgendwie wurde sie nicht ganz schlau aus seinen Bemerkungen.
Kaum hatten sie mit dem Essen