Juwelennächte. Karin Joachim

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Juwelennächte - Karin Joachim


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mit der verabreichten Injektion würde ich das zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen wollen.«

      »Kommen Sie, Dr. Burgdorf«, sagte Clemens. »Sie haben doch einen Verdacht. Ich kenne Sie zu gut.«

      Der Rechtsmediziner lächelte, rückte ein wenig näher an das Kameraobjektiv heran und räusperte sich. »Also gut. Es gibt nur einen Ort, an dem wir noch Reste der Substanz nachweisen können. Bei einer oralen Aufnahme wäre das der Mageninhalt. Wegen der schnellen Verstoffwechselung werden wir im Blut nichts finden.«

      Er spannte sie wirklich auf die Folter.

      »Aus meiner langjährigen Praxis kenne ich nur einen einzigen Fall, an dem ich mitarbeiten durfte. Ansonsten nur Fälle aus der Literatur. Sie erinnern sich doch bestimmt an den als Regenschirmattentat in die Geschichte eingegangen Mord an dem bulgarischen Dissidenten Georgi Markow 1978 in London …«

      »Rizin?« Clemens’ Frage hallte noch eine Weile im Raum nach.

      »Ja, Rizin. Aber dazu müssen wir noch die Analyse des Darminhaltes abwarten. Es ist möglich, dass wir die Substanz selbst nicht mehr nachweisen können, womöglich nur ein Mittel, in dem sie gelöst wurde.«

      »Also ein nahezu perfekter Mord?«, fragte jemand in den Raum.

      Jana drehte sich um. Der Kollege der Spurensicherung hatte das wissen wollen.

      Dr. Burgdorf hatte offensichtlich die Frage verstanden. »Aber nur nahezu. Ich hoffe, dass unsere Geräte sensibel genug sind. Dass die Flecken an den Armen post mortem entstanden sind, darüber hatten wir ja bereits gesprochen«, ergänzte er. »Wenn sonst nichts mehr anliegt, würde ich gerne weiterarbeiten.«

      »Doch, natürlich. Wir benötigen noch den Zeitpunkt, an dem der Tod eingetreten ist«, sagte Clemens.

      »Hatte ich das nicht schon erwähnt? Gestern Abend gegen 21 Uhr.«

      Da hatte Jana das Bad gerade verlassen.

      »Aber der Zeitpunkt des Todes ist eigentlich gar nicht wirklich relevant, nicht wahr?«, sagte Clemens.

      »Exakt«, antwortete Dr. Burgdorf. »Eine Injektion mit dem Giftstoff kann sechsunddreißig bis zweiundsiebzig Stunden davor erfolgt sein.«

      »Das bedeutet, dass wir seine letzten drei Lebenstage rekonstruieren müssen«, murmelte Jana.

      »War es das jetzt? Der Bericht geht Ihnen noch zu«, sagte Dr. Burgdorf und schaltete den Monitor aus. Er hörte nicht mehr, wie Clemens sich bei ihm für seine Ausführungen bedankte. Als Nächstes ließ er sich vom Leiter der Spurensicherung, der ebenfalls live zugeschaltet war, auf den neuesten Stand bringen. Doch viel gab es nicht zu berichten. An dem Armbändchen mit dem Spindschlüssel befand sich Fremd-DNA. Alle waren sich einig, dass diese vermutlich von einem der beiden Schwimmmeister stammte. Zur Sicherheit würde jedoch eine Untersuchung durchgeführt. Man wollte keinesfalls etwas übersehen.

      Melanie Siemer berichtete im Anschluss über den Verlauf des Gesprächs mit Daniel Benders Eltern, das sie mit einem Kollegen der örtlichen Polizei zusammen geführt hatte. Die Todesmitteilung habe die Eltern nach einer kurzen Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens in Verzweiflung gestürzt. Hinweise zu einem möglichen Motiv konnten sie nicht geben.

      »Wir haben also nicht wirklich viel«, begann Clemens sein Resümee. »Aber das ist normal zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen.«

      Jana wies darauf hin, dass es aus ihrer Sicht am dringlichsten sei, sich mit den journalistischen Tätigkeiten von Daniel Bender zu beschäftigen. »Wenn schon Rizin im Spiel ist – ich weiß, es gibt bislang nur Indizien dafür –, dann sollten wir bedenken, dass er etwas recherchiert haben könnte, was sehr brisant war.«

      »Woran denkst du, Jana?«, fragte Clemens.

      »Es ist zwar noch zu früh, uns auf mafiöse oder sogar geheimdienstliche Vorgänge einzuschießen, woran man sicherlich zunächst denken könnte. Mittlerweile hat sich die Wirkung des Rizins ja herumgesprochen, wie wir ja immer wieder feststellen können, wenn es um Razzien im kriminellen Milieu geht.« Jana war bewusst, dass Melanie Siemer es ihr übel nahm, wenn sie sich als Tatortfotografin so sehr in den Vordergrund rückte. Doch von ihr kamen solche Gedankenspiele und Beiträge zum Fortgang der Ermittlungen viel zu selten. Und das, obwohl sie die Kriminalbeamtin war.

      »Ja, das denke ich auch«, bestätigte Clemens. Er nahm sein Handy und wählte eine Nummer, die er von einer Seite in seinem Notizbuch ablas. Alle hörten, wie er mit Katrin Anders, Daniel Benders Freundin, einen Besuchstermin innerhalb der kommenden Stunde vereinbarte. Mit einigen Anweisungen an seine Kolleginnen und Kollegen löste er die Besprechung auf, wobei Melanie Siemer der Part zugeteilt wurde, ähnlich gelagerte Fälle zu recherchieren, während sich der IT-Fachmann um Daniel Benders Handy kümmern sollte. Nun war auch klar, wer Clemens zu Katrin Anders begleiten sollte.

      »Schade, dass du keine Kriminalbeamtin bist«, sagte Clemens zu ihr, während sie in seinem Auto nach Bad Neuenahr unterwegs waren. Sie waren von der Dienststelle aus zunächst zur nahe gelegenen Tankstelle gefahren und hatten eilig ihr ausgefallenes Frühstück nachgeholt.

      »Ja, du weißt ja, ich bin leider zu alt, um noch ein Studium zu beginnen«, antwortete Jana.

      »Ich weiß«, seufzte Clemens. »Es wird immer schwieriger, Gründe zu finden, warum ich dich so intensiv in die Ermittlungen einbinde.«

      Jana traf dieses Bekenntnis noch nicht einmal unvorbereitet. Dieser Punkt war gelegentlich Bestandteil ihrer Gespräche, von Anfang an. Und es ärgerte sie, dass sie von seiner Unterstützung derart abhängig war. Fühlte sie sich doch als eigenständige und emanzipierte Frau. Sie lehnte es eigentlich ab, von einem Mann protegiert zu werden. Aber das Dienstrecht war nun einmal so, wie es war. Und darin gab es keinen Raum für eine ermittelnde Tatortfotografin. Der Kniff, den er zuletzt anwandte, bestand darin, dass sie ihm für seine Dozententätigkeit an der Polizeischule im Hunsrück zuarbeitete. Jedoch galt dies eigentlich nicht für aktuelle Ermittlungen. Immer offensichtlicher trat hervor, dass Jana sich Gedanken um ihre berufliche Zukunft machen musste.

      Als sie vor dem Mietshaus parkten, in dem sich die Wohnung von Daniel Bender und Katrin Anders befand, hatte sich der Himmel zugezogen, und ein Wärmegewitter lag drückend in der Luft. Beim Öffnen der Autotür kam Jana ein Schwall feucht-warmer Luft entgegen. Sie nahmen einige Plastikboxen mit ins Haus, in denen sie die Unterlagen des Mordopfers verstauen wollten, die sie für relevant hielten. Clemens ließ Jana den Vortritt im Treppenhaus. Gleich beim Hineingehen, nahm sie einen Geruch wahr, der in ihr unangenehme Erinnerungen auslöste. Irgendein künstlicher Duft, stechend und schwülstig zugleich. Intuitiv blickte sie sich um und vergewisserte sich, dass Clemens seine Dienstwaffe bei sich trug. Je weiter sie das Treppenhaus hinaufstiegen, desto mehr verflüchtigte sich der Geruch.

      Oben angekommen, stellten sie fest, dass die Wohnungstür nur angelehnt war.

      Jana machte Clemens mit einem Handzeichen darauf aufmerksam. Es musste nichts zu bedeuten haben, aber nachdem Daniel Bender ermordet worden war, befand sich möglicherweise auch seine Freundin in Gefahr.

      Clemens stellte die Boxen leise ab, führte seine Hand zur Waffe und öffnete die Sicherung am Holster.

      »Hallo, Frau Anders?«, rief Clemens in die Wohnung. »Hier ist Hauptkommissar Wieland.«

      Jana beschlich ein ungutes Gefühl. Clemens wirkte ruhig und konzentriert. Sie hörten Geräusche aus einem der Zimmer. Als ihnen Katrin Anders im Wohnungsflur entgegenkam, löste sich ihre Anspannung.

      »Ach, da sind Sie ja noch mal. Sie haben Ihren Kollegen gerade verpasst«, sagte sie.

      Jana und Clemens sahen einander an. Sie wussten beide nur zu gut, dass sie niemanden zu Benders Freundin geschickt hatten.

      »Von welchem Kollegen sprechen Sie?«, fragte Clemens. In seiner Stimme konnte Jana ein leichtes Zittern ausmachen.

      »Na, der junge Mann mit dem Schutzanzug. Der sagte, er sei von der Kripo und solle die Unterlagen aus Daniels Arbeitszimmer abholen. So hatten wir es doch vorhin am Telefon besprochen.«

      »Und Sie haben


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