Juwelennächte. Karin Joachim
Читать онлайн книгу.letzten Zeit so wohlgefühlt hatte, dachte sie.
»So habe ich es verstanden«, antwortete Clemens.
Das Rauschen des Wassers machte eine vernünftige Unterhaltung schwierig, und so verschob Jana das Gespräch auf später. Sie war bereits fertig angezogen und vollständig geschminkt, als Clemens aus der Dusche trat. Er beeilte sich sonst mehr.
»Tut mir leid, dass du wegen des Telefonats nun wach bist. Aber ich hätte dich sowieso wecken müssen, denn wir brauchen dich für die Fotos.« Er strich sanft über ihre noch feuchten Haare. Neuerdings ließ sie sie meist an der Luft trocknen, sodass ihre Wellenstruktur nun mehr zum Vorschein kam. Aus der Küche zog Kaffeeduft durch die Wohnung. Nachdem Jana eine Tasse Milchkaffee getrunken hatte, ging sie mit Usti kurz vor die Tür. Als sie wiederkam, stellte sie ihm sein Futter hin. Sie würde nicht allzu lange wegbleiben, vermutete Jana, als sie mit Clemens die Wohnung verließ und ihre Fotoausrüstung in seinen Wagen lud.
Innerhalb weniger Minuten erreichten sie Bad Neuenahr. Clemens lenkte den Wagen in die Beethovenstraße, von wo aus sie direkt auf das zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts errichtete Kurhaus zufuhren. Die Fassade glänzte in der Morgensonne und erinnerte an glorreiche vergangene Zeiten. Wie schnell die Zeit verging, dachte Jana, während Clemens von der Felix-Rütten-Straße, die nach dem bis 1930 amtierenden Kurdirektor benannt war, in die Zufahrt zu den Ahr-Thermen einbog und sein Auto auf dem Wendeplatz zum Stehen brachte.
»Wir müssen nach einer Bank Ausschau halten. Ach, da hinten.«
»Ich dachte in den Thermen.« Jana war verwirrt.
»Das dachte ich auch. Aber bei der Herfahrt fiel es mir wieder ein, dass der Kollege davon sprach, dass der Tote außerhalb gefunden wurde.«
Clemens hatte mittlerweile die Wagen der Kollegen entdeckt und fuhr einige Meter weiter.
»Parken auf Gehwegen ist nicht erlaubt«, murmelte Jana.
»Du möchtest sicherlich die Ausrüstung vom Parkhaus gegenüber hierhertragen.«
»Schon gut. Ich wollte nur witzig sein.«
»Ich auch«, sagte Clemens.
Beide mussten lachen.
Der Zugang zum Tatort war bereits abgesperrt, ein Zelt aufgebaut, und gerade installierten die Kollegen mehrere Sichtschutzwände. Jana holte ihre Ausrüstung aus dem Kofferraum, zog die Schutzkleidung an und begab sich schließlich gemeinsam mit Clemens zum Fundort der Leiche. Nach einer kurzen Einweisung durch einen Kollegen von der Polizeidienststelle Ahrweiler geleitete man sie unter das Zelt, das über einer Parkbank errichtet worden war. Jana war mit dem Einstellen ihrer Kamera beschäftigt und sah das Gesicht des Toten erst während ihres ersten Blicks durch den Sucher. Vor Schreck senkte sie ihre Arme.
»Clemens?«
»Jana?« Er stand noch neben ihr und analysierte die Auffindesituation.
»Du wirst es mir nicht glauben, weil ich es häufiger sage …«
»Nicht schon wieder.«
»Doch.«
»Wer ist es? Es wurden nämlich keine Papiere bei ihm gefunden.«
»Ich kenne nur seinen Vornamen. Er hat sich mir gestern als Daniel vorgestellt. Er sprach mich an, während ich mich auf der Liegewiese der Ahr-Thermen aufhielt. Gar nicht weit von hier.« Jana streckte sich, um über den Zaun hinweg aufs Gelände zu blicken.
»Mehr weißt du nicht über ihn?«
Jana schüttelte den Kopf, berichtete dann jedoch von der lauten Auseinandersetzung, deren Ohrenzeugin sie auf der Liegewiese geworden war.
»Ich könnte mir vorstellen, dass seine Papiere vielleicht noch in einem Spind in den Thermen sind.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Clemens.
Jana betrachtete den Körper des Toten, der auf den ersten Blick keine offensichtlichen Spuren von Fremdeinwirkung trug.
»Er trägt keine Schuhe. Als ich ging, lag er mit diesen Klamotten barfuß auf der Liege. Aber wieso sollte er ohne Schuhe die Thermen verlassen …?« Jana betrachtete den Toten eingehend. »Das Bändchen, das er ums Handgelenk gebunden hatte, das mit dem Schlüssel für die Garderoben. Das fehlt.«
»Hat ihm das jemand abgenommen?«, fragte Clemens den Kollegen hinter sich. Weder er noch jemand anderes wusste etwas über den Verbleib des Garderobenschlüssels. Dafür erfuhr er, dass im Laufe des Morgens mehrere Personen den Leichnam bewegt hatten. Der Mann, der ihn auf dem Weg zum Bäcker entdeckt hatte und nachsehen wollte, ob er ihm helfen könnte, sowie der Notarzt.
»Wo ist der Zeuge eigentlich?«, wollte Clemens wissen. Noch bevor ihm diese Frage beantwortet werden konnte, drängelte sich ein Mann mittleren Alters am Sichtschutz vorbei, der nicht zu einem der Einsatzteams gehörte.
»Sie sind zuständig hier?«, fragte er schroff.
»Wer sind Sie?«, fragte Clemens.
»Ich komme von der Verwaltung«, sagte der Mann und näherte sich dem Tatort.
»Moment! Sie haben hier rein gar nichts zu suchen«, blaffte Clemens. »Wir können uns gerne unterhalten, aber nicht hier und nicht jetzt.« Er wies ihm den Weg hinter die Absperrungen.
Jana verfolgte die Auseinandersetzung nur aus dem Augenwinkel, denn sie musste ihrer Arbeit nachgehen. Die Temperaturen stiegen bereits deutlich an. Während sie fotografierte, hörte sie den Mann von eben hinter ihnen auf dem Gehweg fluchen. Jana kannte derlei Begegnungen von ihren vielen Einsätzen zur Genüge. Und sie wusste, dass Clemens auf Einmischungen von Dritten nicht gut zu sprechen war.
»Sie sehen zu, dass das hier ganz schnell verschwindet! Wir sind eine Kurstadt und auf die Touristen angewiesen, die ein solcher Polizeiaufmarsch abschreckt. Fahren Sie die Polizeiwagen weg …«, dröhnte es hinter der Absperrung.
Clemens hatte genug und eilte zu seinem Kollegen, der die gesamte Wut des Mannes abbekam.
»Guter Mann«, antwortete Clemens mit ruhiger Stimme, allerdings laut genug, damit es alle Umstehenden mitbekamen. »Selbstverständlich werden wir Ihren Wünschen nachkommen. Denn es ist ja eigentlich egal, woran der Mann gestorben ist und was eigentlich genau geschehen ist.«
Heute wurde Clemens aber schnell ungehalten. Denn nichts anderes stellte diese Replik dar. Jana kannte diese ironischen Antworten nur zu gut, aber für gewöhnlich ging diesen ein etwas längeres Geplänkel mit einem Amtsinhaber voraus. Der Mann antwortete zunächst nicht, was Jana dahin gehend wertete, dass er der Ansicht war, Clemens meine es ernst und er habe mit seinen Anweisungen den erwünschten Erfolg erzielt. Jana fotografierte indes weiter, gespannt darauf, wie es mit dem Wortgefecht hinter dem Sichtschutz weitergehen würde.
»Also, nur einmal für die Akten«, hörte sie Clemens ausführen. »Selbstverständlich arbeiten wir hier so lange, wie es nötig ist. Auch wenn es Unannehmlichkeiten mit sich bringt.«
»Aber das können Sie nicht …«
»Doch! Und noch etwas: Wer ist der Betriebsleiter der Ahr-Thermen? Ich muss mit ihm sprechen.«
»Was, wieso?«
»Das kläre ich mit der zuständigen Person gerne selbst«, antwortete Clemens.
»Ich hole ihn«, sagte der Mann. Clemens trat wieder zu Jana, die ihm ein verschmitztes Lächeln zuwarf.
»Ich denke nicht, dass er eigenständig hierher gelaufen ist«, sagte Jana. Sie hatte vorhin schon ein nicht unerhebliches Detail entdeckt, das erklären könnte, wie Daniel zu dieser Parkbank gelangt war. Sie wies Clemens auf ein Tor im von Pflanzen umrankten Zaun hin, der das Schwimmbadgelände umgab. Es war anhand verschiedener Spuren deutlich zu erkennen, dass dieses erst vor Kurzem geöffnet worden war.
Jana fragte Clemens, ob überprüft worden sei, ob das Tor verschlossen war. Clemens zog einen Kollegen der Spurensicherung zu Rate, der wenige Augenblicke später feststellte, dass man es weder von außen noch von innen ohne passenden Schlüssel öffnen