Max und Moritz - Was wirklich geschah. Johannes Wilkes

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Max und Moritz - Was wirklich geschah - Johannes Wilkes


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der beiden entlaufenen Teenies?«

      »Die Stiefmutter von Max und Moritz, genau.«

      »Erwin Bolte hat die beiden Bengel mit in die Ehe gebracht?«

      »Du sagst es.«

      »Dann wundert mich gar nichts mehr.«

      »Wieso?«

      »Der Dame wäre ich auch davongelaufen.«

      »Mensch, Mütze! Noch mal von vorne. Max und Moritz haben nicht bei ihren Eltern gelebt, die beiden waren im Spreewald untergebracht, im Knabeninternat Cool-Kids, der vormaligen Besserungsanstalt Doktor Göbel.«

      »Und was suchen wir dann hier?«

      »Tante Dörte sagt, als sie Nachricht vom Tode ihres Vaters mitgeteilt bekamen, seien sie aus dem Internat getürmt und hierher nach Finsterfelde gefahren, weißt schon, zur Beerdigung. Dann aber verläuft sich ihre Spur. Die Wirtin hat eine Vermisstenmeldung aufgegeben, das war’s, niemand will sie wieder gesehen haben.«

      Nicht, dass Mütze etwas dagegen hätte, im Urlaub auf Verbrecherjagd zu gehen. Ganz im Gegenteil! Aber das hier war doch kein Verbrechen, das war ein schlichtes Familiendrama. Dafür war das Jugendamt zuständig und nicht die Kripo, fertig aus. Was sollte zwei jugendlichen Bengeln denn schon zugestoßen sein? Die beiden hatten sich, geschockt vom Tod ihres Vaters, mit ihrer Stiefmutter gestritten und waren auf in die große weite Welt.

      »Vielleicht nach Neuseeland, da wollen sie doch jetzt alle hin, wegen dieser Orks und dem Herrn der Ringe.«

      »Wegen des Herrn der Ringe.«

      »Wie bitte?«

      »Aber Mütze«, sagte Karl-Dieter, ohne weiter auf grammatische Finessen einzugehen, »wie sollten die beiden denn an Flugtickets gelangen? Die Zwillinge werden doch erst nächstes Jahr 18.«

      Mütze zog die Stirn kraus und ein Foto aus seiner Schimanskijacke: »Zwillinge? Sehen sich doch gar nicht ähnlich. Die Gesichter, die Frisur.«

      »Schon mal was von zweieiigen Zwillingen gehört?«

      Während Karl-Dieter die Sagrotanbehandlung im angrenzenden Bad fortsetzte – je älter er wurde, desto größeren Wert legte er auf Hygiene – griff Mütze zu seinem Feldstecher und spähte aus dem Fenster. Von ihrem Zimmer sah man über den verwilderten Garten der Pension und die benachbarten Felder, am Horizont begrenzte ein Wäldchen den Blick. Wenn man sich weit nach rechts lehnte, tauchte ein Flügel der alten Windmühle auf. Die Windmühle war der ganze Stolz von Finsterfelde, ihr allein war es zu danken, dass sich hin und wieder ein paar Touristen in dem Kaff verirrten, ansonsten hatte Finsterfelde nur Schlagzeilen bei der letzten Landtagswahl gemacht. Nirgendwo sonst hatten die Alten Naiven für Deutschland ein solches Ergebnis eingefahren, 88,9 Prozent. Über die Gründe hatte sogar Die Zeit gerätselt und ein Reporterteam hinausgesandt, niemand der Befragten aber kannte jemanden, der die ANfD gewählt hatte, sodass vermutlich ein Irrtum bei der Auszählung an dem Phänomen schuld sein musste.

      Mütze richtete den Feldstecher nun auf einen alten Apfelbaum, der in der Mitte des Gartens stand.

      »Seltsam«, brummte er und drehte an dem Rädchen.

      »Was ist?«, rief Karl-Dieter, während er die Zahnputzbecher kritisch inspizierte.

      »Da hängt so komisches Lametta in den Zweigen, sieht aus wie abgeschnittene Bindfäden.«

      Mütze suchte die nähere Umgebung ab.

      »Und das da, unter dem Baum, was haben all die zerbrochenen Eierschalen dort zu suchen?«

      »Wir kriegen zum Frühstück Eier von hauseigenen Hühnern«, rief Karl-Dieter, während er sicherheitshalber auch den abgewetzten Teppichboden des Zimmers mit Sagrotan bedampfte, litt er doch seit einiger Zeit unter einer ausgeprägten Fußpilzphobie. »Hab’s auf der Schiefertafel gelesen, die in der Rezeption hing.«

      »Rezeption?« Mütze lachte auf. Die verstaubte Theke hatte mit einer Rezeption ungefähr so viel zu tun wie Herne-West mit der deutschen Meisterschaft.

      Der Abend war gekommen, zu Essen gab’s im Ewigen Frieden nichts. Das Haus war eine reine Frühstückspension. Im Dorf gebe es eine Kneipe mit Abendkarte, hatte die Wirtin gemurmelt.

      »Also was ist, gehen wir?«

      »Nur noch die Türklinke«, sagte Karl-Dieter und ließ die Sagrotanflasche ein letztes Mal aufstauben.

      Drittes Kapitel

      Von einem Ortskern zu sprechen, war die reinste Übertreibung. Finsterfelde gehörte zu den Dörfern, in die man nur zwei Schritte tun konnte: einen hinein und einen hinaus. Fontane hatte in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg Finsterfeldes Übersichtlichkeit gelobt, für ironische Kommentare schien es kein dankbareres Kaff zu geben.

      »Warum ist er dann überhaupt hierhergekommen?«, wollte Mütze wissen.

      »Er wollte eigentlich nur durchfahren, da brach der Kutsche ein Rad.«

      Karl-Dieter war das wandelnde Fontanelexikon.

      »Und wie hat er sich die Zeit vertrieben?«

      »Er ist hinüber zur Windmühle, um sich einen Überblick über die Landschaft zu verschaffen.«

      »Und? Hat sie ihm gefallen?«

      »Ich glaub, nicht besonders. Zu viel Landschaft, das war nichts für Fontane.«

      Die beiden Freunde hatten ihre Jacken im Zimmer gelassen. Der Juni war heiß, die Tage lang. Mützes Magen knurrte wie ein Löwe beim Anblick einer Gazelle. Hoffentlich gab es was Vernünftiges auf die Gabel. Am liebsten ein saftiges Eisbein oder ein argentinisches T-Bone-Steak. Mann, er hatte Urlaub! Brötchendiät war was für andere, nicht für einen durchtrainierten Kriminalkommissar.

      »Und warum zum Teufel dürfen wir der Wirtin nicht verraten, was wir hier suchen?«, fragte er Karl-Dieter, als sie die staubige Dorfstraße entlanggingen. »Ich mein, sie hat doch die Vermisstenanzeige gestellt, sie dürfte doch froh sein, wenn wir uns kümmern.«

      »Tante Dörte hat gemeint, wir sollten vorsichtig sein und zunächst undercover ermitteln.«

      Tante Dörte! Das Wort seiner Ziehmutter war Karl-Dieter heilig. Mit Max und Moritz war die Tante weitläufig verwandt, so viel hatte Mütze verstanden. Der verstorbene Vater der Zwillinge, Erwin Bolte, sei Tante Dörtes Schwippcousin gewesen, was immer ein Schwippcousin auch war. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter habe sie die Jungen in den Ferien immer mal wieder bei sich in Dortmund-Dorstfeld zu Gast gehabt, ganz bezaubernde Jungs, wie sie stets betonte. Und Max und Moritz müssen sich bei ihr pudelwohl gefühlt haben, ja es hätte stets Tränen gegeben, wenn der Abschied nahte, wusste Karl-Dieter. Nach Ablauf des Trauerjahres habe Erwin Bolte erneut geheiratet, die Wirtin des Ewigen Friedens aus Finsterfelde. Mit ihrer Stiefmutter aber hätten sich die Jungs überhaupt nicht verstanden, deshalb das Internat im Spreewald.

      »Aber warum eine Besserungsanstalt? Sind die beiden denn solche Strolche gewesen?«

      »I wo! Tante Dörte hat stets von ihnen geschwärmt, ich weiß auch nicht, warum es der Spreewald sein musste.«

      »Und warum die Undercover-Geschichte? Hat Tante Dörte dir gegenüber einen Verdacht geäußert? Traut sie der Wirtin nicht?«

      »So direkt hat sie das nicht gesagt.«

      Mütze schüttelte leise den Kopf und verzog das Gesicht. Solche Zeugen liebte er. Andeutungen machen, aber nicht mit der Sprache rausrücken. Glaubte Tante Dörte allen Ernstes, die Wirtin habe ihre beiden Stiefsöhne um die Ecke gebracht?

      Die Kneipe Zum Großen Kurfürst war so heruntergekommen wie alles in Finsterfelde. Ein bärtiger Mann mit Hut saß einsam an der Theke und schien damit


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