Wenn Löwen weinen. Mick Schulz

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Wenn Löwen weinen - Mick Schulz


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die Wand zu und fuhr mit der Hand fast liebevoll über den Kopf des Riesenfisches. »Vielleicht ist es sein letztes … Irgendwann musste er ja auffliegen. Er hatte sich ja nicht nur Freunde gemacht. Vor zwei Jahren wurde sogar eine Belohnung für denjenigen ausgesetzt, der seine Identität aufdeckt. – So, das wär’s. Das Material steht Ihnen in knapp einer Stunde zur Verfügung. Schönen Tag noch.« Er schob seine Kamera ins Futteral und machte seinen Kollegen ein Zeichen.

      »Ebenso, und besten Dank für die Infos«, erwiderte Hella. Dann rief sie nach Tom. Der Unmut darüber, dass er ab heute ihre Anweisungen befolgen sollte, stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Fällt Ihnen etwas auf, wenn Sie das Bild betrachten?«, fragte sie ihn.

      »Nein, bin ja kein Kunstsachverständiger.«

      »Schade, den könnten wir jetzt gut gebrauchen.«

      »Deswegen haben Sie mich doch nicht gerufen …«

      »Nein, natürlich nicht. Bitte befragen Sie alle Mieter in diesem Haus und auch die der benachbarten, ob ihnen etwas Verdächtiges – ein lauter Streit oder Ähnliches – aufgefallen ist. Gehen Sie allen Hinweisen nach, die uns helfen könnten, den Tathergang zu klären und die Identität des Opfers festzustellen.«

      »Was meinen Sie, was ich seit über zwei Stunden tue?«

      »Gut so. Rufen Sie mich an, wenn es Neuigkeiten gibt. Ich habe volles Vertrauen in Sie, Tom.«

      »Und Sie?«

      »Machen Sie sich um mich keine Sorgen, für mich bleibt genug zu tun.«

      Er zog wortlos ab. Ob er jemals akzeptieren würde, dass er die Nummer zwei war? Erst dann konnte es zwischen ihnen funktionieren, dachte Hella, worauf sie sich in ihren Einsatzwagen setzte und sich vom Navi wieder auf den Ring dirigieren ließ. Schließlich warteten auf dem Kommissariat noch andere Kollegen auf Arbeit.

      Zurück in der Münzstraße begab sich Hella auf direktem Weg zu Senge.

      »Der Kriminalrat erwartet Sie«, sagte die Sekretärin, als handelte es sich um eine Dienstaufsichtsbeschwerde.

      »Wie kann er das, wo ich mich doch gar nicht angekündigt habe?«, erwiderte sie gut gelaunt. Doch dem rhabarbersauren Gesicht der Sekretärin zu entnehmen, fehlte dieser offenbar jeglicher Sinn für Ironie. Roswitha Stengler – wenn das Namensschild, das am Monitor ihres Computers klebte, nicht log – griff zum Telefon. Da stand Senge bereits in der Tür und dirigierte Hella in sein Büro.

      »Musste das sein?« Er bot ihr den Stuhl vor seinem Schreibtisch an.

      »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

      »Tom hat mich angerufen, du würdest mit ihm umspringen, als sei er dein Leibeigener. Wir sind hier ein Team, Hella, und die anderen sind nun einmal länger hier als du. Tom hat in der Zeit, in der deine Stelle unbesetzt war, die Leitung der Fälle übernommen. Wir sind ihm dankbar dafür. Es gibt keinen Grund, ihn wie …«

      Senge duzte sie plötzlich, das klang familiärer, machte die Situation aber nicht einfacher. Also daher wehte der Wind. »Vor Ort waren nur er und ich, Ludger. Also habe ich ihm die Befragung der Leute übertragen. Das ist Routinearbeit, wenn auch viel davon abhängt, und gerade Tom wird sie gut machen, weil er so viel Erfahrung hat.«

      »Das ist es nicht, Hella, der Ton ist es. Der Ton macht die Musik.«

      Sie spürte den Stau in ihrem Hals. Aber Senge war noch nicht fertig.

      »Nicht alles funktioniert gleich reibungslos, da muss man eben Fingerspitzengefühl beweisen …«

      Das sogenannte Feeling fehlte ihr also auch. Der zweite Tag im Dienst und ihre Aussichten auf eine kollegiale Zusammenarbeit waren erschreckend geschrumpft.

      »Vielleicht ist es das, was du zuerst hier lernen musst. Wir alle müssen lernen, jeden Tag.«

      Eigentlich konnte sie das nicht auf sich sitzen lassen. – Aber dann sah sie in die verzweifelten Augen des Kriminalrats und dachte an ihren Vater, ihren Dad, wenn ihn die Sorgen fast erdrückten …

      Sie schwiegen eine Weile.

      »Ich leite also nach wie vor die Ermittlungen in dem Fall und setze meine Leute so ein, wie ich es für richtig halte?«, fragte sie dann und schaute von unten zu ihm hinauf.

      Senge seufzte. »Natürlich, Hella.«

      »Dann soll Tom weiterhin die Befragungen durchführen. Wir kennen immer noch nicht die Identität des Toten. Das, was auf der Fassade zu sehen ist, erinnert irgendwie an Straßenherz. Fragt sich nur, wer wirklich dahintersteckt.«

      »Die von der Gerichtsmedizin haben mir einigermaßen gute Aufnahmen auf mein Smartphone geschickt …«

      Ach nein, und warum hatte sie die nicht längst?

      Senge ahnte wohl, was sie sagen wollte. »Ich hatte gerade vor, sie dir zu mailen, Hella, aber da warst du bereits hier …«

      »Mein Fingerspitzengefühl sagt mir, dass ich jetzt besser schweigen sollte …«

      »Ein bisschen mehr Vertrauen könnte auch nicht schaden«, erwiderte er und bedeutete ihr mit einem Wink, dass für ihn die Unterredung beendet war.

      »Ich bin der Kai«, sagte Fischbach und kaute ungerührt weiter an seinem Salami-Baguette. »Dass ich mittlerweile zum Inventar gehöre, hat man Ihnen sicher bereits verraten.«

      »Freut mich, Kai. Ich weiß Erfahrung und Zuverlässigkeit zu schätzen«, hörte sich Hella sagen. Das klang verdammt nach einem Satz aus dem Lehrbuch für Mitarbeiterführung. Zweifellos Senges Einfluss.

      »Ich kannte Ihren Vater. Wir haben fast dreizehn Jahre zusammengearbeitet. Am Anfang waren wir nicht gerade die besten Freunde, aber mit der Zeit …«

      Jedenfalls zeigte der Kollege nicht gleich die Zähne. »Ich brauche Ihre Hilfe, Kai. Es geht um den Tod des Sprayers in der Weststadt. Seine Identität ist noch nicht geklärt. Werfen Sie einen Blick in Ihren Postkasten. Ich habe Ihnen Fotos des Toten aus der Gerichtsmedizin zugemailt. Checken Sie die aktuellen Vermisstenzugänge, und wenn das keine Ergebnisse bringt, senden Sie die besten Fotos an die Medien: Internet, Landesfunk, Regionalfernsehen und so weiter. Wir brauchen eine lückenlose Fahndung auf allen Ebenen. Sie sind mein Mann der Stunde …«

      »Aber in einer Stunde werde ich das kaum …« Seine Begeisterung schien sich in Grenzen zu halten.

      »Sie schaffen das, Kai. Ich brauche übrigens auch jemanden, der sich in der Street-Art-Szene auskennt.«

      Fischbachs Augen erhellten sich. »Damals, wissen Sie, als ich noch mit Kollege Brumby auf Streife war, da sind uns beinahe zwei dieser Schmierfinken in die Falle gegangen. Wir hatten sie eingekreist, aber in der Dunkelheit … Bei der Verfolgung ist Hannes, also der Kollege Brumby, über eine Mülltonne gestolpert und hat sich den Steiß angeknackst, lag danach drei Wochen im Krankenhaus …«

      Das klang nicht gerade Erfolg versprechend, aber sie musste jeden verfügbaren Mitarbeiter einbinden. »Haben Sie eine Idee, wie wir mit der Szene Kontakt aufnehmen könnten?«

      »Was die machen, ist nicht immer legal, deshalb ist keiner scharf darauf, es mit der Polizei zu tun zu haben.«

      »Aber es ist eine Chance herauszufinden, wer der Tote ist. Sie müssen mir helfen.«

      Sie ahnte, dass Fischbach ein Frauenversteher war. Und er reagierte prompt: »Wir könnten es anders versuchen, Hella. Es gibt ja nicht nur den Underground. Einige machen das ganz seriös und beruflich. Aber die wissen natürlich voneinander. Vielleicht findet sich auch etwas im Internet …«

      »Dann mal los!«

      »Das hat Ihr Vater auch immer gesagt.«

      »Ich bin jederzeit erreichbar. Und bitte, tu mir einen Gefallen, Kai. Nenn die Straßenkünstler in meiner Gegenwart nie wieder Schmierfinken.«

      Seit über einer Stunde keine Rückmeldung. Auch von Tom keine Nachricht. Hella saß an ihrem Schreibtisch, vor sich die Galerie der gesammelten Werke von Straßenherz, soweit


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