Wenn Löwen weinen. Mick Schulz
Читать онлайн книгу.fragte er, kaum dass sie das Handy vom Ohr genommen hatte.
»Keine weiteren Anhaltspunkte.«
»Es kann Zufall sein, aber bitte erklär mir einer, was Jelinski in der Weststadt zu suchen hatte«, sagte Fischbach und stopfte sich etwas Thunfisch in den Mund.
Wieder das Handy. Désirée Jelinski. »Wir kommen«, sagte Hella und zwinkerte Fischbach zu.
Sein Wagen stand gleich um die Ecke, und bis zur Wohnung der Jelinskis am Prinzenpark waren es nur wenige Minuten.
»Mit einem einfachen Polizistengehalt kommt man in dieser Gegend nicht weit«, seufzte Kai, als er den Motor abstellte. »Aber um das zu schaffen, muss man Karriere machen, Karriere um jeden Preis …« Er seufzte.
Fischbachs larmoyanter Unterton gefiel ihr nicht. Hella kannte diese Sprüche von ihrer alten Dienststelle. Hoffentlich gehörte Fischbach nicht auch zu der Sorte Frustschieber, die andere nur ausbremsten. Leider konnte sie sich die Kollegen nicht aussuchen.
Die Witwe öffnete ihnen selbst die Haustür. Nach dem Schock am Morgen wirkte sie wieder aufgeräumt. »Entschuldigen Sie«, wandte sie sich sofort an Hella, »das Gartenhaus hatte ich ganz vergessen. Wir nutzen es als Abstellkammer für ausrangierte Möbel und allerlei Krimskrams, betreten es aber kaum. Ich jedenfalls bin dort eine Ewigkeit nicht mehr gewesen. Ich zeige es Ihnen gern, bitte kommen Sie mit.«
Hinter der Villa erstreckte sich ein von einer alten Linde überschattetes Wiesengrundstück, an dessen Ende das von Sträuchern überwucherte Gartenhaus lag. Die Holztür ließ sich nur schwer öffnen, worauf ihnen der starke Geruch von Fäulnis und Moder entgegenschlug. Zwei kleine Fenster erhellten den Innenraum, der mit alten Holzmöbeln zugestellt war.
»Bernhard konnte sich so schwer trennen, wissen Sie. Das sind noch Stücke von seinem Vater«, sagte Désirée Jelinski.
Hellas Aufmerksamkeit lag auf etwas anderem. »Fällt dir was auf, Kai?«, fragte sie. Warum sollte der Kollege nicht arbeiten? Dann kam er wenigstens nicht auf falsche Gedanken. Fischbach ließ die Blicke schweifen, allerdings ohne einen Geistesblitz folgen zu lassen.
»Staub … Auf dem Schreibtisch befindet sich kein Stäubchen, als hätte jemand gewischt.«
»Ja, und Spinnweben gibt es auch nicht.« Fischbach war offenbar aufgewacht.
Sie öffneten alle Schränke und Schubladen, gerieten jedoch nur an fleckige Postkarten und vergilbte Romane. Wenn die Leiche Straßenherz gewesen war, dann machte er sie noch nach seinem Tod zum Affen, dachte Hella. »Nichts, ich glaube, wir sind hier …«
»Moment, Hella«, bremste jetzt Fischbach, offenbar hatte er vorhin ihre Gedanken gelesen. Mit dem Fuß schob er das Stück abgewetzten Teppich zur Seite, anscheinend wollte er beweisen, dass er nicht zu den Frustschiebern zählte, die nichts als Dienst nach Plan verrichteten. Unter dem Teppich befanden sich allerdings nur morsche Dielen und flüchtende Kellerasseln. Hella hätte ihm den Erfolg gegönnt.
»Danke Kai, aber ich glaube, wir sind hier fertig.«
Fischbach schien es nicht gehört zu haben, jedenfalls begann er, die Wände abzuklopfen. Zuerst die Wand zur Gartenseite, dann die Rückwand, anschließend nahm er sich die Wand an der Grundstücksmauer vor, als es plötzlich hohl klang.
Kommissariat Mitte. Fischbach sei es zu verdanken, dass sie das Ergebnis vorweisen könnten, betonte Hella dem Kriminalrat gegenüber, als sie ihm kurz vor drei in seinem Büro Bericht erstattete. »Jelinski versteckte seine Entwürfe und sein Arbeitsmaterial in einer Art Geheimfach in der Mauer des Gartenhauses. Offenbar bereitete er seine Arbeiten präzise vor, wie aus den Entwürfen zu erkennen war. Die Kollegen von der KTU werden sich das noch näher anschauen.«
Senge lief vor dem Schreibtisch nervös auf und ab und knetete seine bleichen Hände. »Der Direktor unseres bekanntesten Museums ist also Straßenherz. Eine Sensation … Ich meine, eine traurige Sensation.« Der Kriminalrat war anscheinend ebenso erstaunt über die doppelte Identität Jelinskis wie die Witwe. »Wir dürfen jetzt nicht durchdrehen, verstehst du, Hella«, murmelte er, während er sich die wenigen Haare auf seinem Kopf raufte. »Wir konzentrieren uns ganz auf die solide Polizeiarbeit, Schritt für Schritt …«
Was sonst, dachte sie, aber sie verstand seine Anspannung in der Situation. Alle Augen richteten sich plötzlich auf seine Abteilung, und jeder Fehler zählte doppelt. Vielleicht würde es der Fall seines Lebens werden, sein Name auf Gedeih und Verderb mit ihm verknüpft sein …
»Es könnte der Fall deines Lebens werden, Hella. Du hast das Zeug dazu, ihn zu lösen, und ich habe Vertrauen zu dir. Also, enttäusche mich nicht!«
Ach ja, natürlich. Wie konnte sie das nur vergessen? – Im Zweifelsfall blieb der schwarze Peter immer an den Ermittlern hängen.
»Ich weiß, was zu tun ist, Ludger«, erwiderte sie. Der Kriminalrat nickte wortlos. Offenbar war er in Gedanken bereits weit weg, als es an der Tür klopfte und die Sekretärin erschien. Noch bevor sie »Pressekonferenz« ganz ausgesprochen hatte, eilte Senge bereits hinaus.
16.58 Uhr, seit dem Frühstück hatte Hella nichts gegessen. Die Kantine war längst geschlossen, wenigstens gab es dort einen Sandwich-Automaten. Sie wollte sich soeben aufmachen, als Tom mit seinem Bubencharme in der Tür zu ihrem Büro stand, den morgendlichen Anruf bei Senge schien er völlig vergessen zu haben.
»Glückwunsch zu dem Erfolg«, sagte er. »Manchmal wächst der gute Kai direkt über sich hinaus.« Natürlich musste er betonen, dass Fischbach das Versteck des Malers gefunden hatte und nicht sie. Das war zu erwarten gewesen, trotzdem fiel es ihr nicht leicht, sich ein Lächeln abzuringen. Friede zwischen ihnen war noch nicht in Sicht …
Tom Seipold drehte den Stuhl vor ihrem Schreibtisch um und schwang sich demonstrativ locker auf die Sitzfläche. »Hier mein Kurzbericht. Ich habe noch einmal den Zeitungsjungen und die Mieter von Haus Nummer acht befragt«, begann er. »Außerdem soll sich der Hauswart bei uns melden, wenn er etwas in Erfahrung bringen kann, das uns bei der Rekonstruktion der Tat helfen könnte.«
»Also für mich bitte noch mal von vorn, Tom.«
»Dem Zeitungsjungen ist kurz vor sechs das Geschmiere auf der Fassade von Nummer acht aufgefallen und dass etwas davor am Boden lag. Er konnte aber von der Straße aus nicht erkennen, dass es sich um einen Menschen handelte. Erst später dämmerte es ihm …«
»Wann genau war das?«
»Etwa eine halbe Stunde danach, also gegen 6.30 Uhr, als er mit dem Fahrrad nach Hause fuhr. Er blieb dann stehen und schaute nach, weil ihm das Ganze verdächtig vorkam. Als er entdeckte, dass in den Klamotten ein Toter steckte, benachrichtigte er sofort die Streife. Der Junge war fix und fertig. Ich glaube kaum, dass er etwas mit der Tat zu tun hat.«
»Möglich ist aber, dass er unbewusst Zeuge von etwas wurde, von dem er nicht ahnt, dass es uns weiterführt …«
»Mir hat er jedenfalls gesagt, dass ihm nichts weiter aufgefallen ist.«
»Gibt es in diesem Viertel eine Bürgermiliz oder Ähnliches, die nachts patrouilliert?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Dann bringen Sie es bitte in Erfahrung.« Die Art, wie er sie angrinste, provozierte sie, aber er sollte es nicht schaffen, sie aus der Reserve zu locken. Außerdem hatte sie nicht die geringste Lust, wieder bei Senge antanzen zu müssen. »Gibt es etwas von den Nachbarn zu berichten?«
»Angeblich haben sie nichts gesehen und gehört. Zwei Parteien hatten den Fernseher aufgedreht wegen der Fußballübertragung, außerdem war Alkohol im Spiel; ein Rentnerehepaar ist bereits nach den Zwanzig-Uhr-Nachrichten ins Bett gegangen; eine Alleinstehende hat Schlaftabletten genommen. Soweit die erste Spurenermittlung ergeben hat, fanden sich auf dem knochenharten Boden keine Druckstellen, die auf einen Kampf schließen lassen. Der Tathergang liegt also noch ziemlich im Dunkeln. Wir wissen nur eins: Auffindeort ist auch Tatort.«
»Und was macht Sie da so sicher?«, unterbrach sie ihn.
»Soweit die KTU