Das qualitative Interview. Manfred Lueger

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Das qualitative Interview - Manfred Lueger


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jene Zuschreibungen beeinflusst, mit denen Forscher*innen im Unternehmen belegt werden (z. B. Abgesandte des Vorstandes) und die nachhaltige Effekte auf die Forschungsarbeit haben können (z. B. Kooperationsbereitschaft, Gesprächsklima). Deshalb wurden für die hier thematisierte Studie drei Positionierungselemente berücksichtigt:

      •Es wurde ein Organisationsmitglied als Koordinationsstelle zwischen Forschung und Unternehmen gesucht. Diese Person sollte drei Anforderungen erfüllen: (a) aufgrund des Konfliktes zwischen Vorstand und Belegschaft sollte sie strukturell vom Vorstand distanziert sein (Abkoppelung der Forschung vom Vorstand als Auftraggeber); (b) sie sollte das Unternehmen zumindest grob überblicken und über relativ gute Kontakte zu möglichst vielen Unternehmensbereichen verfügen (feldinterne Reflexionsexpertise); (c) sie sollte nicht in aktuelle Konfliktlinien involviert sein (organisationsinterne Akzeptanz). Der letztlich ausgewählte Koordinator fungierte als zentrale Anlaufstelle für das Forschungsteam, verhandelte Forschungsentscheidungen und organisierte im Unternehmen die Forschungsaktivitäten.

      •[37]Aufgrund der Konfliktsituation wurde allen an der Untersuchung teilnehmenden Personen Anonymität zugesichert. In diesem Sinne bezogen sich die Analyseergebnisse ausschließlich auf Strukturen und Prozesse der Organisation (und nicht auf Personen). Diese Anonymität wurde aufgrund der angespannten Situation (Konkurrenzprobleme am Markt) auch dem Unternehmen zugesichert.

      •Um darüber hinaus Vertrauen zu gewinnen, wurde ausgehandelt, dass alle Mitarbeiter*innen die Möglichkeit bekommen, über die Ergebnisse informiert zu werden (Feedback). Als vertrauensbildende Maßnahme sollte dies eine einseitige Verfügung über die Ergebnisse verhindern.

      Als erste Informationsbasis fungierten die mit dem Vorstand geführten Aushandlungsgespräche über die Forschungsarbeit, weil die Problemsicht und die Vorstellungen über mögliche Ergebnisse bzw. Problemlösungsstrategien wichtige Erkenntnisse über organisationsinterne Prozesse versprachen. Diese Gespräche fokussierten die Beziehungen zwischen verschiedenen (weltweit verstreut tätigen) Betrieben und internen Bereichen, wobei die Entwicklung des Gesamtunternehmens, die Geschäftsaktivitäten, die Unternehmensstrategien und die spezifische Problemlage im Unternehmen im Zentrum standen (feldinterne Reflexionsexpertise aus der Perspektive der Unternehmensleitung).

      Als Informationsbasis zur Projektdurchführung fungierten Gespräche mit dem Koordinator als feldinterner Reflexionsexperte. Das Erstgespräch mit diesem erfüllte drei Funktionen: Erstens wurde das vorgesehene Projekt ausführlich besprochen; zweitens vermittelte dieses Gespräch eine Orientierung über die Struktur, die internen Differenzierungen und Besonderheiten der Organisation; drittens erfolgte eine Absprache über die konkrete Durchführung (mögliche Ansprechpersonen). Thematisiert wurde hierbei, worauf man achten könnte oder mit wem man sprechen müsste, wenn man das Geschehen in der Organisation und deren Funktionsweise verstehen will. Auch in den weiteren Gesprächen mit diesem Koordinator stand das unternehmensinterne Reflexionswissen im Zentrum, allerdings nunmehr zentriert auf die Beziehungen zwischen den Organisationseinheiten. Die Analyse dieser Gespräche diente dem ersten Basisverständnis und bereitete die weiteren Gespräche für den ersten Zyklus der Hauptforschungsphase vor.

      c)Die Vorgangsweise in der Hauptforschungsphase

      •Erster Zyklus: Auf der Grundlage der ersten Analyseergebnisse wurde mit dem Koordinator eine Vorgangsweise ausgehandelt, um entsprechend dem jeweiligen Analysestand nach bestimmten Kriterien Gesprächsrunden zu organisieren, die feldinterne Handlungs- und Reflexionsexpertisen betrafen. Solche Kriterien waren auf der Ebene von Handlungsexpertisen etwa Verbindungen in einem spezifischen Handlungsfeld oder direkte Kooperationsbeziehungen. Zur Aktivierung feldinterner Reflexionsexpertisen wurden in Einzel- und Mehrpersonengesprächen Organisationsmitglieder einbezogen, [38]die Schnittstellen zum unternehmensrelevanten Umfeld oder innerhalb der Organisation besetzten. Mit dieser Vorgangsweise sollten organisationsinterne Beziehungsstrukturen bereits in die Gesprächszusammenstellung eingehen. Konsequenterweise boten die Schilderungen, wie die Teilnehmer*innen einer Gesprächsrunde zu dieser gestoßen sind, den Gesprächseinstieg, um so die Kommunikationsbeziehungen in der Organisation zu (re-)konstruieren.

      Im Sinne des theoretischen Samplings (vgl. Glaser/Strauss 2010: 61ff.) wurde dem weiteren Analysefortschritt gemäß versucht, verschiedene für das Verständnis der Organisationsdynamik jeweils sensible feldinterne Expertisen in den Gesprächen zu aktivieren: Beispielsweise fanden Gesprächsrunden mit Mitarbeiter*innen von Betrieben statt, die erst vor kurzer Zeit zum Unternehmensverbund gestoßen waren (Neulinge, Außenseiter), mit Mitarbeiter*innen alter Kernbereiche des Unternehmens (Unternehmenstradition), mit Mitarbeiter*innen in ausführenden Tätigkeiten (Ausloten der Stimmung) und mit besonders exponierten Führungskräften (Konfliktpositionen).

      Den analytischen Kernbereich bildete in diesem Zyklus die Ermittlung der zentralen Konfliktlinien und der diesen zugrundeliegenden organisationalen Differenzen. Ferner wurde untersucht, woran sich die verschiedenen Gruppen im Unternehmen orientieren und wie sie ihre jeweils spezifische Argumentations- und Handlungsorientierung aufbauen. Die Gespräche dieser Phase blieben sehr offen, um einen möglichst gründlichen Überblick zu bekommen.

      Zweiter Zyklus: Nach dieser ersten Phase der Gesprächsführung und Interpretation wurden nach einem Zwischenschritt zur Forschungsreflexion Gesprächsrunden für eine zweite Analysephase zusammengestellt, die nunmehr drei Funktionen erfüllen sollte: (a) die Ergänzung im Sinne der Differenzierung und der Überprüfung der Verlässlichkeit von bis dahin erhobenen Perspektiven und Interpretationen; (b) die Präzisierung der Dynamik der Auseinandersetzung zwischen den beiden im ersten Zyklus identifizierten Unternehmensphilosophien; (c) die verstärkte Orientierung an den Handlungsweisen der Organisationsmitglieder.

      Im Gegensatz zum ersten Zyklus bildete nunmehr die Berücksichtigung struktureller Ähnlichkeiten im Sinne des theoretischen Samplings die zentrale Auswahlstrategie, um die Plausibilität der bisherigen Argumentation zu überprüfen. Die Gespräche dieses Zyklus zentrierten sich zunehmend auf die Wirkungen der Organisationsphilosophien im Unternehmen. Darüber hinaus wurde bei der Auswahl der Gesprächspartner*innen verstärkt darauf geachtet, ob sie in den Gesprächsrunden innerhalb einer Unternehmensphilosophie oder übergreifend zusammengesetzt wurden. Dazu kamen Mitarbeiter*innen aus Arbeitsbereichen, die entweder im Zentrum des Konfliktes standen oder sich in neutraler Distanz dazu hielten. Aufgrund der unterneh-[39]mensinternen Kommunikationsbarrieren zwischen manchen Bereichen verfügten die Gesprächspartner*innen in all diesen Fällen über ein hochspezialisiertes Handlungs- und Reflexionswissen.

      •Dritter Zyklus: Neben letzten unternehmensinternen Klärungen wurden in diesem Zyklus nun auch externe Expertisen in Anspruch genommen, weil sich aufgrund der Analyse zwei Kontextbereiche als besonders relevant für das Verständnis des Falles erwiesen: ein Gespräch mit einem Branchenexperten (Erkundung der Branchenentwicklung) und ein Gespräch mit einem Experten für Finanzierungsfragen, weil diese Punkte in den Konflikten eine gewichtige Rolle spielten. Diese Gespräche sollten die spezifischen Rahmenbedingungen der Konfliktgenese und die Einbindung des Unternehmenskontextes in die Organisationsdynamik der Untersuchung zugänglich machen.

      Insgesamt ist bei diesem Forschungsdesign festzuhalten, dass deutlich mehr Gespräche geführt wurden, als tatsächlich einer extensiven Sinnauslegung unterzogen werden können. Dies hat vorrangig zwei Gründe:

      •Erstens ist es aus Gründen der Qualitätssicherung nötig, möglichst vielfältiges Material zu generieren, um eventuelle Abweichungen oder Besonderheiten in der Organisation aufspüren zu können. Gerade in den abschließenden Forschungsphasen ist es wichtig, jene Stellen zu sondieren, die den Ergebnissen widersprechen könnten.

      •Zweitens wird in den Gesprächen auch Beziehungsarbeit geleistet; das gelingt aber nur, wenn man auf breiterer Ebene den Kontakt sucht.

      Da aber faktisch immer nur wenige Interviews einer ausführlichen Analyse unterzogen werden, wurden die in Kapitel 5 angeführten Grundregeln berücksichtigt: Die Basis für die ausführliche Analyse bildete ein Aushandlungsgespräch mit dem Vorstand und ein Vorbereitungsgespräch mit dem Koordinator. Ausschnitte dieser Gespräche


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