Das qualitative Interview. Manfred Lueger

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Das qualitative Interview - Manfred Lueger


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für die Untersuchung von Einstiegsphasen von Gesprächen sowie von Schlüsselstellen oder Resümeephasen ein zentrales Analyseverfahren bildeten, standen im zweiten und dritten Zyklus eher Systemanalysen sowie Themenanalysen im Vordergrund. Ein Schlüsselelement bei der Analyse bildete generell die Variation der Perspektiven, indem man verschiedene Sinnhorizonte organisationalen Wissens kontrastiert und daraus Normalitätsfolien für unterschiedliche Kollektive von Akteur*innen ermittelt, um auf diese Weise das Zusammenspiel sehr verschiedener Handlungsstrategien zu erkennen. Die systematische Differenzierung in unterschiedliche feldinterne Handlungs- und Reflexionsexpertisen macht es möglich, die Dynamik wechselseitiger Koordination zu verstehen.

      Die Gespräche mit externen Expert*innen wurden entweder einer Themenanalyse unterzogen (siehe Abschnitt 5.4) oder einfach in Hinblick auf die manifes-[40]ten Aussagen zusammengefasst (siehe Abschnitt 5.5) und keiner weitergehenden Sinnauslegung unterzogen.

      d)Ergebnisse der Studie

      Im letzten Schritt bleibt zu klären, zu welchen Erkenntnissen diese methodische Vorgangsweise führte. Diese Frage soll abschließend auf drei Ebenen kurz erläutert werden:

      •Die Studie konnte nachweisen, dass das ursprüngliche Interesse seitens des Unternehmens, nämlich eine elaborierte Informationsstrategie zu entwickeln, an einem völlig falschen Punkt angesetzt hatte. Da im vorliegenden Fall das Vertrauen zwischen dem Vorstand und der Belegschaft zerstört war, wurden alle Initiativen in ein spezifisches Organisationsverständnis integriert, das alle Versuche des Vorstands zur Informationsverbesserung vor einem negativen Szenario interpretierte und den Widerstand der Belegschaft weiter befeuerte. Allerdings konnte die Studie zeigen, wie dieses Misstrauen als Problemhintergrund entstand und welche Ereignisse und Handlungsweisen es erhalten und stabilisieren (Ansatzpunkte für die Bewältigung).

      •Auf wissenschaftlicher Ebene ergaben sich eine Reihe von Ergebnissen mit grundlagentheoretischer Bedeutung: So zeigte die Analyse beispielsweise, wie die alltagspraktische Interpretation der Geschehnisse im Unternehmen eine Eigendynamik gewinnt, die sich der Kontrolle der Akteur*innen weitgehend entzieht. Die im Entwicklungsprozess ausgebildete Polarisierung zwischen zwei verschiedenen Sichtweisen des Unternehmens führte so weit, dass in manchen Bereichen eine Verständigung aufgrund der kontextuell ausdifferenzierten Bedeutungshorizonte kaum mehr möglich war. Damit lässt sich erklären, warum und wie sich ganze Unternehmensbereiche wechselseitig nachhaltig in ihrer alltäglichen Arbeit blockierten, obwohl alle Beteiligten mit enormem Engagement zum künftigen Erfolg des Unternehmens beitragen wollten. Die Studie machte darüber hinaus deutlich, wie ein lang anhaltender Erfolg zu einem massiven Entwicklungshemmnis werden kann. In diesem Zusammenhang ergaben sich auch wichtige Erkenntnisse über Lernprozesse in Organisationen, wobei diese Erkenntnisse einen blinden Fleck ähnlicher Untersuchungen beleuchten, dass nämlich der Erwerb von Abwehrstrategien einen wichtigen Schutzmechanismus der Belegschaft bildet und einen zentralen Lernbereich in Organisationen darstellt.

      •Darüber hinaus konnten auch methodische Erkenntnisse zur Durchführung solcher Analysen gewonnen werden: In Konfliktfeldern, so zeigte beispielsweise die Dynamik des Forschungsprozesses, verändern sich mit dem Fortschreiten der Erhebung die Zugangsbedingungen zum Feld. So waren am Beginn die Rahmenbedingungen durch Abwehr geprägt, welche die Ausgrenzungsstrategie im Unternehmen reproduzierte. Mit der Herstellung der ersten halbwegs vertrauensvollen Beziehung schlug dieses Misstrauen in große Offenheit um, wofür zwei Aspekte mitentscheidend waren: Forsch-[41]er*innen agieren organisationsintern gleichsam grenzüberschreitend, wissen daher innerhalb kurzer Zeit mehr (bzw. Anderes) über bestimmte (vorrangig ‚grenzüberschreitende‘) Vorgänge im Unternehmen als die Gesprächspartner*innen selbst. Die Zustimmung zu einem Gespräch produzierte einen Druck auf Offenheit, weil die Gesprächspartner*innen (gerade aufgrund der massiven Kommunikationsbarrieren im Unternehmen) nicht wissen konnten, was die Forscher*innen bereits wissen und was nicht, aber annehmen konnten, dass sie über eine Fülle an Informationen verfügten. Letztlich reagieren die Gesprächsteilnehmer*innen auf ihre direkten oder indirekten Erfahrungen in Hinblick auf die Seriosität der Forscher*innen.

      Mehrere Punkte sollten an dieser Stelle noch festgehalten werden: (a) Es ist wichtig, Problemdefinitionen, die an die Forschung herangetragen werden, nicht einfach zu übernehmen, sondern kritisch zu hinterfragen. (b) Wissenschaftliche und praktische Erkenntnisinteressen können deutlich auseinanderklaffen und sollten daher klar voneinander getrennt werden. (c) Man sollte die meist ausgeprägte Heterogenität des Feldes berücksichtigen, um für die Forschung angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen, und sich nicht vorschnell von einer Gruppe instrumentalisieren lassen. (d) Jede Forschungsarbeit sollte auch einer methodischen Reflexion unterzogen werden.

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