Die Befragung. Armin Scholl
Читать онлайн книгу.von einem bestimmten Ereignis, etwa von einer Messe, erfolgt, werden Zeitintervallstichproben eingesetzt. Diese sind zeit- und ortsabhängig. Es handelt sich in der Regel um mehrstufige Stichproben, bei denen im ersten Schritt die Befragungsorte ausgewählt werden, zum Beispiel die Eingänge der Messe und die Räume innerhalb der Messehalle. Danach werden die Zeitintervalle bestimmt, innerhalb derer die Befragung durchgeführt wird. Die Auswahl der Befragten erfolgt durch ein bestimmtes, vorher festgelegtes Kriterium, zum Beispiel jede x-te Person, die eine gedachte Linie überschreitet. Für die Entwicklung eines Stichprobenplans sollten die besonderen Gegebenheiten des Ereignisses berücksichtigt werden, um Verzerrungen zu vermeiden (vgl. von der Heyde 1999: 113ff.; Nötzel 1987b).
Speziell für die Klassenzimmer-Befragung ist in der Regel eine Klumpenstichprobe sinnvoll. Dies ist eine mehrstufige Auswahl, bei der räumlich abgegrenzte (Teile von) Organisationen (etwa Schulklassen) entweder per Zufall oder je nach Fragestellung der Untersuchung bewusst ausgewählt werden. Innerhalb dieser ausgewählten Einheiten werden dann alle Individuen (das heißt der ganze »Klumpen«) befragt. Der Vorteil besteht in der Effizienz bei der Durchführung. Allerdings wirkt sich die Klumpung dann negativ aus, wenn die Klumpen sehr homogen sind, weil dann die Gesamtstichprobe weniger Varianz aufweist als bei anderen Stichprobenverfahren und in Bezug auf das homogene Merkmal zu systematischen Verzerrungen führt.
Bei Netzwerkanalysen (→
www.utb-shop.de, Kapitel 4.2) ist es sinnvoll, mit dem Schneeballverfahren zu arbeiten. Dazu wird in einer ersten Stufe per Zufallsverfahren eine Ausgangsstichprobe gezogen. Die befragten Personen werden dann um weitere Adressen gebeten von Personen, die sich im gleichen Netzwerk befinden (Freunde, Bekannte, Kollegen, Verwandte) oder in irgendeiner Hinsicht für sie relevant sind (etwa als Meinungsführer zu bestimmten Themen). Diese zweite Stufe erfolgt nicht mehr als Zufallsverfahren, sondern stellt eine bewusste Auswahl der Befragten selbst dar.[37]Für einige Forschungszwecke ist eine bewusste Auswahl nach bestimmten Merkmalen notwendig. Hier gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten: So können aufgrund der Fragestellung der Untersuchung Personengruppen mit einem extremen oder untypischen Merkmal wie die Fernsehverweigerer ausgewählt werden. Da es für solche Gruppen keine Übersicht über die Grundgesamtheit gibt und eine Flächenstichprobe zu große Streuverluste in Kauf nehmen müsste, ist eine zufällige Auswahl nicht durchführbar. Darüber hinaus ist die Population hauptsächlich hinsichtlich des einen spezifischen Merkmals von Forschungsinteresse, sodass es weniger auf die Repräsentanz hinsichtlich anderer Merkmale ankommt, sondern auf eine gewisse Bandbreite bzw. Streuung in Bezug auf andere Merkmale. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Auswahl von normalen oder typischen Personengruppen in Bezug auf ein bestimmtes Merkmal, also etwa Personen mit einem durchschnittlichen Fernsehrezeptionsverhalten. Sowohl bei der Auswahl extremer als auch normaler Personen(gruppen) geht es darum, diese intensiver oder detaillierter beschreiben zu können. Wenn dagegen eher der Vergleich zwischen Gruppen im Mittelpunkt der Fragestellung stehen soll, muss ein bestimmtes Spektrum abgedeckt werden. Dieses Spektrum kann je nach Untersuchungsziel wiederum eher ähnliche Personen(gruppen) berücksichtigen oder Extremgruppen.
Insbesondere bei nichtstandardisierten Befragungen sind solche bewussten Auswahlverfahren üblich, da keine quantitativen Auswertungen vorgenommen werden (→ Kapitel 3.1, 3.2, 3.3). Auch bei standardisierten Formen der Befragung wie beim Experiment sind nichtrepräsentative Auswahlverfahren üblich, wenngleich dort meist mit einem Zufallskriterium gearbeitet wird, damit bestimmte statistische Auswertungsverfahren überhaupt sinnvoll sind (→ Kapitel 3.6).
2.1.3 | Vorteile des persönlichen Interviews |
Alle Formen von Stichprobendesigns sind bei der persönlichen Befragung – beim Passanteninterview und bei der Klassenzimmer-Befragung allerdings nur eingeschränkt – möglich. Wenn Adresslisten oder Telefonnummern nicht verfügbar sind, kann auf eine räumliche Gebietsstichprobe mit einer eigenen Adressermittlung (etwa beim Random Route bzw. Random Walk) zurückgegriffen werden, wie dies beim ADM-Mastersample der Fall ist.
Der persönliche Kontakt mit dem Interviewer kann in mehreren Hinsichten die Qualität der Befragungsergebnisse erhöhen:
Bei unmotivierten oder unwilligen Befragten kann der Interviewer zur Teilnahme an der Befragung motivieren. Bei längeren Befragungen ist die Abbruchwahrscheinlichkeit geringer, wenn ein Interviewer sie persönlich durchführt. [38]Durch den Aufbau einer »persönlichen Beziehung« kann ein Vertrauensverhältnis entstehen, das zu einer höheren Akzeptanz der Befragung und des Fragebogens beim Befragten führt. Insgesamt ist die Ausschöpfungsquote der Stichprobe wegen des größeren Verbindlichkeitsgrades höher als bei den anderen Befragungsformen. Dies gilt für die Klassenzimmer-Befragung besonders, allerdings nur sehr eingeschränkt für das Passanteninterview.
Bei unverständlichen Fragen oder Antwortvorgaben kann der Interviewer Hilfestellung für die Beantwortung geben.
Bei ungenauen oder nicht passenden Antworten des Befragten kann der Interviewer in geeigneter Weise nachhaken, um die Antwort an die Frage bzw. die Antwortvorgaben anzupassen oder um sie zu vervollständigen.
Bei komplexen Instruktionen oder Sequenzen (zum Beispiel Filterführung) kann der Interviewer für die akkurate Befolgung durch den Befragten sorgen. Der Befragte wird dadurch von strukturellen Aufgaben, die für ihn zutreffende Frage im Fragebogen zu suchen, entlastet.
Für die Präsentation zahlreicher visuellen und optischen Unterstützungen sind Interviewer erforderlich. Bei langen Listen, die als Kartenspiele vorgelegt werden, kann der Interviewer die Reihenfolge systematisch rotieren oder zufällig auswählen (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 2000).
Bei Mehrmethoden-Designs mit Selbstausfüller-Modulen, mit eingebauten Beobachtungsteilen (der Interviewer beobachtet die Wohnungseinrichtung oder das Verhalten des Befragten bei der Beantwortung der Fragen) oder mit experimentellen Anlagen ist die Anwesenheit des Interviewers erforderlich.
Bei qualitativen Interviews ist ein kompetenter Interviewer immer erforderlich und ein persönlich anwesender Interviewer gegenüber einem Telefoninterviewer zusätzlich im Vorteil, um vom Befragten komplexere und tiefere Informationen zu bekommen (vgl. Fowler 1988: 70ff.).
2.1.4 | Nachteile des persönlichen Interviews |
Aufwand und Kosten des persönlichen Interviews sind größer als in anderen Befragungsformen. Nur professionelle Institute können einen Interviewerstab organisieren, der für bundesweite Repräsentativstichproben geografisch flächendeckend eingesetzt werden kann. Rekrutierung, Einsatz, Kontrolle und Bezahlung der Interviewer sind sehr kostenintensiv. Für Passanteninterviews und Klassenzimmer-Befragungen entfällt dieser Nachteil weitgehend.
Die Feldphase dauert meist länger als bei anderen Befragungsformen, da die Interviewer die Befragten selbst aufsuchen müssen. Gerade bei mobilen Zielpersonen [39]kann dies zu einem höheren Aufwand führen. Passanteninterviews und Klassenzimmer-Befragungen haben dagegen eine kürzere Feldphase.
Einige Teilpopulationen sind mit anderen Befragungsarten besser erreichbar: Dazu gehören Bewohner oberer Stockwerke in Hochhäusern, Befragte, die in Gebieten mit hoher Kriminalitätsrate wohnen, Eliten, mobile Personen, nicht sesshafte bzw. obdachlose Personen.
Der Interviewer hebt nicht nur die Qualität von Interviews, sondern stellt in einigen Hinsichten auch ein Risiko für deren Qualität dar:
Aufgrund der persönlichen Situation im Interview können sich Befragte eingeschüchtert fühlen und deshalb ausweichend oder unehrlich antworten. Andere Formen der Befragung sind anonymer und ermöglichen den Befragten eine freiere Meinungsäußerung. Dies ist insbesondere bei heiklen Themen (abweichendes Verhalten, Sexualität usw.) problematisch,