Die Befragung. Armin Scholl

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Die Befragung - Armin Scholl


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      Schließlich werden mit der Verwendung der Forschungsphilosophien auch unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaft verbunden: Dienen die Ergebnisse standardisierter Forschung eher der sozialtechnologischen Veränderung von Gesellschaft, weil der Auftraggeber allein über sie verfügt, wird mit qualitativer Forschung oft eine emanzipatorische Absicht verbunden; dies kommt besonders in der »Aktionsforschung« (»Handlungsforschung«) zum Ausdruck, bei der die Befragten in die Lage versetzt werden sollen, ihre Probleme (mit Unterstützung des Forschers) selbst zu lösen (vgl. Heinze 2001: 80ff.).14

      Allerdings müssen die Grenzen zwischen qualitativen und quantitativen Methoden nicht scharf gezogen werden, wenn man die Differenzen nicht grundsätzlich, also forschungsphilosophisch-methodologisch, sondern abhängig von der Forschungsfrage, also pragmatisch-technisch, behandelt.15 Neben dem allgemeinen Vergleich in diesem Exkurs werden in den weiteren Kapiteln konkrete standardisierte und offene Verfahren beschrieben (→ Kapitel 3), die Vorteile und Nachteile offener Fragen im Vergleich zu Fragen mit vorgegebenen Antworten (→ Kapitel 5.4.) und die Standardisierung der Befragungssituation (→ Kapitel 6.3 und 6.4) diskutiert sowie die unterschiedliche Eignung quantitativer und qualitativer Verfahren bei der Befragung spezieller Populationen (Kinder, Alte, Ausländer, Elite-Personen) erörtert (→ Kapitel 7.4).

      1 Jacob / Eirmbter / Décieux (2013: 6ff.) setzen den Beginn der Umfrageforschung zeitgleich mit der Quantifizierung und sogar mit der Entstehung der Sozialwissenschaften selbst an, in der Neuzeit also bereits im 17. Jahrhundert. Das Aufkommen statistischer Analysen kann dabei nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entwicklung der Methode Befragung sein, denn Daten lassen sich auch aus Dokumenten erfassen. Dem Fazit der beiden Autoren kann dagegen zugestimmt werden: »Umfrageforschung hat keine demokratisch verfassten Gesellschaften zur Folge, aber Umfrageforschung setzt demokratisch verfasste Gesellschaften voraus.« (Jacob / Eirmbter / Décieux 2013: 20)

      2 Die Zeitschrift »Planung und Analyse« dokumentierte 1983 den »Fragebogen für Arbeiter«, den Karl Marx im Jahr 1880 in 25.000 Exemplaren als Beilage einer Zeitschrift in Frankreich verbreitete. Solche Befragungen zur wirtschaftlichen Lage der Arbeiter oder der Armen wurden im 19. Jahrhundert und bereits vorher durchgeführt (vgl. Noelle-Neumann / Petersen 1996: 620ff.; Diekmann 2011: 99ff.).

      3 In diesem Kontext entwarf Weber auch eine Inhaltsanalyse, sodass er für diese Methode ebenfalls als Pionier gelten kann (vgl. Weber 1911: 52).

      4 Eine ausführliche, methodisch dokumentierte Darstellung der bisherigen ALLBUS-Befragungen findet sich in www.gesis.org/dienstleistungen/daten/umfragedaten/allbus.

      5 Zudem wird auf diese Weise eine Trennlinie mitten durch die qualitativen Methoden gezogen, denn diese haben oft das Verstehen ihres Gegenstands zum Ziel und wären demnach nicht-empirisch. Diese Trennung ist unpraktikabel, wenn etwa die Daten mit dem empirischen Verfahren des narrativen Interviews erhoben und mit dem nicht-empirischen Verfahren der Hermeneutik ausgewertet wird.

      6 In einem Fall muss der Forschungsgegenstand nicht außerwissenschaftlich sein, nämlich wenn die Wissenschaft selbst zum Forschungsgegenstand wird, also in der Wissenschaftssoziologie. Die untersuchte Wissenschaftspraxis wird dann theoretisch und methodisch genauso wie ein außerwissenschaftlicher Forschungsgegenstand behandelt.

      7 Dieses Inferenzproblem ist aber nicht typisch für die Befragung, sondern betrifft ebenso die Inhaltsanalyse, bei der vom analysierten Text auf Kontexte geschlossen wird (vgl. Merten 1995), und die Beobachtung, bei der vom beobachteten Verhalten auf sinnhafte Handlungen geschlossen wird (vgl. Gehrau 2002).

      8 Solche Unterschiedskataloge werden vor allem von Vertretern qualitativer Methoden aufgestellt (vgl. Kleining 1982; Corbin / Strauss 1990; Honer 1989; Lamnek 2010: 124-127). Dies geschieht oft zur Rechtfertigung qualitativer Methoden gegenüber dem quantitativen »Mainstream«. In den Lehrbüchern, die von Methodologen mit vorwiegend quantitativer Präferenz verfasst werden, gelten dagegen die Regeln quantitativer Methoden als Standard für empirische Sozialforschung schlechthin. Die qualitativen Methoden werden dementsprechend an diesem Standard gemessen, was meistens in einer äußerst kurzen und oft ungerechten Abhandlung der qualitativen Methoden resultiert (vgl. etwa Diekmann 2011: 543ff.; Fowler 1988; Converse / Presser 1986).

      9 Im Extremfall gibt der Befragte sogar eine Antwort auf eine Einstellungsfrage, obwohl er keine Meinung dazu hat (»pseudo-opinions«). Dieses Phänomen betrifft bereits die Validität der Antwort, denn sie kann als ungültig eingestuft werden, wohingegen die Antwort auf der Basis einer nur schwachen Meinungstiefe durchaus gültig sein kann, aber sehr stimmungsoder situationsabhängig ist.

      10 Die induktive Forschungslogik, wie sie vor allem von der »Grounded Theory« (vgl. Corbin / Strauss 1990) bevorzugt wird, versucht zwar, die Behinderungen für die empirische Untersuchung, die von vorgefertigten Theorien und Hypothesen ausgehen (können), zu vermeiden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Forscher völlig ohne (theoretische) Vorannahmen ins Feld geht, sondern allenfalls, dass er in der Befragungssituation theoretische Sensibilität und Offenheit beibehält (vgl. Kelle / Kluge 2010: 19ff., 28f.).

      11 Diese Kriterien gelten zwar nicht speziell für die qualitative Sozialforschung, sondern sind grundlegend für empirische Forschung schlechthin; sie werden allerdings von qualitativen Forschern anders interpretiert.

      12 Prinzipiell kann eine offene Befragungsform auch standardisiert ausgewertet werden. Man verlässt dann allerdings die qualitative Methodologie.

      13 Diese abstrakten Kategorien reduzieren zwar auch den lebensweltlichen Hintergrund des Befragten; diese Reduktion ist aber nicht als (so stark) isoliert vom Entstehungskontext zu verstehen wie bei der quantitativ-standardisierten Erhebung von Variablen (vgl. Kvale / Brinkmann 2009: 201-208).

      14 Diekmann (2011: 533) bestreitet die heutige Relevanz dieses Anspruchs und vermerkt süffisant, dass der zunehmende Einsatz qualitativer Verfahren in der Markt- und Meinungsforschung ein Indiz für die Entkoppelung von gesellschaftskritischen Vorstellungen von Sozialforschung und der Anwendung bestimmter Methoden ist.

      15 Ausführlich mit dem Verhältnis quantitativer und qualitativer Forschung beschäftigten sich Garz / Kraimer (1991): Puristische Positionen gehen entweder von der Inkommensurabilität (Unvereinbarkeit) oder von der Substitution (Ersetzbarkeit) beider Forschungsstrategien aus. Pragmatische Positionen halten das Verhältnis eher für komplementär (ergänzend) oder symbiotisch (kreuzvalidierend) (vgl. auch Hoffmann-Riem 1980; Kleining 1982; Brosius / Haas / Koschel 2012: 4f.).

[29]2Verfahren der Befragung

      Die Verfahren der Befragung lassen sich nach ihrem Kommunikationsmodus in drei Gruppen unterteilen: persönliche (face to face), telefonische und schriftliche Befragungen. Das jüngste Verfahren der Online-Befragung stellt zwar eigentlich nur eine Variante der schriftlichen Befragung dar, aber sie bekommt zunehmend ein eigenes Profil und wird deshalb hier als eigenständiges Verfahren behandelt. Neben der Charakterisierung der Verfahren selbst wird auch die jeweilige Stichprobenpraxis beschrieben, weil diese wesentlich zu den Vorteilen und Nachteilen des Verfahrens beiträgt. Die Unterstützung der Befragung durch den Computer, die unter dem Oberbegriff »Computer Assisted Interviewing« (CAI) firmiert, erschließt neue Einsatzmöglichkeiten der verschiedenen Befragungsverfahren, die aber auch mit neuen Anforderungen und Problemen verbunden sind.

Das persönliche (face-to-face) Interview
Beschreibung und Varianten

      Das persönliche Interview ist eine Befragungsform, das auf der Anwesenheit von einem (selten zwei) Interviewer(n) und einem (selten mehreren) Befragten basiert. Es wird deshalb auch als »face-to-face«-Interview bezeichnet.

      Grundsätzlich lassen sich drei Varianten unterscheiden: das Hausinterview, das Passanteninterview und die »Klassenzimmer«-Befragung.


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