Die Befragung. Armin Scholl
Читать онлайн книгу.als interessant eingestuft werden können oder die stellvertretend für verschiedene Varianten der Befragung vorgestellt und diskutiert werden können. Voraussetzung für die Berücksichtigung ist eine hinreichende Dokumentation des methodischen Vorgehens.
Dieser aus dem Lehrbuch ausgelagerte Teil beginnt mit der Vorstellung verschiedener Studien zur Mediennutzung. Dazu gehört die Nutzung bestimmter Medieninhalte (Zeitungsartikel, Fernsehsendungen, Fernsehgenres), bestimmter Medienbereiche (Printmedien, Rundfunk, Online-Medien) sowie der Gesamtheit der Medien. Darüber hinaus wird die Mediennutzung auch im Tagesverlauf, im biografischen oder im soziologischen Kontext untersucht. Einige der Studien stammen aus der angewandten Kommunikations- und Medienforschung und sind zu Dauereinrichtungen geworden: »Media Analyse«, »Allensbacher Werbeträger Analyse«, »Massenkommunikation« sowie die Online-Studien.
Unter der Rubrik Wissen, Informationen und Kognitionen werden Studien im Kontext der Wissenskluft-Hypothese (Wissensunterschiede) und der Agenda-Setting-Hypothese (Einschätzung der Themenrelevanz) vorgestellt, darüber hinaus Expertenprognosen zur Zukunft des Journalismus und der Medien, Studien über Selektions- und Informationsverarbeitungsprozesse sowie zu politischen und sozialen Kognitionen.
Die Erhebung von Bedürfnissen, Motivationen und Emotionen sind Thema des folgenden Kapitels. Darunter fallen Studien zum Nutzen- und Belohnungsansatz, die sich mit kommunikativen und medialen Bedürfnissen beschäftigen, sowie zu [14]Präferenzen für oder gegen bestimmte Medien. Ebenfalls behandelt werden Untersuchungen zur Aufmerksamkeit bei der und Motivation für die Zuwendung zu bestimmten Medien. Ein wichtiger Bereich der Medienwirkungsforschung ist die Erforschung von (meist gewalthaltigen) Medieninhalten auf die emotionale Seite der Rezeption.
Die Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten ist ein häufig problematisierter Zusammenhang. Grundlegend für eine mögliche Medienwirkung von Medieninhalten auf die Bildung oder Veränderung von Meinungen und Einstellungen ist die Zuschreibung von Objektivität und Glaubwürdigkeit. Die Wirkung auf die Meinung selbst vollzieht sich entweder als Zusammenspiel von Massenkommunikation und interpersonaler Kommunikation (Zwei-Stufen-Fluss-Hypothese) oder indirekt über die Wahrnehmung öffentlicher Meinung (Theorie der Schweigespirale) oder direkt als kurzfristiger Effekt von subjektiv wichtigen Medieninhalten bzw. als Anpassung an ein über längere Zeit genutztes Medium. Die langfristige Gewöhnung an Medien bewirkt darüber hinaus auch grundlegende Einstellungsveränderungen (Kultivationshypothese). Die Journalismusforschung beschäftigt sich insbesondere mit der Relevanz von Normen und beruflichem Selbstverständnis für das (berufliche) Handeln.
Das vorliegende Lehrbuch zur Befragung ersetzt nicht die vorherige Einarbeitung in das Verständnis empirischer Forschung. Die Beschäftigung mit den der Befragung vorausgehenden und folgenden Phasen im Forschungsprozess muss ergänzend erfolgen: Nicht berücksichtigt werden wissenschaftstheoretische Fragen empirischer Forschung in den Sozialwissenschaften, die (mathematische) Stichprobentheorie oder statistische und textbasierte Auswertungsverfahren.
Dafür setzt das Buch keine Vorkenntnisse speziell zur Befragung voraus und ist somit als Einführung für Studierende aller sozialwissenschaftlichen Disziplinen geeignet. Gleichzeitig bietet es vertiefende Ausführungen an, die viele spezielle Fragen beantworten und einer scheinbar bereits bestens bekannten Methode neue Facetten abgewinnen. Die Methode der Befragung ist in den Sozialwissenschaften etabliert, aber nicht veraltet, wie ihr weiterhin vorhandenes Entwicklungspotenzial und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten bestätigen.
In der dritten Auflage dieses Lehrbuchs sind Fehler aus der vorigen Auflage korrigiert und die benutzte Literatur aktualisiert worden. Zudem wurden an einigen Stellen kleinere Ergänzungen vorgenommen. Die Hervorhebung von Definitionen sowie einige Überblickstabellen sollen die Lektüre erleichtern. Die Auslagerung der Anwendungsbeispiele auf die Webseite von UTB-shop.de macht das Buch handlicher.
[15]1 | Die Befragung als sozialwissenschaftliche Methode |
1.1 | Kurzer historischer Abriss der Umfrageforschung |
Die wissenschaftliche Anwendung der Befragung setzt historisch erst spät ein. Noelle-Neumann / Petersen (1996: 21, 620) datieren sie auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Dies liegt zum einen daran, dass die Methode an die Auskunftsfähigkeit und Auskunftsbereitschaft der befragten Personen gebunden ist. Die Befragung erfordert – soll sie Themen übergreifend und alle Bevölkerungsteile erfassend eingesetzt werden – eine moderne Gesellschaftsform. Zum anderen haben sich die Gesellschaftswissenschaften erst im Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelt1: Die Soziologie wurde von Auguste Comte (1798-1857) quasi erfunden. Der Begründer der positiven Wissenschaft, des »Positivismus«, gilt als Vorläufer für die empirisch-analytische Sozialforschung, obwohl erst der Soziologe Emile Durkheim (1858-1917) methodologisch für diese Richtung prägend wurde. Aber auch zwei andere empirische Zweige der Soziologie gehen auf berühmte Vorbilder zurück, die bereits mit der Methode der Befragung arbeiteten: Karl Marx (1818-1883) steht für die kritische Sozialforschung2 und Max Weber (18641920) für die verstehende Soziologie (vgl. Kaesler 2000: 206).
Zwei wesentliche Impulse für die Befragung speziell in der Kommunikationswissenschaft haben Max Weber und das Forscherteam um Paul F. Lazarsfeld gesetzt. Weber stieß bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die empirische Journalismusforschung an und arbeitete eine »Soziologie des Zeitungswesens« aus, [16]die er auf dem ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt 1910 vorstellte. Die geplante Zeitungsenquête sollte Erkenntnisse über die Materialbeschaffung der Medien und über die Merkmale der Journalisten erbringen.3 Dass die Untersuchung nicht realisiert werden konnte, lag an einem Professorenstreit und an mangelnder Unterstützung. Außerdem wurde in der Folgezeit eine Redakteursumfrage – allerdings ohne Beteiligung Webers – geplant und durchgeführt. Ihre Auswertung kam aber durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr zustande. Die Fragebögen gelten heute als verschollen (vgl. Kutsch 1988: 5f., 15).
Lazarsfeld wurde neben der eher soziologischen Untersuchung über die »Arbeitslosen von Marienthal« mit der 1931 durchgeführten Befragung von Radiohörern für die »Radio und Verkehrs-AG« (RAVAG) bekannt, die als Beginn der Rezipientenbefragung gelten kann. In standardisierten Fragebögen wurden 50 Radioprogramme aufgelistet, zu denen die Hörer angeben sollten, ob sie diese Programmelemente »häufiger, weniger oder in der bisherigen Menge« zu hören wünschten. Daneben wurden die soziodemografischen Merkmale erhoben, um Korrelationsanalysen durchführen zu können. Insgesamt wurden von den überall ausgelegten Fragebögen 38.000 von insgesamt 110.000 Personen (zum Teil Familienmitglieder) ausgefüllt (vgl. Neurath 1990: 77ff.).
Beide Pionierstudien der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft, die über das Planungsstadium nicht weiter verfolgte Zeitungsenquête Webers wie die in wissenschaftlicher und praktischer Hinsicht folgenreiche Radiohörerstudie Lazarsfelds, gingen mit einer großen Selbstverständlichkeit theoretisch interdisziplinär vor und verknüpften methodisch quantitative und qualitative Verfahren (vgl. Reimann 1989: 34, 37). Während Webers Forschungsvorhaben trotz der Relevanz der Fragestellungen keine Resonanz erzeugte und lange Zeit von keinem Publizistik- oder Kommunikationswissenschaftler aufgenommen wurde, konnte Lazarsfeld die Radiohörerforschung nach seiner Emigration in die USA im Rahmen des »Radio Research Project« am »Office of Radio Research« fortsetzen, mit dem er 1937 an der Princeton University begann und das er 1939 an der Columbia University in New York weiterführte. Daraus entstand 1944 das »Bureau of Applied Social Research« (vgl. Jacob / Eirmbter / Décieux 2013: 12f.), von dem auch die ersten Panelbefragungen zur Erforschung des Wahlverhaltens konzipiert und durchgeführt wurden. Diese Studie »The People’s Choice« und die Folgestudien stießen die Forschung um die Hypothese des »Two-Step-Flow of Communication« an und bauten sie empirisch aus.
[17]Die empirische Erforschung der öffentlichen Meinung mit Umfragen reicht wahrscheinlich bis ins 19. Jahrhundert zurück: Bereits im Vorfeld der U.S.-Präsidentschaftswahl von 1824 sollen erste »straw polls« als Probeabstimmungen der Öffentlichkeit stattgefunden haben. Die Zeitschrift »Literary Digest« verschickte 1928 rund 18 Millionen Wahlzettel an die Abonnenten und sagte den Präsidentschaftskandidaten in der Wahl von 1928 korrekt voraus. Allerdings