Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer
Читать онлайн книгу.und Kultur also, die gezielt »Pseudo-Ereignisse« (wie Pressemitteilungen, Produktvorstellungen, Bilanzpressekonferenzen u. Ä.) schaffen mit dem Ziel, dass darüber in den Medien berichtet wird.
• Im Aktualisierungsmodell werden bereits geschehene Ereignisse durch Journalisten gezielt und zweckgerichtet genutzt. Dabei steht am Anfang die Überlegung des Journalisten, welche Wirkung er mit einer Publikation verfolgt. Diese Überlegung entscheidet über die Art der Berichterstattung.
Dem Aktualisierungsmodell zufolge selektieren Journalisten also nicht nur als Reaktion auf Schlüsselreize (Ereignisse), sondern sie berichten vielmehr über bestimmte Themenaspekte oder Ereignisse, um bestimmte Ziele zu unterstützen (oder auch auf Grund der zu erwartenden Folgen). Dabei machen sie sich – je nach persönlicher Zustimmung oder Ablehnung eines Ereignisses – v. a. Argumente von außermedialen Experten zu Eigen, die ihre persönlichen Ansichten stützen; umgekehrt blenden sie Aspekte aus, die nicht ihre persönliche Problemsicht fördern. Diese Form der Informations- bzw. Nachrichtenauswahl bezeichnet Kepplinger als »instrumentelle Aktualisierung von Ereignissen« (Kepplinger 1989a, S. 11). Nachrichtenfaktoren sind in seinem Verständnis nicht nur Ursachen, sondern auch Folgen der Entscheidung von Journalisten, etwas zu publizieren oder nicht.
[141]Instrumentelle Aktualisierung ist Kepplinger zufolge v. a. bei sog. publizistischen Konflikten zu beobachten – bei Konflikten also, die zwischen zwei (oder mehr) Kontrahenten in der Öffentlichkeit über die Massenmedien ausgetragen werden. Dabei, so Kepplinger, spielen Journalisten bewusst bestimmte Ansichten hoch oder herunter – je nachdem, welche Argumentation sie sich zu Eigen machen wollen – um entsprechend ihrer persönlichen Problemsicht Entwicklungen bewusst zu fördern (oder bewusst nicht zu fördern). Kepplinger hat seine Theorie wiederholt empirisch belegt, u. a. am Beispiel Kernenergie: So hätten deutsche Tageszeitungen, deren Journalisten sich überwiegend für die Kernenergie aussprachen, in den 1980er-Jahren v. a. positive Expertenurteile über Kernenergie veröffentlicht, während atomkritische Zeitungen genau umgekehrt verfahren seien (vgl. Kepplinger 1989a, S. 12).
»Verwandte und konkurrierende Ansätze« (Maier et al. 2010) sind in Gatekeeping (vgl. w. o.), News Bias, Agenda Setting und Framing zu sehen (vgl. dazu Maier et al. 2010, S. 116ff, vgl. auch Kunczik/Zipfel 2001, S. 266ff). Bei der News-Bias-Forschung »interessiert speziell, ob und inwieweit Medien oder Journalisten mit ihrer Nachrichtenauswahl eine bestimmte politische Linie unterstützen« (Maier et al. 2010, S. 122) und damit eine (bewusste?) Verzerrung der Berichterstattung verbunden ist. Dies kann z. B. durch die Heranziehung »opportuner Zeugen« geschehen. In diesem Kontext ist z. B. von einer »Synchronisation« (Schönbach) von Nachricht und Meinung die Rede: »Nicht die Kommentare [interpretieren] die Fakten, sondern die Fakten [werden] so ausgewählt, dass sie die Kommentare bzw. die redaktionelle Linie stützen« (Kunczik/Zipfel 2001, S. 268; siehe Schönbach 1977).
Der Agenda-Setting-Ansatz untersucht, »welchen Einfluss die Medien auf die Bedeutung von Themen bei der öffentlichen Meinungsbildung und Diskussion haben«, zumal die öffentliche Wahrnehmung von Themen »von der Art und Weise ihrer medialen Präsentation ab[hängt]« (Maier et al. 2010, S. 124; vgl. Kap. 4.4.3.2 im vorliegenden Buch).
Frames wieder »sind »Interpretationsrahmen, die als kognitive Strukturen im Bewusstsein verankert sind – bei Journalisten wie beim Publikum. Erfahrungen werden gespeichert und als Rahmen benutzt, um spätere Erfahrungen sinnvoll und schnell interpretieren, einsortieren und wieder vergessen zu können. Diese Bezugsrahmen strukturieren ein Thema und steuern damit die Informationsverarbeitung. Wesentliches Kennzeichen von Frames ist, dass sie Bewertungen enthalten. Sie können insofern auch als ›Deutungsmuster‹ bezeichnet werden« (Meier 2007a, S. 195; vgl. Entman 1993). Framing ermöglicht den Journalisten, »das Hauptaugenmerk nur auf bestimmte, vom Journalisten ausgewählte Aspekte« zu lenken. Den Rezipienten ermöglichen sie »die Einordnung des berichteten Ereignisses oder Themas in bereits bekannte Muster«, sie »vereinfachen so das Verstehen und die Interpretation des rezipierten Inhalts« (Maier et al. 2010, S. 128). Matthias Potthoff (2012) stellt dar, wie Medienframes entstehen.
4.1.2.3 Journalismus und Public Relations
Seit geraumer Zeit – etwa seit Mitte der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts – nimmt Öffentlichkeitsarbeit rapide zu, spielen Public Relations für öffentliche Kommunikation eine immer größere Rolle. Offensichtlich haben viele ›Akteure‹ in Politik, Wirtschaft, Kultur und Verwaltung erkannt, dass man Journalismus und Massenmedien für eigene Zwecke nutzen bzw. instrumentalisieren kann. Die Entwicklung ist auch aus der Mitgliederzahl der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) ersichtlich: Waren es Anfang der 1980er-Jahre noch 500, so sind es zur Jahrtausendwende weit mehr als 2000 Mitglieder. Wenn, was unbestritten zu sein scheint, die »hohe Schule« der PR darin besteht, Einfluss auf das Mediensystem zu nehmen und Wirklichkeit so geschickt zu inszenieren, dass sie [142]nicht als Konstrukt, sondern als reale Wirklichkeit erscheint (vgl. Merten 1999, S. 269), stellt sich verständlicherweise die Frage nach dem Verhältnis von Journalismus und Public Relations: Sind Öffentlichkeitsarbeiter bzw. PR-Manager mithilfe von Pressemitteilungen, Veranstaltungen, Events, Pressekonferenzen etc. in der Lage, wesentlich auf Journalismus und Medienberichterstattung Einfluss zu nehmen (zumal Überzeugung die basale Funktion von PR darstellt)? Sind sich Journalisten dieser Einflussversuche bewusst und erliegen sie der Flut jener von PR-Beratern gezielt gesteuerten Informationen nicht, die täglich die Schreibtische der Journalisten überschwemmen?
Theoretische Beschreibungen des Verhältnisses zwischen Public Relations und Journalismus finden sich zumindest in drei Forschungskontexten: in der Forschung zur politischen Kommunikation, in der medienrelevanten Forschungstradition des Agenda-Setting-Ansatzes sowie in der Kommunikationswissenschaft als Beziehung zwischen den Tätigkeitsbereichen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit.
Diese drei Forschungskontexte können hier nicht im Einzelnen erörtert werden (vgl. u.). Nur so viel sei zu den beiden ersten angemerkt: Im Forschungskontext Politische Kommunikation stellt sich die Frage, ob das politische System mit seinen öffentlichkeitswirksamen Akteuren das Mediensystem nach eigenen Bedürfnissen steuert (Konzept der ohnmächtigen Medien) oder ob das Mediensystem durch die eigene Medienlogik Voraussetzungen und Formen der Kommunikation politischer Akteure bestimmt (Konzept der mächtigen Medien)? Als zwischen diesen beiden Auffassungen vermittelnde Position ist jene zu sehen, die das Verhältnis zwischen politischem System und Mediensystem als »Symbiose« (vgl. Sarcinelli 1987, S. 213) bzw. als »komplexe Interaktion zwischen zwei Gruppen von wechselseitig abhängigen und daher anpassungsbereiten Akteuren (vgl. Schmidt-Beck/Pfetsch 1994, S. 215) sieht. Diese Position kommt der kommunikationswissenschaftlichen Theorie der Intereffikation von Public Relations und Journalismus nahe.
In der Forschungstradition des medienbezogenen Agenda-Setting-Ansatzes stellt sich die Frage nach dem Entstehungsprozess öffentlicher Themen: Bezogen auf Public Relations meint dies, ob Public Relations Themen in die Öffentlichkeit streuen, die von den Medien aufgegriffen und thematisiert werden oder ob umgekehrt Themen in der Gesellschaft vorhanden sind, die durch Public Relations und Medien öffentliche Bedeutung erfahren (vgl. u. a. Brosius/Weimann 1995).
In der kommunikationswissenschaftlichen Forschungstradition wird das Verhältnis zwischen Journalismus und PR als Verhältnis von Berufsfeldern gesehen. Es konkurrieren in diesem Forschungsfeld im Wesentlichen zwei theoretische Zugänge: die These von der Determination des Journalismus durch Public Relations sowie die These von der Intereffikation von Public Relations und Journalismus. Was ist damit gemeint?
Die Determinationsthese geht auf eine empirische Studie von Barbara Baerns (1985) zurück, wurde von ihr selbst aber nicht so genannt (vgl. Raupp 2005). In ihrer Studie untersuchte Baerns die Verwendung von Pressemitteilungen bei Landespressekonferenzen Nordrhein-Westfalens durch die Medien. Sie fand heraus, dass Öffentlichkeitsarbeit die Informationsleistung tagesbezogener Medienberichterstattung wesentlich bestimme: Öffentlichkeitsarbeit, so Baerns damals, habe die Themen der Medienberichterstattung und das Timing unter Kontrolle (vgl. Baerns 1985 und 1991). Beide Systeme, Public Relations und Journalismus, werden von Baerns als um Macht konkurrierende Systeme verstanden (wobei sie nur den Einfluss vonseiten der PR auf den Journalismus untersuchte). Unter Bezugnahme auf die Feststellung (Bestimmen von Themen und Timing)