Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft - Heinz Pürer


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S. 24–79). Angesichts der Tatsache, dass beträchtliche Teile des Journalismus und der Massenmedien in immer noch zunehmendem Maße ökonomischen Zwängen unterliegen, stellt sich sowohl für kritisch reflektierende Medienpraktiker wie auch für die Kommunikationswissenschaft mehr denn je die Frage, was journalistische Qualität ist und wie Qualität im Journalismus gesichert werden kann. Dabei ist wichtig zu erkennen, »dass das Bemühen um Qualität und Qualitätssicherung im Journalismus nicht nur als eine Frage der individuellen Verantwortung (des Journalisten – Ergänzung H. P.) zu betrachten ist, sondern die vielfältigen Einflüsse gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, des Mediensystems, der Medienunternehmen etc. jeweils zu berücksichtigen sind« (Fabris 1997, S. 71). So wird denn auch die Diskussion über journalistische Qualität »von ganz unterschiedlichen Akteurskategorien mit unterschiedlichen Interessen am Journalismus und aus unterschiedlichen Perspektiven bestritten« (Bonfadelli/Wyss 1998, S. 39).

      Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei journalistischen Produkten – abgesehen von deren technisch-materieller Qualität – vorwiegend um geistig-kulturelle Güter handelt. Deren Qualität ist bekanntlich schwerer zu bestimmen als etwa jene rein materieller Güter. Auch hängt das Qualitätsurteil vielfach vom subjektiven Gesichtspunkt des Betrachters bzw. der Anspruchsträger ab: So wird ein leidenschaftlicher und ausschließlicher Leser der Bild-Zeitung etwas anderes unter journalistischer Qualität verstehen als etwa ein langjähriger Abonnent der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. (Deren Wirtschaftsteile sind z. B. für Geschäftsleute und Manager äußerst wichtig und qualitativ gehaltvoll, können aber wegen ihrer oftmals sehr speziellen Themen und ihrer relativ unverständlichen Fachsprache für den Normalverbraucher möglicherweise irrelevant und wertlos sein). Und auch der Werbekunde, der auf das redaktionelle Umfeld seiner Anzeige sowie v. a. auch auf deren Druckqualität achtet, wird mit Qualität anderes verbinden als etwa ein Linguist, für den die gute Verständlichkeit der Texte einer Zeitung ein besonderes Qualitätsmerkmal darstellt – vom Juristen ganz zu schweigen, für den Qualität im Journalismus nicht zuletzt darin besteht, dass er inhaltlich nicht gegen Gesetze verstößt. Die Zahl der Beispiele ließe sich fortsetzen, und der Berliner Journalismusforscher Stephan Ruß-Mohl meinte Anfang der 1990er-Jahre nicht ganz zu Unrecht, Qualität im Journalismus definieren zu wollen gleiche »dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln« (Ruß-Mohl 1992, S. 85).

      Gleichwohl ist es Ruß-Mohl im deutschen Sprachraum als einem der Ersten gelungen, Mehrdimensionalität und Multiperspektivität von Qualität im Journalismus aufgezeigt zu haben. Er definierte Qualität als abhängige Variable und machte deutlich, dass Qualitätsmaßstäbe abhängig sind vom jeweiligen Medium, seiner Periodizität, dem einzelnen journalistischen Genre, der angestrebten Zielgruppe und der erwarteten Funktion des Mediums sowie vom Selbstverständnis der Medienschaffenden (vgl Ruß-Mohl 1992, S. 85). Weiter verweist Ruß-Mohl auf innerredaktionelle und außerredaktionelle Infrastrukturen (sog. »I-Faktor«), die für Qualität im Journalismus relevant sind (Ruß-Mohl 1994a). An anderen Versuchen, journalistische Qualität zu bestimmen, hat es [146]nicht gefehlt (vgl. z. B. Rosengren et al. 1991; McQuail 1992; Göpfert 1993; Wallisch 1995; Meier/Bonfadelli 1994; Ruß-Mohl 1994a, Ruß-Mohl 1994b; Hagen 1995; Themenheft »Qualitätssicherung im Mediensystem« der Zeitschrift Medienjournal 23:1999). Aus ihnen geht in je unterschiedlicher Weise hervor, dass sich Beschreibungsversuche von Qualität im Journalismus orientieren an 1) verschiedenen Anspruchsträgern (Leser, Hörer, Zuschauer, Werbewirtschaft, Rechtsgrundlagen, journalistische Berufskultur etc.); 2) sozialen Bezugssystemen (Gesellschaft, Interessengruppen, Publikum etc.) sowie 3) worauf die Qualitätsbeurteilung jeweils fokussiert: auf das Gesamtsystem, auf das journalistische Handeln, auf bestimmte Produktionsprozesse (Auswahl, Recherche etc.) sowie auf das Produkt, z. B. einen einzelnen Beitrag oder die Gesamtausgabe (vgl. Bonfadelli/Wyss 1998, S. 40). Von Siegfried Weischenberg stammt ein Kreismodell (Weischenberg 2006, S. 13), welches mit Blick auf Einflussfaktoren bezüglich Qualität im Journalismus unterscheidet zwischen Mediensystemen (Qualitätsnormen wie Rechtmäßigkeit, Vielfalt etc.), Medieninstitutionen (Qualitätsmanagement innerhalb der Medienbetriebe wie Ausbildung, Total Quality Management), Medienaussagen (Qualitätsmaßstäbe, wie Aktualität, ›Objektivität‹, Vielfalt) und Medienakteuren (Qualitätsbewusstsein, Standards, Arbeitsmethoden). Mit Total Quality Management ist ein Qualitätsmanagement gemeint, das alle Unternehmensbereiche (einschließlich ihrer Mitarbeiter) umfasst bzw. betrifft, um mit optimalen Produkten – im Medienbereich also möglichst mit allen dargebotenen Inhalten – am Medienmarkt konkurrieren zu können.

      Nach diesen allgemein gehaltenen Ausführungen sollen im Folgenden konkrete Kriterien genannt werden, die für Forschungszwecke mehr oder weniger pragmatisch und als Postulate an den Journalismus mehr oder weniger normativ entwickelt wurden. Sie beziehen sich nicht ausschließlich, aber weitgehend auf (empirisch zu messende oder zu beurteilende) journalistische Produkte.

      Der Dortmunder Journalistikprofessor Günther Rager z. B. nennt für Printmedien die vier Qualitätsdimensionen Aktualität, Relevanz, Richtigkeit und Vermittlung (vgl. Rager 1994a und 1994b). Stefan Schirmer fügte mit Bezugnahme auf den Deutschen Pressekodex den Faktor ethische Angemessenheit hinzu (vgl. Schirmer 2001). Die Kommunikationswissenschaftler Heribert Schatz (Duisburg) und Winfried Schulz (Nürnberg) ziehen zur Bestimmung von Qualitätskriterien für Fernsehprogramme das deutsche Rundfunkrecht heran und benennen fünf Anforderungen: das Gebot der inhaltlichen Vielfalt, das Gebot der Relevanz, das Gebot der Professionalität, das Gebot der Rechtmäßigkeit sowie Publikumsakzeptanz. (vgl. Schatz/Schulz 1992; Schulz 1996). Ein weiteres Konzept zur Qualitätsbewertung von Rundfunkangeboten stammt von den Medienforschern Michael Buß und Harald Gumbl (vgl. Buß/Gumbl 2000). Ein Versuch, Qualitätskontrolle im Rundfunk zu realisieren, ist von Marianne Blumers erarbeitet worden (vgl. Blumers 2000); mit Qualitätssteuerung im Fernsehen haben sich auch Jan Metzger und Ekkehardt Oehmichen befasst (vgl. Metzger/Oehmichen 2000). Der Dortmunder Kommunikationswissenschaftler Horst Pöttker sieht 1) vier auf Journalismus und Medien bezogene Qualitäten in den Kriterien Richtigkeit, Vollständigkeit, Wahrhaftigkeit und Verschiedenartigkeit; 2) vier mehr zum Publikum hin gewandte Qualitäten in den Kriterien Unabhängigkeit, Zeitigkeit bzw. Aktualität, Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit; sowie 3) zwei kommunikatorbezogene Kriterien in Wechselseitigkeit und Sorgfalt beim Abwägen (Pöttker 2000, S. 382f). Klaus Arnold (2009) entwickelte ein integratives Qualitätskonzept, wobei er zwischen drei Ebenen unterscheidet, nämlich: zwischen 1) funktional-systemorientierter Ebene mit den Kriterien Vielfalt, Aktualität, Relevanz, Glaubwürdigkeit, Unabhängigkeit, Recherche, Kritik, Zugänglichkeit, Hintergrundberichterstattung und regionaler/lokaler Bezug; 2) normativ-demokratieorientierter Ebene mit den Kriterien Ausgewogenheit, Neutralität/Trennung von Nachricht und Meinung, Achtung der Persönlichkeit; sowie 3) nutzerbezogen-handlungsorientierter Ebene mit den Kriterien Anwendbarkeit, Unterhaltsamkeit und Gestaltung (Arnold 2009, S. 134–241; siehe auch Zusammenfassung bei Arnold 2009, S. 229–238).

      [147]Für die Qualität von Nachrichtenagenturen hat Lutz M. Hagen die folgenden Kriterien theoretisch erarbeitet und empirisch überprüft: Menge der Information, Relevanz, Richtigkeit, Transparenz, Sachgerechtigkeit, Ausgewogenheit, Vielfalt, Aktualität und Verständlichkeit (Hagen 1995). Eine kleine Studie über die Qualität von Nachrichtenagenturen aus der Sicht von Kunden in Deutschland hat Felix Grüll vorgelegt (Grüll 2009). Bewerten konnten die befragten Nachrichtenjournalisten in leitenden Funktionen aus Printmedien, Radio, TV und Onlinemedien die Kriterien Objektivität, Zuverlässigkeit, Schnelligkeit, Sprache und Textaufbau (auf Textebene); Selektion, Übersichtlichkeit und Feature-Anteil (auf Dienstebene) sowie Kooperationsbereitschaft und Korrespondentennetz (auf Unternehmensebene).

      Versucht man die in den hier vorgestellten (aber auch noch anderen) Katalogen vorhandenen Kriterien zu vergleichen, so sind die meistgenannten Kriterien Aktualität (bzw. Zeitigkeit), Vielfalt (bzw. Verschiedenartigkeit), Relevanz (Bedeutung) sowie Richtigkeit (bzw. Verlässlichkeit) (vgl. dazu auch Beck et al. 2010, S. 24–25); den einen Maßstab zur Beurteilung von Medienqualität gibt es freilich nicht. (Selbstverständlich haben die hier genannten Autoren ihre Kriterien jeweils auch definiert und entsprechend operationalisiert; aus Platzgründen muss hier jedoch auf deren nähere Erläuterung verzichtet werden.)

      Über die Beurteilung von Medienqualität aus Nutzersicht liegen u. a. Studien


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