Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast

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Tatort Bodensee - Eva-Maria Bast


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und stoßweise.

      »Thomas, um Gottes willen, Thomas! Was ist denn um alles in der Welt passiert da unten?« Nur mühsam stieß Horst die Worte hervor, überwältigt vom dramatischen Geschehen der letzten fünf Minuten und selbst kurz vor einem Ohnmachtsanfall stehend!

      Doch aus Thomas’ Mund kam keine Antwort mehr. Hektisch zerrte Horst am Jacket des Verunglückten – er musste ihn irgendwie ins Boot bekommen, aber wie um alles in der Welt? Übelkeit stieg in ihm auf, eine eiserne Kralle schien gnadenlos sein Gehirn zusammenzuquet­schen! Er war viel zu schnell aufgestiegen, das war klar, aber was tun jetzt? Bloß nicht ohnmächtig werden, alle Kräfte zusammennehmen, sich konzentrieren, dagegen ankämpfen, sonst hatten sie beide keine Chance mehr. Wo war das Boot eigentlich? Er schaute sich um – na, Gott sei Dank! Er löste seinen Griff von Thomas und schwamm mit wenigen Flossenschlägen hinüber. Aber wie hineinkommen? Das Boot neigte sich bedenklich, als er sich mit beiden Händen an der Seite festhielt. Jetzt hätte er Thomas gebraucht, wenn der sich an der gegenüberliegenden Seite festhalten könnte und so für das nötige Gegengewicht gesorgt hätte! Aber von Thomas war keine Hilfe zu erwarten – im Gegenteil. Ein rascher Blick zurück ließ Horst fast verzweifeln: Das rote Rinnsal aus dem Mund von Thomas hatte sich verstärkt, die Atmung war weder sicht- noch hörbar, es musste nun ganz rasch etwas passieren!

      Krampfhaft schälte sich Horst aus seinem Jacket. Nur so konnte es gehen! Nur wenn er das Gewicht von Flasche und Blei abgestreift hatte, war er eventuell in der Lage, ins Boot zu klettern. Unter Aufbietung all seiner verbliebenen Kräfte und permanent gegen die ständig zunehmende Übelkeit ankämpfend zog er sich – unterstützt von heftigen Paddelbewegungen mit den Flossen – in das sich bedrohlich zur Seite neigende Boot. Vor Anstrengung keuchend blieb er einige Sekunden bäuchlings so auf dem Boden liegen. Schwarze Dunkelheit breitete sich in seinem Kopf aus. Nein, das durfte er nicht zulassen, er musste bei Bewusstsein bleiben, er musste jetzt schauen, wie er Thomas in das Boot hieven konnte. Irgendwie musste er es schaffen und dann versuchen, ans Ufer zu gelangen und Hilfe zu suchen. Hoffentlich kam er mit dem Motor zurecht! Aber jetzt galt es erst mal, Thomas aus dem Wasser zu bekommen!

      Vom Boot aus gelang es ihm, wieder das Jacket von Thomas zu fassen. Doch an ein Anheben des Verunglückten war nicht zu denken. Horst spürte, wie seine Kräfte mehr und mehr schwanden – lange würde er nicht mehr durchhalten und Hilfe war weit und breit nicht in Sicht! Wenn doch bloß ein Boot in der Nähe wäre, das er auf ihre Notlage aufmerksam machen könnte! Im selben Moment drang ein merkwürdig gedämpftes Geräusch wie von weiter Ferne an sein Ohr. Irritiert drehte er sich in die Richtung, aus der er das Geräusch zu hören gemeint hatte. Irgendwie kam es ihm bekannt vor, aber seine erschöpften Sinne schienen ihm allmählich die Gefolgschaft zu versagen. Da! Wieder dieses Geräusch, von links unten, meinte er, könnte es gekommen sein! Halluzinationen – ganz offensichtlich! Horst senkte den Blick auf die Stelle, wo er das Klingeln vermutet hatte. Das Klingeln! Die Sporttasche! Und wieder hörte er es: Richtig, das kam aus seiner Sporttasche, das war sein Handy! Doch, er hatte es vorher eingepackt und offenbar vergessen auszuschalten. Gott sei Dank!

      Mit zitternden, vor Kälte steifen Fingern öffnete er den Reißverschluss der Tasche und durchwühlte hektisch deren Inhalt. Da war es! Endlich! Wieder ein Klingeln, jetzt klar und deutlich zu hören. Mit einem energischen Ruck riss er das Telefon aus der Tasche und drückte den grünen Knopf. »Hilfe!« Es war mehr ein heiseres, fast unverständliches Krächzen, das er mühsam zwischen den Zähnen hervorstieß, als ein Hilferuf. War das überhaupt seine Stimme gewesen, die er da gerade gehört hatte?

      »Hallo? Hallo – ist da jemand?!« Der Teilnehmer am anderen Ende schien nichts verstanden zu haben.

      Horst versuchte, die mehr und mehr von ihm Besitz ergreifende Panik hinunterzuschlucken. Konzentration war jetzt alles. Er schloss die Augen, versuchte einen ruhigen Atemzug und murmelte leise, so leise, dass er es selbst kaum hören konnte: »Hilfe! Helfen Sie mir bitte!«

      »Hallo! Hallo? Wer ist denn da am Telefon?«

      Das war zu leise gewesen! Klar! Horst wurde schwindlig, aber es half alles nichts: Er musste sich jetzt zusammennehmen! Das war ihre letzte Chance! Also – ein neuerlicher Versuch – und diesesmal konnte er relativ deutlich eine Stimme hören, eine ihm fremde Stimme, gerade so, als ob jemand neben ihm stünde und in sein Mikrofon sprechen würde: »Hier ist Meyer, Horst Meyer! Hilfe! Helfen Sie mir bitte, wir sind in Seenot …«

      Jetzt überschlug sich die Stimme des Gesprächsteilnehmers: »Horst! Was soll denn das! Mach keine Witze mit mir Horst! Komm, lass den Quatsch!«

      Wie durch immer dichter werdende Nebelschwaden registrierte Horst den Tonfall und die ihm irgendwie bekannte Aussprache des anderen. Wo hatte er schon ein­mal … früher … schon lange her … Protnik! Das war Protnik! Protnik war am Telefon! Der ihm so vertraute Name elektrisierte ihn förmlich und verschaffte ihm ein letztes Mal die nötige Energie, um seinen Hilferuf abzusetzen. Jetzt nur nicht durchdrehen! Bleib ruhig und versuche, deutlich zu artikulieren: »Hallo, Michael«, raunte er heiser in den Hörer. »Michael, das ist kein Quatsch. Ich bin in Seenot! Thomas auch! Michael, wir brauchen Hilfe, drin­gend! … Sind getaucht …« Das Sprechen fiel ihm schwerer und schwerer. »Getaucht … Bodensee … Michael … Jura … von Schweiz aus … Michael … merk dir … Bottighofen … Tauchen … Dekounfall … Micha … schnell …«

      Der Hörer fiel ihm aus der Hand und Horst sackte zusammen. Ein undurchdringlicher weißer Nebel breitete sich in seinem Kopf aus und Sekundenbruchteile später schoss er durch die unheimliche tiefe schwarze Dunkelheit des unendlichen Universums, ein Staubkorn im Weltall … Horst war in einer gnädigen tiefen Ohnmacht versunken …

      »Horst, hallo, Horst, wo genau, sagst du, war das? Horst!!! Melde dich!! Horst!!!« Die Panik hatte nun auch Protnik am anderen Ende der Leitung ergriffen. Was um alles in der Welt war da passiert? Hoffentlich hatte er den fast unverständlich geflüsterten Ortsnamen richtig verstanden! Bottenhofen? Bottichkofen? »Horst! Sag doch einmal was! Horst!!!!!«

      Zwei Tage nach dem grässlichen Unfall bekam Horst Besuch in seinem Zimmer im Überlinger Kreiskrankenhaus, wo die Ärzte ihn, all seinen Protesten zum Trotz, noch eine Zeit lang zur Beobachtung untergebracht hatten.

      Es klopfte leise an der Tür und kurz darauf betrat Michael Protnik den Raum: »Ja, da ist ja unsere Wasserleiche! Frisch gewaschen und gekämmt! Und schon wieder so schöne rote Bäckchen!«

      Horst stöhnte leise. »Protnik, bitte! Ich bin nicht so richtig in Stimmung für alberne Scherze!«

      Beschwichtigend hob sein Besucher die Hände. »Ist ja schon gut! Ich hab’s ja nur gut gemeint! Wollte dich halt ein bisschen aufmuntern! Aber klar, akzeptiert: Du musst die ganze Geschichte erst mal verdaut haben! Seh ich ein – logisch!« Jovial tätschelte er seinem Freund die Schulter. »Wird schon wieder werden, wart nur mal ab!«

      »Wenn ich nur wüsste, was eigentlich überhaupt los war, dann wäre ich ja selber schon ein ganzes Stück weiter!« Nachdenklich stierte Horst auf die Decke seines Krankenbettes, danach blickte er auf. »Sag mal, Sputnik! Hast du denn in der Zwischenzeit irgendwas läuten hören?« Forschend blickte er seinem Freund und ehemaligen Kollegen aus Ulmer Mordkommissionszeiten ins Ge­sicht. Ein kaum wahrnehmbares, ganz leichtes Flackern in dessen Augen verriet die Verlegenheit, in der dieser bei der Beantwortung der Frage kurzzeitig steckte.

      Verlegen senkte Protnik den Kopf. »Nö, eigentlich nichts! Die Zeitungen haben halt einen Artikel gebracht über einen tödlichen Unfall beim Wracktauchen da drüben, in der Schweiz. Nichts Großartiges eigentlich.«

      Horst wusste, da steckte mehr dahinter. Protnik versuchte, ihn zu schonen. »Und uneigentlich? Was hört man da so? Ich verwette meinen letzten Liter Pressluft, wenn die nicht was von bodenlosem Leichtsinn, Unerfahrenheit und Amateuren in ihr Blatt geschmiert haben!« In diesem Augenblick schoss Horst ein stechender Schmerz durch die Brust. Seine Wette mit dem letzten Liter Luft war aber auch alles andere als geschmackvoll gewesen, denn in genau dieser Situation hatten er und sein verunglückter Freund ja letztendlich gesteckt. Seine Nerven waren anscheinend immer noch …

      Doch


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