Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast

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Tatort Bodensee - Eva-Maria Bast


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sank schnell, so schnell, dass er ständig damit beschäftigt war, gegen den sich permanent aufbauenden Druck in den Ohren anzupressen. Die unangenehme klamme Kälte machte den Ohren zusätzlich zu schaffen, aber jetzt bloß nicht verkrampfen und bloß nicht in Panik geraten!

      Leichter gesagt als getan! Und immer noch: Wo um alles in der Welt war Thomas? Er knipste die Lampe aus und spähte angestrengt in die ihn umgebende angsteinflößende Dunkelheit. Keine Spur von seinem Kollegen! Weit und breit kein Lebenszeichen, nichts … Vielleicht wäre es besser, Luft ins Jacket zu pumpen und einfach noch mal hoch an die Oberfläche zu steigen. Und dann von oben noch einmal kontrolliert mit dem Abstieg zu beginnen, dann aber wirklich direkt und unmittelbar an der Ankerleine. Quatsch, verwarf er augenblicklich diesen Gedanken. Bis er jetzt oben wäre und die Luft herausgeblasen hätte, um dann wieder nach unten zu sinken, also das wären mindestens drei Minuten, die er dann auf Thomas verloren hätte. Und das bei dessen sowieso schon knappem Luftvorrat und bei ihrer maximalen Grundzeit von zehn Minuten. Womöglich mussten sie das Wrack am Grund erst einmal suchen, da bliebe ja dann nicht einmal mehr … Da, war da nicht grade eben eine Art Blitz ganz schwach durchs Wasser geschossen?

      Augenblicklich verwarf er seine Gedankengänge und konzentrierte sich auf die Stelle, an der er gemeint hatte, den Lichtblitze gesehen zu haben. Aber da war nichts mehr außer tiefer schwarzer Dunkelheit! Halt! Doch! Wieder ein Blitz und jetzt, eine Sekunde später, zuckte der nächste durch das Wasser! Das musste Thomas sein, der jetzt seinen Blinker für Nachttauchgänge eingeschaltet hatte. Dessen Blitzlicht war so stark, dass es sogar die undurchdringlich scheinende Dunkelheit zu durchschneiden vermochte – wenngleich auch immer nur für Se­kun­den­bruch­teile, aber andererseits lange genug, um ihm den Weg zu seinem Tauchpartner zu weisen.

      Im selben Moment verspürte Horst einen leichten Widerstand an seinen Flossen und gleich danach sank er rücklings auf den Boden. Anscheinend war der »Sinkflug« zu Ende und er war nun auf dem Grund des Sees angekommen. Hastig tastete Horst nach seiner Lampe und schaltete sie ein. Igitt – was war das denn?! Offensichtlich lag er hier in fast 40 Metern Tiefe mitten im zentimeterdicken Schlick, den er mit jeder Fuß- oder Handbewegung zusätzlich aufwirbelte. Eine Wolke aus Sediment und Schwebteilchen, die das bisschen Sicht, das der See überhaupt bloß zuließ, vollends zunichtemachte! Na bravo: ein wunderschöner Tauchgang! Da lag er also nun auf 40 Meter Tiefe im Schmodder, umgeben von Wolken eiskalten-schlammigen Wassers!

      In diesem Moment erreichte ihn der Strahl einer Lampe: Unmittelbar vor seiner Maske tauchte der Kopf von Thomas auf. Er sah ihm forschend in die Augen, klar, Horst gab wahrscheinlich nach seiner Landung im Schlammbad einen derart jammervollen Anblick ab, dass die Vermutung nahelag, irgendetwas sei mit ihm nicht in Ordnung. Wie ein Maikäfer rücklings auf dem Misthaufen, schoss es ihm durch den Kopf und trotz der Kälte und der unangenehmen Dunkelheit musste er bei dieser Vorstellung lächeln.

      Thomas presste die Spitzen von Daumen und Zeigefinger aufeinander und symbolisierte damit ein O, das international gebräuchliche Unterwasserzeichen für die Frage »Ist alles okay – ist alles in Ordnung?« Horst nickte und tat es seinem Tauchpartner nach. Das war die Antwort: »Alles okay.« Und den Umständen entsprechend war es ja auch so, obwohl er sich an schönere Tauchgänge erinnern konnte.

      Horst griff mit der Rechten an den Inflatorschlauch seines Jackets und ließ mit zwei kräftigen Stößen Pressluft in die Weste strömen. Bei dem gewaltigen Druck in dieser Tiefe konnte das im Sinne einer besseren Tarierung auf gar keinen Fall schaden. Dann stieß er sich mit derselben Hand leicht vom Untergrund ab: ekelhaft, wie er dabei mit dem Handschuh in den morastigen Schlick einsank. Aber immerhin, er »stand« dank dieses Manövers nun wieder senkrecht im Wasser. Vorsichtig schwenkte er die Lampe ringsum. Tatsächlich, da war ja die Ankerleine, an der sie abgetaucht waren. Sie hatten es also geschafft, exakt unter ihrem Boot hinunterzudriften. Immerhin!

      Thomas hob den Zeigefinger und deutete damit auf seinen Blinker, der nach wie vor eingeschaltet war und seine weithin sichtbaren Blitzsignale aussandte. Dann deutete er auf die Ankerleine und schwamm auf sie zu. Aha – das war klasse und das war absolut richtig gedacht, angesichts dieser eingeschränkten Sicht war es auch das einzig sinnvolle: Thomas befestigte den Blinker an der Ankerleine. Es wäre ihnen also nun dank der regelmäßigen, strahlend hellen Blitze ein Leichtes, ihre Auftauchstelle wiederzufinden, selbst wenn die Sicht noch so bescheiden wäre. Horst nickte anerkennend. Erfahrung hatte Thomas, und zwar nicht zu knapp! Eine solche Umsicht zeichnete einen guten Taucher aus und trennte auch in dieser Hinsicht die Spreu vom Weizen: Donnerwetter – wieder etwas gelernt!

      Thomas hatte den Blinker mit zwei, drei raschen Handbewegungen an der Leine festgemacht und warf einen prüfenden Blick auf seinen Tauchcomputer. An der linken Hand spreizte er darauf Daumen, Zeige- und Mittelfinger ab: drei Minuten waren also schon vergangen. Horst signalisierte »verstanden«. Viel Zeit blieb also nicht mehr, um die »Jura« zu inspizieren. Wo war das Wrack denn überhaupt? Suchend schaute er sich um, langsam den Lichtkegel seiner Lampe verfolgend, der einen fast aussichts­losen Kampf mit der sie umgebenden gnadenlosen Dunkelheit auszufechten schien. Thomas gab ihm ein Zeichen und winkte mit dem Lichtstrahl seiner Lampe (Das war die ganz eindeutig wesentlich stärkere! Schon wieder also an der falschen Stelle gespart!) nach rechts vorne.

      Und tatsächlich: In einer Entfernung von vielleicht drei, vier Metern schimmerte das Heck eines in den Schlick gesunkenen hölzernen Schiffes auf. Beinahe machte es den Eindruck, als sei es erst gestern verunglückt, wie es da unmittelbar vor Horsts Augen lag. Konnte es sich bei diesem Schiff tatsächlich um die vor fast 140 Jahren gesunkene »Jura« handeln? Kaum zu glauben, aber Thomas hatte ihm ja schon bei einer ihrer letzten Unterhaltungen erzählt, wie unversehrt der alte Raddampfer im Grunde noch war – einmal abgesehen von den Beschädigungen, die ihm unachtsam geworfene Anker oder Souvenirjäger zugefügt hatten. Das hing ganz eindeutig mit der Kälte im See und der hier auf dieser Tiefe herrschenden ewigen Dunkelheit zusammen: ideale Kon­ser­vierungsvoraussetzungen für das Wrack der »Jura«.

      Vorsichtig paddelte Horst am Rumpf des fast eben auf seinem Kiel stehenden Schiffes entlang, fasziniert von

      dem schemenhaft-unheimlichen Anblick, der sich ihm im Schein der Lampe darbot. Hier musste der Bug des Wracks kommen. Tatsächlich: Sogar Schnitzereien waren im Holz noch zu erkennen! Zufrieden lächelnd blickte Horst sich um und deutete mit der ausgestreckten Hand auf seine Entdeckung. Ob Thomas diese Schnitzereien bei seinen früheren Tauchgängen an die »Jura« auch schon aufgefallen waren? Thomas! Wo war Thomas! Horst drehte sich um und ließ den Strahl seiner Lampe am Schiffsrumpf entlangwandern, so gut das bei diesen Sichtverhältnissen eben möglich war.

      Innerlich fluchend machte er kehrt. Vor lauter Spannung und Konzentration auf sich selbst hatte er seinen Tauchpartner aus den Augen verloren! Und das in dieser Tiefe und bei diesen schauderhaften Bedingungen! Eigentlich unverzeihlich, bodenlos leichtsinnig und dumm, denn wie sollte man einander helfen, wenn keiner auf den anderen achtgab. Und in dieser Tiefe konnte verdammt schnell verdammt viel Unangenehmes passieren! Andererseits passte das doch ganz und gar nicht zu dem sonst so vorsichtigen und erfahrenen Thomas, ihn alleine vorneweg schwimmen zu lassen und ihn nicht ständig im Blickwinkel zu behalten. Aber wo war Thomas?!

      Mit beunruhigender Regelmäßigkeit zuckten die Blitze des vorhin an der Ankerleine festgemachten Blinkers durch das schwarze Wasser, fast wie die Blinklichter eines Notarztwagens. Horst schauderte. Ein Blick auf den Computer signalisierte ihm, dass ihnen noch maximal eine Minute Grundzeit blieb, spätestens dann war es höchste Zeit, wieder aufzutauchen. Aber wo verdammt noch mal war Thomas? Thomas!!

      Wie ein stummer Schrei fraß sich der Name seines Kollegen in Horsts allmählich von beklemmender Panik gemartertem Gehirn fest. Thomas – wo war Thomas? Weshalb hatte der ihn einsam und alleine hier in der gnadenlosen, eiskalten und schwarzen Tiefe zurückgelassen – mutterseelenallein? So verlassen und derart preisgegeben, wie Horst sich fühlte, konnte sich kein zweiter Mensch im gesamten Universum vorkommen!

      Von äußerster Panik vorwärtsgetrieben, bewegte er sich mit hektischen Paddelbewegungen auf die Richtung zu, aus der die vom Blinker ausgesandten grellen Lichtsi­gnale in die Dunkelheit zuckten.

      Wo aber war Thomas? Was war mit Thomas passiert? Thomas!!!!!!!!!


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