Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast

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Tatort Bodensee - Eva-Maria Bast


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Aber ich hab da grade eine elende Geschichte auf dem Schreibtisch, ich sag’s dir, da vergeht einem allmählich das Lachen! Ich kann jetzt am Handy nicht darüber reden, aber ich hoffe, ich bin morgen dann wesentlich weiter und kann endlich einen Knopf an die Chose machen. Also, wie gesagt – ich ruf dich heute Abend an. Tschüss!« Und schon hatte Thomas aufgelegt.

      Verwundert starrte Horst einen Moment lang sein Handy an: So knapp und gehetzt hatte er seinen Kollegen noch nie erlebt! Weder privat noch bei dem einen oder anderen Fall, in dem sie schon zusammengearbeitet hatten, er – Horst – von der Heilbronner Mordkommission aus und Thomas Grundler als Hauptkommissar beim Wirtschaftskontroll­dienst der Polizeidirektion Konstanz.

      Vor lauter Grübeln wäre Horst nun beinahe an der Abzweigung in Richtung Überlingen vorbeigefahren. Mit einem ärgerlichen Fluch lenkte er sein Auto im letzten Moment nach rechts, begleitet von wütendem Hupen des nachfolgenden Wagens, der gerade Gas gegeben hatte und nun durch Horsts überstürztes Lenkmanöver zu einem heftigen Tritt auf die Bremse genötigt wurde. Doch der Kriminalkommissar aus Heilbronn machte keine Anstalten, in eines der berühmt-berüchtigten bundesdeutschen Autobahnduelle mithilfe eindeutig-zweideutiger Zeichensprache einzusteigen; dafür war er im Augenblick viel zu sehr mit dem gerade beendeten Telefongespräch und Thomas Grundlers deprimiertem Tonfall beschäftigt.

      Der Tag im Strandbad Ost von Überlingen war traumhaft schön verlaufen. Urlaub, wie er idealer fast nicht sein konnte, nur – ganz ehrlich – zu zweit, also mit Claudia, wäre alles doch noch viel schöner gewesen. Das gestand sich Horst ehrlicherweise ein, wie er da alleine auf dem Rasen liegend dem bunten Treiben um sich herum im Ostbad zuschaute. Vor allem die Pärchen oder die Familien mit Kindern erinnerten ihn nachdrücklich immer wieder daran, dass er zum Single halt doch nicht geschaffen, sondern in Wirklichkeit – aller ärgerlichen Beteuerungen dann und wann zum Trotz – ein ausgesprochener Familienmensch war, dem allein zu Hause oder im Urlaub recht schnell die Decke selbst da auf den Kopf fiel, wo – wie im Strandbad – gar keine Decke vorhanden war.

      Dennoch, bei solch schönem Wetter am See, auf dem penibel kurz gemähten saftig-grünen Rasen seines Lieb­lings­bades in Überlingen war sich Horst wieder mal bombensicher: Nirgendwo konnte Urlaub schöner sein als am Bodensee – sofern natürlich das Wetter mitmachte. Kein unangenehm schmeckendes Salzwasser im Mund, kein lästiger Sand, der sich in alle Poren setzte, eine picobello gepflegte Anlage mit Süßwasserdusche, Rasen, ein schönes Baderestaurant mit Currywürstchen, Schnitzel, Pom­mes und Hefeweizen: Herz, was willst du mehr?

      Beschwingt radelte Horst am Abend die paar Meter zurück nach Nußdorf zum Wohnwagen, der sich ihm bei seiner Ankunft am Vormittag schon in angenehm gutem Zustand präsentiert hatte. Der Landwirt, auf dessen Platz Frieders mobiles Feriendomizil abgestellt war, war bereits von seinem bevorstehenden Eintreffen unterrichtet gewesen und hatte ihn schon erwartet. Schnell war der Koffer ausgepackt und der noch benötigte Proviant besorgt gewesen, sodass einem gemütlichen Abend am See eigentlich nichts mehr im Wege stand.

      Horst beschloss, sich zunächst einmal sommer-ausgehfertig umzuziehen: weiße Jeans, gelbes Polo T-Shirt und die Wildledermokassins – genau der richtige Dress, um noch ein oder zwei Stunden auf der Überlinger Uferpromenade entlangzubummeln und sich dort hinterher noch im »Faulen Pelz« ein oder zwei Spätburgunder-Weißherbst zu gönnen. Einen vielleicht vom Überlinger Spitalweingut und den anderen – mal sehen, was auf der Karte stand – entweder vom markgräflichen Weingut auf der Birnau oder aber einen Hagnauer von der dortigen Winzergenossenschaft. So ein richtig schöner gemütlicher Absacker mit einem kühlen, erfrischenden Weißherbst vor sich und die an der Promenade auf- und abflanierenden Menschen – das gehörte für ihn einfach zu einem Sommerurlaub in Überlingen dazu, wie das Wasser zum Bodensee.

      Während er so gemütlich im »Faulen Pelz« saß, dessen an die Fassade gemalten Wahlspruch »Faul ist und bleibt der Pelz« er bei jedem Besuch aufs Neue wieder mit einem zufriedenen Lächeln quittierte, blätterte er im neuen »Bodensee-Magazin«, das er vorher am Kiosk an der Uferpromenade erstanden hatte. Mal schauen, welche Angebote in der näheren Umgebung er noch nicht kannte und wohin man vielleicht mal an einem nicht ganz so schönen und sonnigen Tag einen lohnenswerten Ausflug unternehmen konnte. Der Rahmen war ja mittlerweile ganz schön weit gespannt: fast hundert Kilometer im Umkreis, da gab es sicher noch manches zu entdecken, während er das Seeufer und das unmittelbare Bodensee-Hinterland halt doch schon fast flächendeckend abgegrast hatte.

      Jetzt begann die Sonne allmählich tiefer zu sinken und das gleißend-helle Licht, das diesen Tag so warm und strahlend gemacht hatte, ging allmählich in zarte Rottöne über. Es war ein Sonnenuntergang am Wasser wie aus dem Bilderbuch: die Sonne, die ihre letzten Strahlen nun glutrot an den mittlerweile von einigen Wolken strukturierten Himmel schickte, während sich auf dem Wasser ein kilo­meter­langer roter Teppich vom Ufer bis zur Sonne zu spannen schien. Eine Sicht, wie sie klarer nicht sein konnte: im Hintergrund die zum Greifen nahen Alpen, ein allmählich aufkommendes warmes Lüftchen, das den zahllosen Segelbooten draußen auf dem See ermöglichte, etwas schnellere Fahrt in Richtung Hafen aufzunehmen, ein orangefarbener Reflex am gegenüberliegenden Ufer bei der Mainau drüben, einige Sekunden später noch mal einer. Nein, halt, Horst setzte sich auf und blinzelte mit den Augen. Das konnte doch eigentlich gar nicht sein, oder doch? Das war kein Reflex, es war vielmehr das orangene Blinklicht der rings um das ganze Seeufer aufgestellten Sturmwarnleuchten. Horst zählte langsam mit: ungefähr alle anderthalb Sekunden ein Blitzlicht, das bedeutete Sturm­vor­warnung, also zunächst einmal eine Vorsichtsmeldung. Wären die Blitze im Abstand von weniger als einer Sekunde ausgesandt worden, hätten sie unmittelbare Sturmgefahr signalisiert, also die dringende Aufforderung an alle Boote auf dem See, sofort den nächsten Hafen anzusteuern. Auch die Kapitäne der Segelboote hatten die Warnlichter registriert – es war deutlich zu erkennen, wie die meisten von ihnen nun auch reagierten und schneller als ursprünglich geplant Kurs auf den Hafen und ihre Liegeplätze nahmen.

      Eigentlich fast nicht vorstellbar, dass an diesem angenehm-milden Sommerabend von irgendwoher Sturm aufkommen sollte, doch Horst kannte »seinen« See in der Zwischenzeit gut genug, um zu wissen, dass Gewitter – gerade bei der momentan vorherrschenden Föhnwetterlage – von jetzt auf nachher praktisch wie aus heiterem Himmel von den Alpen herunter über den See jagen konnten, ohne dass man eine Viertelstunde zuvor als arglos auf dem Wasser dahinschippernder Segelbootslenker im Entferntesten an eine derart schnelle Änderung der Wetterverhältnisse geglaubt hätte. Aber genau diese tückische, sich blitzschnell ändernde Wetterlage war in der Vergangenheit schon so manchem Freizeitkapitän samt seinem Boot zum Verhängnis geworden, und nicht zuletzt aus je­-

      nem Grund waren vor vielen Jahren schon die orangenen Sturm­warnleuchten rings um den gesamten See installiert worden.

      »Na, was sagst du dazu? Würde man doch im Traum nicht für möglich halten, dass wir heute noch Sturm bekommen sollen!« Horst schreckte aus seinen Gedanken auf und blickte hoch. Er hatte vor lauter Sinnieren überhaupt nicht bemerkt, wie sich jemand seinem Tisch genähert hatte.

      Um so verblüffter war er jetzt, nachdem er den vor ihm Stehenden erkannte. »Thomas! Was tust du denn da? Wie hast du mich denn gefunden?«

      Thomas Grundler, ein sympathischer, leger gekleideter braun gebrannter Mann Anfang 40, lächelte leise. »Na – ich bitte dich! Wo muss man denn den Hotte schon suchen, wenn man ihn am Wohnwagen in Nußdorf nicht finden kann? Entweder im Ostbad – aber dazu war es meiner Meinung nach schon fast zu spät am Tag – oder aber im »Faulen Pelz« in Überlingen, wo er sich noch einen kleinen Absacker-Weißherbst gönnt! Andere Möglichkeiten sind um diese Uhrzeit bei diesem Wetter fast auszuschließen! Du siehst also, mein Lieber«, und nun zog sich ein breites Grinsen über sein Gesicht, »du bist ganz schön leicht auszurechnen mit deinen Gewohnheiten! Also gerate ja nie auf die andere Seite: Dich hätten wir nämlich unter Garantie blitzschnell geschnappt – wetten?!«

      Ebenfalls lachend hob Horst abwehrend die Hände: »Hab ich auch gar nicht vor. Ich tauge, glaub ich, nicht so sonderlich gut zum Al Capone. Außerdem müsste ich dann ja Zigarren rauchen – wär nix für mich und meine Lunge! Aber komm«, er beugte sich vor und zog einladend einen Stuhl an den Tisch, »setz dich endlich hin! Ist ja eine


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