Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast

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Tatort Bodensee - Eva-Maria Bast


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das Handy an Horsts Ohr zu dringen. Mimose!

      »Protnik! Januar ist vor gut und gerne einem halben Jahr gewesen! Jetzt haben wir Juli! Was hab ich dir denn damals empfohlen?«

      »Na, den Wildenstein natürlich! Deine Lieblingsburg im Donautal! Schon wieder vergessen, Herr Alzheimer?«

      Ach so! Ja, natürlich! Den Tipp hatte er seinem alten Kollegen vor einiger Zeit gegeben. Wenn er mal ein paar Tage Zeit hätte, dann solle er sein Fahrrad aufs Auto schnallen und einen Abstecher ins Donautal zwischen Tuttlingen und Sigmaringen machen und dort dann auf Horsts Lieb­lings­burg, der imposanten Festung Wilden­stein, hoch über dem Donautal in der dort eingerichteten Jugendherberge übernachten. Das war es, was Protnik jetzt also offenbar auch umgesetzt hatte. »Du bist jetzt also auf dem Wildenstein? Heißt das, du hast grade ein paar Tage Urlaub?«

      »Ja, was glaubst du denn? Wie ist das bei euch in Heilbronn: Kann man da etwa während der Dienstzeit einen Trip ins Grüne machen, oder wie? Klar – eine ganze Woche hab ich mittlerweile freie Tage und die feiere ich jetzt hier im Donautal ab!«

      »Ist ja prima!« Horst hatte sich dafür entschieden, die Spitze in der Antwort seines Kollegen schlichtweg zu überhören. »Da können wir uns ja mal treffen, oder? Ich hab nämlich auch gerade ein paar Tage frei! Was meinst du?«

      »Na ja«, die Begeisterung am anderen Ende des Gesprächs schien sich in engen Grenzen zu halten. »Also vom Wildenstein nach Heilbronn, das dürften ja fast 200 Kilometer sein – und dann noch am Stuttgarter Dreieck vorbei … Ich weiß nicht … Einerseits: Wiedersehen würde ich dich ja schon mal wieder gerne, aber wo ich doch jetzt das Fahrrad dabeihabe und ich doch eigentlich eine Art Aktivurlaub …«

      Horst unterbrach den qualvollen Entscheidungs­fin­dungs­prozess seines ehemaligen Mitarbeiters, mit dem er vor Jahren in Ulm zusammengearbeitet hatte und mit dem ihn seither eine herzliche Freundschaft verband: »Quatsch: nix ist mit Heilbronn! Ich bin nämlich grade auf dem Weg an den Bodensee – gar nicht weit weg von dir. Ich habe da nämlich einen Wohnwagen in Nußdorf bekommen, da bleibe ich die ganze Woche. Das sind vom Wildenstein«, Horst überlegte kurz, »schätzungsweise 35, maximal 40 Kilometer, das wäre doch machbar, eventuell sogar mit dem Rad.« Die Tatsache, dass es dann vom Bodensee wieder zurück auf den rauen Heuberg immerhin gut und gerne stattliche 400 Höhenmeter zu bewältigen galt, ließ Horst vorsichtshalber lieber einmal unerwähnt. »Und der Thomas, den kennst du doch auch, der Thomas Grundler, der kommt auch dazu, na, wär das was? Da hätten wir sturmfreie Bude und könnten kräftig einen draufmachen, was meinst du?«

      »Na ja, wenn du aber schon mit dem Grundler was ausgemacht hast. Also – ich weiß nicht so recht.« Oh Gott, das beleidigte Mimöschen in Protnik war wieder zutage getreten. Typisch Sputnik: er oder keiner! Dabei hatten sie sich bei ihren gelegentlichen Zusammentreffen bei irgendwelchen Fortbildungsveranstaltungen immer hervorragend verstanden – alle drei! Aber einzig und allein mit Thomas Grundler etwas ausgemacht und ihn, Protnik, nicht davon unterrichtet zu haben, das war anscheinend schon wieder gleichbedeutend mit einer Überdosis für das oft und mit Inbrunst zur Schwermut neigende Gemüt des Ulmer Kollegen.

      Horst versuchte es mit einem Köder, der normalerweise ziehen musste: »Also komm, jetzt tu nicht so und gib dir einen Ruck! Ich hab zwar nur Lemberger dabei, aber extra für dich könnte ich mir vorstellen, dass ich noch ein paar Flaschen Hefeweizen besorgen könnte. Ein richtig schön gekühltes Meckatzer Löwenbräu, na – wie wäre das?!« Horst wusste genau, allein beim Stichwort Hefeweizen und erst recht bei der Erwähnung von Protniks Weizenbier-Lieblingsmarke, die er zu seinem größten Bedauern nur am Bodensee und im Oberland, aber eben nicht in Ulm zu trinken bekam, würde dessen Widerstand schmelzen wie ein Schneemann im Backofen. Genauso war es.

      »Na ja – ich weiß nicht. Ich überleg’s mir mal. Okay.« Die Annäherung kam zögerlich, aber unaufhaltsam. »Also: vielleicht könnte ich es einrichten, sagen wir am Mittwoch. Also Mittwoch könnte eventuell klappen!«

      Blödmann! Als ob der an seinen freien Tagen so von Terminen zugedeckt wäre wie ein Börsenmakler! Aber gut, irgendwie versuchte halt jeder auf seine Weise, das Gesicht zu wahren. »Klasse, Protnik, also abgemacht! Ich ruf dich heute Abend noch mal an und erklär dir, wo du mich dann finden kannst. Toll! Also dann bis Mittwoch und grüß mir meine Lieblingsburg! Sag dem Herbergsvater übrigens einen schönen Gruß von mir, ich müsse unbedingt mal wieder vorbeigucken, ich habe schon regelrechte Entzugserscheinungen – vielleicht klappt’s ja sogar auf der Rückreise am Sonntag!«

      Das Wiedersehen mit der Burg Wildenstein lag in der Tat in greifbarer Nähe, und es sollte viel schneller stattfinden, als Horst es zu diesem Zeitpunkt ahnen konnte.

      Kaum war Horst wieder vom Parkplatz auf den Spätzleshighway eingebogen und hatte sein Fahrzeug beschleunigt, da klingelte das Handy von Neuem. »Scheiß­dinger!«, entfuhr es Horst, der mit der immer mehr um sich grei­fenden Handy-Manie und dem Überall-und-jederzeit-er­reich­bar-sein-können-und-müssen so seine Probleme hatte. »Nirgendwo hat man mehr seine Ruhe!« Missmutig drückte er die grüne Taste an seinem Mobiltelefon. »Meyer!« bellte er unwirsch ins Mikrofon.

      »Hallo, Horst, gut dass ich dich erreicht habe! Hier ist der Thomas!«

      »Ach, du bist es! Na dann ist alles halb so wild!« Horsts schlechte Laune war augenblicklich verflogen. »Ich dachte schon, irgend so ein Depp auf der Direktion meint wieder, er müsse unbedingt etwas wissen, das nicht bis nächste Woche Zeit hat, aber das natürlich auch noch in der übernächsten Woche zu klären wäre. Na gut: Also wenn ich richtig schätze, dann müsste ich in einer guten halben Stunde bei dir sein können. Ich bin nämlich grade schon hinter Geisingen auf der Höhe Hegaublick, und da vorne seh ich ein bisschen was vom See und sogar den Säntis. Meine Güte, ist das ein Panorama heute!« Die Sicht über die Hegauvulkane hinüber zum See und auf die Österreicher und Schweizer Alpen war tatsächlich atemberaubend schön! Das war es, so musste Urlaub im wahrsten Sinn des Wortes aussehen, so musste es sich auch anfühlen: strahlender Sonnenschein und eine wunderschöne Alpensicht, wie man sie nur an einer Handvoll Tagen im Jahr genießen konnte. In Horst machte sich eine euphorische Urlaubsstimmung breit, so wie fast immer, wenn er dem Ziel seiner langersehnten Ferien nahe kam. Die Frage, die sich danach stellte, war freilich immer wieder dieselbe: Hoffentlich hielten die nächsten Tage auch das, was die Ouvertüre in Aussicht gestellt hatte. Und eine solche Wetterlage mit Alpensicht bedeutete Föhn – oft genug schlug dann das Wetter in den kommenden 24 Stunden ins Gegenteil um – oft genug, aber doch sicher nicht diesesmal – oder?

      Doch schon kam der erste Dämpfer: »Du, schön, das freut mich für dich! Aber heute wird’s leider nichts mit unserem Treffen! Ich hab da grade einen saublöden Fall am Hals und ich seh keine Chance, da heute noch ein paar Stunden freimachen zu können!« Die Stimme am Handy klang nicht unbedingt verärgert, sondern eher ziemlich deprimiert. Eigentlich ganz und gar nicht die Art, wie er Thomas Grundler kannte.

      Für einen kurzen Moment stieg in Horst Enttäuschung auf – man sollte den Tag nun mal nicht vor dem Abend loben! »Schade – ich hatte mich schon gefreut, dich mal wieder in der PD zu besuchen, aber was nicht ist, können wir im Lauf der Woche ja vielleicht noch hinbekommen. Also gut, dann fahr ich eben erst mal nach Nußdorf und bring den Wohnwagen auf Vordermann.« Vielleicht auch kein Fehler, erst mal in Ruhe das Terrain zu sondieren, einzukaufen und sich zu entspannen: einfach so in der Sonne zu liegen, mal schnell mit dem Fahrrad (in Frieders Wohnwagen wurde zum Glück eines aufbewahrt) nach Überlingen ins Ostbad zu fahren und es sich dort gut gehen zu lassen. Und morgen war dann ja auch noch ein Tag – zum Tauchen … »Aber das mit dem Tauchen morgen klappt doch, oder? Ich hab extra meine Flasche dabei – die hab ich gestern noch füllen lassen: mit eins a Heilbronner Luft, da werde ich tauchen wie ein Weltmeister!«

      Die Antwort kam zögerlich: »Na ja, ich hoffe schon, dass das klappt! Ich ruf dich heute Abend noch mal an, okay?«

      Das war aber alles andere als beruhigend! »Okay – Dienst ist schließlich Dienst, was soll man da machen? Mach dir keine Gedanken, ist alles halb so wild!« So ein Mist! Da war alles so wunderschön geplant gewesen und jetzt zerplatzte die ganze Geschichte womöglich


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