Die wilden Zeiten der Théra P.. Hans-Peter Vogt

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Die wilden Zeiten der Théra P. - Hans-Peter Vogt


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darfst an diese Dinge nicht mit euren westlichen Augen herangehen. Für Ali wäre das die höchste Ehre, die es in unseren arabischen Staaten gibt. Sie würde auf mich abfärben. Ich wäre dann die Frau des Gewinners dieses Rennens. Etwas schöneres gibt es bei uns nicht.“

      Théra dachte lange nach. Dann dachte sie an Papa und seine beiden „Frauen“. Sie wusste, dass Papa beide seiner Frauen gleich liebte. Er hatte sie nie geheiratet, weil das in ihrer Welt nicht gestattet war, mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Die arabische Welt hatte einen anderen Ehrenkodex. Hier war das normal. Langsam begann sie zu verstehen. Solche Dinge werden den Völkern durch lange Traditionen vorgeschrieben. In ihrem Land wurden die Traditionen durch die katholische Kirche bestimmt. Im Land der Araber galten andere Werte.

      Dann erinnerte sich Théra an die Geschichten, die ihr Papa von den Völkern der Péruan und der Théluan erzählt hatte. Auch die alte indianische Ordnung war ganz anders gewesen. Sie war nur durch die Spanier und die Portugiesen gestürzt worden. Plötzlich wurde Théra klar, dass sie als Nachkomme dieses Reiches der Théluan eine besondere Verpflichtung hatte. Sie musste dafür sorgen, dass die 6000 Jahre alten Traditionen der Indios wieder lebendig werden würden. Jetzt nach diesem gescheiterten Putsch war das erst recht notwendig.

      Sie dachte ein wenig nach. Das würde vielleicht Kampf bedeuten. Die katholische Kirche würde sich das sicher nicht gefallen lassen.

      Sie wachte aus ihren Gedanken auf, weil Jubel aufbrandete. Einer der Söhne des Emirs hatte das gerade zu Ende gegangene Ausscheidungsrennen für sich entschieden. Er war nun schon der Zweite von Leylas Brüdern, der an dem letzten entscheidenden Rennen teilnehmen durfte. Einem Rennen der Besten unter den besten Reitern. Das war das Verdienst von Théra und Clara gewesen. Sie hatten die Jungs so schnell gemacht. Leyla hakte sich spontan bei Théra ein und flüsterte ihr glücklich zu. „Vielleicht kommt die Blume der Blumen ja auch in unser Haus. Das wäre für Papa das höchste Glück.“

      „Darf ich mit den beiden Jungs sprechen“, fragte Théra. Leyla zuckte mit den Schultern. „Sprich mit Mama. Sie wird Papa um Erlaubnis fragen.“

      So kam es, dass Théra, Clara, die beiden Jungs, und drei der Frauen des Harems mit Ferngläsern bewaffnet auf die höchste Sanddüne stiegen und den Parcours absuchten. Er ging weit in die Wüste hinaus. Es würde ein Mörderritt werden. Sand, Steine, Felsen. Zwischendurch Stöcke mit Trophäen, manche am Boden. Bändchen, Kugeln, Wimpel.

      Théra ließ sich das Rennen erklären. Sie würden alle auf das Startzeichen losreiten. Alle in einer großen Linie. Dann würde sich das Feld verengen, um wieder auseinanderzulaufen. Es würde zu Rangeleien um die besten Plätze kommen. Im zweiten Drittel des Parcours standen zwei oder mehrere der Trophäen in derselben Entfernung, aber weit auseinander, damit das Feld sich ausanderzog. Mehrere Gruppen konnnten in einiger Entfernung zueinander parallel reiten und Trophäen absahnen. Dennoch würde um jeden Winpel gekämpft werden. Sie würden andere zu Fall bringen oder mit ihnen um Wimpel ringen. Es war ein Kampf mit Fäusten, Füssen, Körpern. Manche der Tiere würden sich die Beine brechen, andere würden zu Tode geritten. Es langte nicht, ein guter Reiter zu sein. Man musste Geschick, Mut und Taktik beweisen.

      „Geschick und Taktik“, sagten Théra und Clara wie aus einem Mund. Théra sah Clara an und Clara gab ihr den Vortritt. Théra sah die Jungs an. „Ihr wollt beide die Trophäe?“ Die Jungs nickten. Deshalb waren sie da. „Gibt es Regeln? Dürft ihr euch gegenseitig helfen?“ „Naja, meinte die Jungs. „Es ist ein Kampf Mann gegen Mann. Wir dürfen uns helfen, aber es darf nicht zu offensichtlich sein, sonst verlieren wir unsere Ehre und müssen aus dem Rennen ausscheiden.“

      Théra überlegte. „So wie ich diesen Parcours da sehe, geht es nicht nur um Geschick. Der Parcours wird euch alles abfordern, was ihr gelernt habt. Viele Pferde werden straucheln. Andere werden über gestürzte Gegner fallen. Einige von euch werden verletzt oder vielleicht sogar getötet werden. Es geht bei diesem Rennen auch um sehr viel Glück.“

      Sie sah, wie die Jungen selbstbewusst nickten. Es war ein Parcours der Besten unter den Besten. Allah würde den Besten auswählen. Die Gewinner würden diesen Ruhm ein Leben lang mit sich tragen. Das war viel mehr als so eine läppische Olympiamedaille, die bei den Europäern oder den Amerikanern so viel galt. Das hier war ein friedlicher Wettkampf zwischen zukünftigen Herrschern, und sie waren ein Teil dieser Elite. Es entschied über den Einfluss ihres Landes in der Völkergemeinschaft der islamischen Staaten. Der Gewinner würde das Recht auf den Thron erwerben, selbst wenn er kein Erstgeborener war. Nur der Vater würde darüber bestimmen, wer letzlich der Thronerbe werden würde.

      „Taktisches Geschick also“, sinnierte Théra. Clara mischte sich ein. „Das ist es doch, was wir euch in den letzten Jahren versucht haben beizubringen. Feingefühl für die Pferde, Mitdenken in jeder Situation, taktische Überlegungen und Demut.“ Sie sah, wie die Jungen ins Grübeln kamen. Théra ergänzte. „Wenn einer eurer Gegner etwas schneller ist - oder auch etwas glücklicher - dann dürft ihr ihm die Trophäe also abjagen?“ Die Jungen nickten. „Das ist so gewollt. Mann gegen Mann.“ „Dann“, sagte Théra, „ist es recht einfach, auf einen der vorderen Plätze zu kommen. Seht zu, dass die Pferde nicht stürzen. Einer von euch wird den schnelleren Gegner in einen Kampf um die Trophäe verwickeln. Der andere wird im selben Moment nach vorne preschen, um sich die nächste Trophäe zu sichern. Ihr könnt euch abwechseln. Tut so, als kämpft ihr gegeneinander. Seht zu, dass ihr all eure Trophäen behaltet. Lasst sie euch nicht abnehmen. Weicht Angriffen aus. Im letzten Drittel zeigt ihr, dass ihr erbarmungslos und mit Geschick gegeneinander kämpft. Im Ziel dürfte es dann kaum einem Gegner gelingen, mehr Trophäen zu haben, als ihr beide. Wenn ihr das geschickt anfangt, dann werdet ihr dieses Turnier zwischen euch beiden entscheiden.“

      Die Jungs sahen sich an. Sie waren 18 und 16. Beide in einem Alter, wo man draufgängerisch ist. Sie hatten von Clara und Théra aber auch gelernt, ihre Pferde zu schonen. Das konnte diesen Ritt entscheiden. Sie sahen sich erneut an. Dann begannen sie über einige strategische Schachzüge zu sprechen. Wie sie am Beginn des Rennens ihre Ausgangsposition sichern, wie sich im Mittelfeld verhielten. Wenn es in das dritte Drittel ging, würden sie gegeneinander kämpfen, aber ohne sich zu verletzen. Théra und Clara nickten.

      „Die Details überlassen wir euch. Ihr seid hier aufgewachsen. Es ist euer Rennen.“

      „Lasst uns zurückgehen“, baten die Frauen. „Wir waren schon zulange hier. Es soll nicht mehr auffallen als nötig.“ Inzwischen brannte die Mittagssonne gnadenlos. Sie gingen langsam zu den Zelten zurück, um nicht zuviel Kraft zu verbrauchen, dort nahmen die Jungs als erstes ein Bad, um einen kühlen Kopf zu bekommen. Sie legten sich in den hintersten Winkel des Zeltes, und sprachen leise miteinander. Dann schlummerten sie ein.

      Bevor das Rennen begann, nahm ihr Vater sie auf die Seite. „Ihr habt über das Rennen gesprochen? Gut. Helft euch, wo es notwendig ist, aber keine unerlaubten Tricks. Es geht um die Ehre unseres Landes.“

      Die Jungs nickten. Genau darüber hatten sie lange geredet.

       14.

      Die Pferde spurteten auf breiter Linie los. Schon zu Anfang fingen einige der Teilnehmer an sich zu bekämpfen, um den Gegner aus dem Rennen zu schlagen. Die beiden Söhne des Emirs, Abdullah und Burak, hielten sich aus diesen Kämpfen geschickt heraus. Ali und Mustafa waren genauso geschickt. Sie ließen ein paar Mal ihre Gegner in eine Falle laufen. Eins der gegnerischen Pferde kam dabei zu Fall und brach sich das Genick.

      In dieser Startphase gab es noch acht weitere Verletzte Pferde. Sie würden alle getötet werden müssen. Das Feld war um neun Teilnehmer kleiner geworden.

      Nun ging es an die Erbeutung der Wimpel. Wieder waren Ali und Mustafa äußerst geschickt. Sie kannten ihre Stärke und die Stärke des Gegners. Sie traten nicht gegeneinander an. Sie ritten in zwei getrennten Linien. Sie würden den Kampf untereinander erst im letzten Drittel ausfechten.

      Abdullah und Burak waren in einer Gruppe. Sie beherzigten Théras Rat. Während sich Ali und Mustafa durch


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