Die wilden Zeiten der Théra P.. Hans-Peter Vogt
Читать онлайн книгу.überteuerte Serviceleistungen berechnen, man konnte minderwertige Baumaterialien verwenden und teuer verkaufen. An so einem Unglück konnte man mit etwas Geschick sehr reich werden. Leider machte ihnen der Ministerpräsident einen Strich durch die Rechnung. Das Militär hatte strikte Anweisungen. Fast alle Hilfsgelder liefen über diese Stiftung in Théluan und an diesen Direktor der Stiftung (Théras Vater Dennis) war nicht ranzukommen. Er galt als unbestechlich. Jedes einzelne Angebot und jede Rechnung wurde genau geprüft und die Arbeit und die Zusammensetzung der Baumaterialien wurde überwacht. Deutsche Gründlichkeit mochte ja etwas Positives sein, aber in dieser Konstellation fand man das als lästig.
Der Ministerpräsident des Landes war der führende Kopf der konservativen Partei, aber der gegenwärtige Kurs des Ministerpräsidenten war ihnen zu indianerfreundlich. Er kollidierte mit den egoistischen Gewinninteressen einiger wichter Familien. Eine konservative Volkspartei zu sein, bedeutet ja nun nicht, dass man auch eine Politik für die Indios in diesem Land machen musste. Jedenfalls konnte man doch nicht von der weißen Elite verlangen, dass sie ihre ererbten Privilegien der ungezügelten Bereicherung einschränken oder gar aufgeben müssten. Der Ministerpräsident stellte jetzt offensichtlich einige ihrer innersten Werte auf den Kopf, auch wenn sie sachlich noch nie zu rechtfertigen gewesen waren.
Einige dieser Familien hatten sich in Théluan sogar Grundbesitz gesichert. Sie hatten von dem Bauboom profitiert, manche als Makler oder als Finanzdienstleister, aber sie hatten in den letzten Jahren auch zusehen müssen, wie die Indios in dieser kleinen Stadt immer selbstbewusster wurden. Da musste man gegensteuern. Man wollte die Ausgrabung der „Heiligen Stadt“ in Théluan nicht unbedingt behindern. Sie lieferte ungeheuer viel Geld in die Staatskasse, aber die Familien wollten an diesem Ausgrabungsboom kräftig mitverdienen. Es gab da viele potenzielle Möglichkeiten, wie Leiharbeit, Unterschlagung oder auch Diebstahl. Nur blöd, dass diese Stiftung von Dennis ein Machtfaktor war, an dem man in Théluan nicht vorbeikam. Diese Stiftung musste aus der Sicht dieser Leute eine andere politische Richtung bekommen. Dieser Dennis und diese Leiterin der Ausgrabung, diese Indianerin Alanque mussten weg. Man hatte bereits mehrfach versucht, sie zu verunglimpfen, indem man ihnen Unsauberkeiten in der Abrechnung und illegale persönliche Bereicherung vorwarf, aber das hatte nichts geholfen. Aus dem Nachbarland Bolivien (einem Land, das von der Beteiligung an der Ausgrabung in Théluan genauso profitierte, wie Peru selbst) hatte es lautstarke Proteste gegeben. Der peruanische Präsident hatte sich durch die Vorwürfe aus dem eigenen Land sogar angegriffen gefühlt, und er hatte diese Unterstellungen schließlich unterbunden. Dem Landesrechnungsamt lagen Beweise vor, dass die Stiftung korrekt abrechnete.
Dieser Präsident hatte sich in den Augen dieser Ultrakonservativen zu weit aus dem Fenster gelehnt. Er war nicht mehr tragbar. Auch er musste weg.
Während der Wiederaufbau organisiert wurde, entstand eine wirklich gefährliche politische Bewegung. Sie war anfangs zahlenmäßig relativ klein, aber sie war mächtig, weil sie viel altes Geld vertrat. Es gab immer mehr Minister, hohe Beamte, Militärs, Polizisten, Richter, Journalisten und Fernsehleute, die jetzt den heimlichen Widerstand gegen diesen Ministerpräsidenten und gegen Dennis Stiftung organisierten. Popularität hin, Popularität her. Diese Art von Volkstümlichkeit wollten sie nicht mehr länger dulden.
Alles war schlimmer geworden mit dieser unseligen Heirat zwischen Sofia (der Tochter des Ministerpräsidenten) und diesem Mischling, diesem Para, der als Sohn von Dennis galt. Das war ein falsches Signal gewesen. Mochte der noch so geschickte Hände mit der Zucht und mit der Heilung von Pferden haben. Man hätte das verhindern müssen.
Ein Putsch dieser Ultrakonservativen hätte zu diesem Zeitpunkt diese ganze Solidargemeinschaft in Théras Tal in ernste Schwierigkeiten gebracht und nicht nur das. Die Drahtzieher scheuten nicht vor Mord und Totschlag zurück, wie das oft so ist, und sie warteten auf einen günstigen Zeitpunkt, um loszubrechen und die Macht im Land zu übernehmen. Ein einzelner Mord würde da nicht helfen, obwohl man solche Pläne bereits in der Schublade hatte. Dennis, Alanque und dieser Para standen bereits im Fadenkreuz. Killer waren bereits angeheuert. Man musste diese Sache nur noch gut organisiert durchziehen.
Die Bewegung rekrutierte sich aus Mitgliedern der konservativen Volkspartei. Der Widerstand gedieh heimlich, und die Gruppe gewann immer mehr (weiße) Anhänger, die im Untergrund schwerbewaffnete Milizen bildeten, und versuchten, neue Anhänger beim Militär und in der Polizei zu rekrutieren.
Sie hatten den Ministerpräsidenten lange gestützt. Er war ja durchaus kein Mann der Milde. Er hatte seine Karriere mit Weitsicht, mit Härte und Durchsetzungsgefühl geplant und organisiert. Dieser Präsident war ein gewifter Taktiker, und ein gefährlicher Mann mit vielen Verbindungen und viel Unterstützung bei den wichtigsten Militärkommandanten. Man musste vorsichtig sein.
Die Bewegung wollte die Partei nicht spalten. Sie wollte die Macht in einem Staatsstreich übernehmen, und es schien notwendig zu sein, dies bald zu tun. Man würde versuchen, die Macht mit einem Schlag und mit brutaler Gewalt an sich zu reißen. Man musste nur noch einige führende Militärs und Polizeichefs überzeugen, dann würden sie ihren Überraschungsangriff starten, und dann würden sie alle die Gegner mit einem großen Rundumschlag niedermachen. Man würde jedoch damit warten, bis die ausländischen Pressevertreter das Land wieder verlassen hatten, die nach dem Beben in der Region Cusco zu Hunderten herumschwirrten wie die Schmeißfliegen, um ihre Bilder zu machen.
3.
Als Erste hatte die Frau von Théras großen Halbbruder Para damals die Gefahr durch die Ultrakonservativen erkannt. Das war bereits, als sie Para geheiratet hatte. Para war ein Mestize (der Sohn einer Buschindianerin und eines Weißen) und Sofia hatte bemerkt, dass viele Parteifreunde ihres Vaters mit dieser Hochzeit nicht einverstanden waren. Das galt vielen als „Rassenschande“. Dabei war diese Einstellung völlig verlogen. Die weiße Elite hatte durchaus keine Bedenken, ein Indianermädchen zu schwängern, aber für weiße Frauen der gesellschaftlichen Elite galt es als Tabu, einen Indianer oder einen Mestizen zu heiraten. Das gehörte sich einfach nicht. Sofia hatte sich über dieses Tabu hinweggesetzt. Sie hatte sich über dieses “Gefühl” (denn anfangs war es nur ein Gefühl) mit ihrem Mann und mit ihrer Mutter besprochen, aber es dauerte, bis der Ministerpräsident des Landes über einige sichere Erkenntnisse verfügte. Die Gegner waren sehr vorsichtig. Viel wusste er nicht, und er kam mit seinen Nachforschungen nicht weiter.
Einige Wochen nach dem Beben hatte sich Sofias Vater schließlich vertraulich an Dennis gewandt. Vielleicht könne der in dieser Angelegenheit helfen. Das war vielleicht gerade noch rechtzeitig. Nach einem langen Gespräch im Familienkreis über die drohende Gefahr im Lande hatte Théra die Initiative ergriffen. Sie setzte sich dafür ein, dem Onkel beizustehen, und Théra nahm sich eine Auszeit, um diese Hilfe zu organisieren. Im Nachhinein gesehen, war es Théras Entschlossenheit, die ihrer Familie letztlich das Leben rettete.
Sie bat ihre Geschwister um Unterstützung. Ihre Schwestern Clara und Eva, ihre Brüder Pesa und Nils und ihre Halbschwester Ana Théla. Sie hatten alle diese übernatürlichen Fähigkeiten, die auch Théra hatte. Vielleicht nicht alle, aber doch die meisten. Nur Raoul Pelé war noch zu klein, und Théras kleiner Bruder Pesa entschuldigte sich. Er war fest in die Organisation der Grupo Architectura del Kids eingebunden. Er war unabkömmlich, aber er würde sich vorsehen.
Noch während Théra sich im Fernsehen für den Wiederaufbau einsetzte, und noch während ihr Bruder Pesa all diese Bautrupps in Gang setzte, widmete sich Théra bereits ihrer selbstgewählten Geheimaufgabe.
Théra und Ihre Geschwister setzten ihre Verwandlungskünste ein und sie fanden auf einem drei Monate dauernden „Feldzug“ heraus, dass da ein Putsch vorbereitet wurde. Sie mussten lernen, dass ihre Familie als Feind dieser Menschen galt. Sie fanden heraus, wer zu dieser innerparteilichen Opposition gehörte.
Théra und ihre Geschwister hatten das nicht ganz ohne die Hilfe und Erfahrung von Papa und ihrem großen Bruder Para zu Wege gebracht, aber die beiden Erwachsenen leisteten ihnen in dieser Sache nur Starthilfe, und halfen hin und wieder bei der Analyse von Fakten und Daten. Dennis und Para hatten ohnehin mit dem Wiederaufbau alle Hände voll zu tun. Sie vertrauten Théras Instinkt.