Die wilden Zeiten der Théra P.. Hans-Peter Vogt
Читать онлайн книгу.Ministerpräsident verriet nie, wie er an diese wichtigen Informationen herangekommen war. Die ganze Geheimniskrämerei war sogar ein richtiger Schritt. Er schützte Théras Familie vor möglichen Racheakten.
Immerhin war Dennis so vorsichtig, dass er eine Gruppe von zwanzig absolut zuverlässigen Indios damit beauftragte, ihre Augen und Ohren offenzuhalten, und seine Familie rund um die Uhr zu bewachen, bewaffnet mit Walkie Talkies.
Théra dachte nach diesem Vorfall lange über Macht nach. In ihrer Familie gingen sie pfleglich mit ihrer Kraft um. Papa hatte stets von ihnen gefordert, ihre Macht nie zu missbrauchen. Langsam erkannte Théra, dass Macht eine dunkle Seite und eine Sonnenseite hatte.
So beschlossen Théra, Papa und Para die Ultrakonservativen weiter zu überwachen und sie würde auch ihren mächtigen Onkel von Zeit zu Zeit überprüfen. So viel Macht in einer Hand konnte nur gut gehen, wenn diese Macht nie missbraucht werden würde. Erstmals erhielt Théra eine vage Ahnung von Politik. Das ist ein Théma, das Jugendliche ihres Alters sonst überhaupt nicht interessiert. Bewusstes politisches Handeln war für Théra zu diesem Zeitpunkt noch viel zu abstrakt und viel zu weit entfernt. Théra hatte einfach aus dem Bauch heraus gehandelt, und sie hatte die richtige Eingebung gehabt.
7.
Der ganze Monat Dezember war für Théra nicht schön gewesen und auch ihr 14. Geburtstag war für Théra kein schönes Erlebnis. Die Pubertät und die Reaktion des Onkels auf den drohenden Putsch hatten Théra zugesetzt.
Dabei war in diesem Jahr so viel geschehen. Man könnte jetzt mit viel Hoffnung und Elan in die Zukunft blicken. Théra hätte jetzt viele weitere Aufgaben übernehmen können. Vieles war durch diese Solidarbewegung nach den Beben in Bewegung geraten, was vorher gestockt hatte. Viele Projekte mußten jetzt sinnvoll begleitet und weitergeführt werden, aber Théra wollte in diesen Wochen einfach nicht mehr.
Eigentlich konnte man sie verstehen. Es gibt immer einmal einen Punkt, wo man keine Kraft mehr hat und wo man nicht mehr will. Rückzug ist völlig legitim.
8.
Bereits vor Weihnachten waren die Wiederaufbauarbeiten in Théras kleiner Stadt weitgehend abgeschlossen worden, auch die Straße nach Cusco war längst wieder befahrbar.
Oben auf dem Berg hatte man die Schuttberge der eingestürzten Hochhäuser weggeräumt. Dort entstanden jetzt erdbebensichere Wohnanlagen nach dem Vorbild der Indiosiedlung. Die Einkaufszentren waren zum Teil abgerissen worden, und sie waren schon bald wieder geöffnet worden, um die Versorgung der Stadt sicherzustellen. Auch die zerstörten Schulgebäude waren wiederaufgebaut worden.
Théras jüngere Schwester Clara kannte diese Einflüsse der Pubertät noch nicht. Sie hatte viel zu tun. Clara half bereits im November und Dezember bei der Neuorganisation der Schule, und sie widmete sich auch der Pferdezucht ihres Bruders Para. Auch die Pferde verlangten nach ständiger Pflege und Aufmerksamkeit.
Théras kleiner Bruder Pesa war im Spätherbst mit seinen Bau-Kids aus Cusco zurückgekommen. Die Gruppe hatte sich langsam wieder in den Schulalltag eingeklinkt. Die Erfahrungen des Sommers mussten verarbeitet werden. Schließlich brachten sie noch 800 Kinder aus Cusco mit. Sie hatten ihre Eltern verloren und die Schule der Indios platzte jetzt aus allen Nähten. Dennoch waren erstaunlicherweise alle voller Leben und voller Enthusiasmus.
Nur Théra zog sich wieder zurück in ihre Art von Schneckenhaus. Théra sah alles, aber sie engagierte sich nicht mehr. Sie hatte Augen für Jungs, aber sie sah bald, dass es niemanden gab, zu dem sie eine intime Beziehung hätte aufbauen wollen. Nicht hier in Théluan. Selbst bei den Mädchen gab es niemanden, mit der Théra über ihre Probleme hätte reden wollen.
So entschloss sich Théra kurz nach Neujahr, ihre Schwester Clara einzuweihen. Vielleicht nicht in alles, aber doch in einiges.
Clara hatte schon längst darauf gewartet. Sie hatte ihre große Schwester beobachtet. Sie hatte ein paar Mal mit Papa und Mama über Théra gesprochen, aber die hatten nur geseufzt. Die Pubertät sei eine schwierige Zeit, Clara würde das auch noch erfahren.
Clara war zwei Jahre jünger als Théra. Sie verstand vieles von Théras neuen Nöten nicht aus eigenem Erleben, aber sie konnte gut zuhören, und sie beobachtete Théra jetzt viel genauer als vorher.
„Wenn du nicht mit Papa, Mama oder Para darüber reden möchtest“, sagte Clara, “dann solltest du vielleicht mal den Rat von Aussenstehenden einholen. Ende Januar werde ich mit Para nach Dubai fliegen. Komm doch einfach mit. Überlass Para und mir die Sache mit den Pferden und dem Reitunterricht für die Jungen des Emirs, und kümmere dich einmal ausschließlich um die Mädchen des Harems und deine Seele.“
Sie fuhr fort: „Die Frauen dort sind doch in diesen Dingen der Liebe erfahren. Sie können dir vielleicht mehr darüber sagen, was dich gerade bedrückt. Vielleicht können sie dir sogar helfen.“
Théra dachte lange darüber nach, dann nickte sie langsam und vorsichtig. Diese Frauen hatten nicht Théras Kräfte, aber sie hatten in ihrem Land eine besondere Rolle. Vielleicht würde ihr diese Gemeinschaft aus Frauen helfen können.
9.
Auch Dennis hatte Théra den ganzen Dezember über beobachtet. Er hatte sie ein paar mal in den Arm genommen, aber Théra hatte sich angefühlt, wie ein Stück totes Holz. Er sah das wirre Feuer in ihren Augen. Helfen konnte er nicht. Dieses Problem musste Théra selbst lösen. Es war ihr Leben.
Er hatte sich mit Théras Mutter besprochen und Alanque hatte sorgenvoll geseufzt. Théra war verschlossen wie eine Festung.
Als Théra in der zweiten Januarwoche den Wunsch äußerte, mit nach Dubai zu fliegen, da nickte Dennis. Er besprach sich mit Para und Clara und bat sie darum, ihre schützenden Hände über Théra zu halten. Théra brauchte jetzt ein stabiles soziales Netz.
Er ahnte, dass ein Ausbruch bevorstand und er sprang für zwei Tage nach Berlin, um Laura und die Freunde zu warnen. In so einer Phase konnte alles Mögliche geschehen. Es war eine wirklich gefährliche Situation. Es durfte nie passieren, dass Théra aus irgendeiner Laune oder Enttäuschung ihre Kräfte missbrauchte. Dann wäre der Teufel los. Gerade Théra mit ihrer außerordentlichen Macht brauchte jetzt eine Schar von Freunden, die ihr den nötigen Raum gaben, um diese schwierige Erfahrung zu bewältigen, und die sie stets beobachteten würden und sofort zur Stelle waren, um sie aufzufangen.
Dennis betete zu seinem verstorben Bruder Patrick, er möge Théra in dieser schwierigen Phase beistehen.
Gott sei Dank war diese Putschgeschichte glimpflich an ihnen vorübergegangen. Dennis hatte über Neujahr mehrere Geheimtreffen mit Sofias Mutter und dem Ministerpräsidenten gehabt, und er fand Théras Erkenntnisse voll bestätigt. Von diesem Ministerpräsidenten drohte ihnen derzeit keine Gefahr, und von den Generälen offenbar auch nicht. Dennoch hatten sie Glück gehabt, und Dennis erhielt ständige Berichte seiner eigenen Schutztruppe. Diese geheime Überwachung durfte nie einschlafen, denn Dennis wusste aus Erfahrung, dass Rache meist “kalt gegessen” wird, dann nämlich, wenn man wieder in den Alltag eingeklinkt ist, und die natürliche Vorsicht versiegt.
Man konnte sich jetzt mit aller Vorsicht wieder seinen wichtigen Aufgaben widmen. Auch der geregelte Fortgang der Ausgrabungen in Théluan gehörte dazu. Diese archäologische Fundstätte spülte immens viel Geld in die Staatskassen. Gerade in Zeiten der Krise war das überlebenswichtig, weil dieser ständige Zufluss von Reichtum wirtschaftliche und politische Stabilität sicherte. Durch die Funde waren viele Infrastrukturmaßnahmen und Projekte überhaupt erst finanzierbar geworden. Schließlich strahlte die Ausgrabung der alten Königsstadt als kulturelles Symbol eine ungeheure Kraft aus, weit über die Grenzen Perus.
So hatte die mit der Ausgrabung verwobene Situation einerseits die Putschgefahr durch die Ultrakonservativen heraufbeschworen, andererseits hatte sie die Familie von Théra beschützt. Es gibt Menschen, die sagen: