Die UNO. Reinhard Wesel
Читать онлайн книгу.und Gründung im Zweiten Weltkrieg
Die UNO ist wie der Völkerbund aus dem mörderischen Geschehen eines Weltkrieges heraus auf Initiative von kriegführenden Regierungen späterer Siegermächte entstanden, nicht als kühner Entwurf für eine bessere Weltorganisation aus der Mitte der „Völker“. Schon die Benennung der neuen Organisation als die der „Vereinten Nationen“ zeigt, dass sie ein unmittelbares Produkt des Zweiten Weltkrieg ist: Als die Alliierten gegen Deutschland, Italien und Japan an Neujahr 1942 eine gemeinsame programmatische Botschaft abgaben, nannten sie diese die „Erklärung der Vereinten Nationen“ („Declaration by United Nations“).
Der Kampf gegen Deutschland und Japan wurde ohne den Völkerbund gewonnen, in dem die Alliierten kein geeignetes Instrument gegen staatliche Aggression mehr sahen; dennoch galt es schon im größten und schlimmsten Krieg der Geschichte als selbstverständlich, dass nun eine neue und bessere internationale Organisation zu gründen war, die endlich dauerhaft in der Lage sein sollte, Krieg und Kriegsverbrechen zu verhindern – und Frieden aktiv zu ermöglichen. Trotz der Enttäuschungen mit dem Völkerbund geriet die Organisation der Vereinten Nationen in Ansatz und Struktur ihm recht ähnlich nach den idealtypischen Merkmalen, die der ausgearbeitete Gedanke einer internationalen Friedens-Organisation vorgab:
Das im vorausgegangenen Krieg siegreiche Bündnis wird zu einem System der kollektiven Sicherheit unter Vorrang der Großmächte, die als ständige Mitglieder im entscheidungsmächtigsten Gremium sitzen;
dabei bleibt die unantastbare Souveränität der einzelnen Staaten oberste Maxime, also auch das prinzipielle Verbot der Einmischung in deren innere Angelegenheiten;
idealistisch wird Abrüstung beschworen und realistisch Rüstungsbegrenzung versucht;
zum Konfliktaustrag ist friedliche Streiterledigung verpflichtend, durch Verhandlungen und/oder Schiedsgerichte;
stützend werden Mechanismen für Entwicklung und Ausbau der Beziehungsgeflechte zwischen den Staaten im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich vorgesehen;
dazu werden (eigenständige) Fachorganisationen eingerichtet;
rhetorische Formeln dienen dem Bekenntnis zu hochstehenden moralischen Prinzipien und Zielen, insbesondere zur Achtung der Normen des Völkerrechts und der Menschenrechte.
Die USA waren die treibende Kraft der Neugründung; die Amerikaner gingen wohl davon aus, dass ihre aktive und bestimmende Mitarbeit nun den Erfolg bringen würden. Da dieser Optimismus durch ihr im Krieg ständig gewachsenes Machtpotential wohl unterfüttert war, konnten die alten Rezepte nur wenig modifiziert fortgeschrieben werden. Somit wurde der status quo von 1945 in die Struktur der neuen Organisation nur schwer korrigierbar eingeschrieben; jedenfalls wurde „die einmalige Gelegenheit versäumt, eine an den Bedürfnissen der Staatengemeinschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgerichtete Weltorganisation zu schaffen“ und ihr „institutionelle […] Mechanismen, die einen kontrollierten Wandel ermöglicht hätten“, zu geben (Bertrand 1995, S. 37f.).
Die Gespräche und Verhandlungen zu Konzept und Planung der neuen Organisation seit 1941 verliefen entlang von drei interessenbestimmten Konfliktlinien,
zwischen den USA unter Präsident Franklin D. Roosevelt und Großbritannien unter Premierminister Winston Churchill,
zwischen diesen beiden und der Sowjetunion unter Generalsekretär Josef Stalin,
zwischen den Großmächten und dem Rest der Kriegsalliierten.
Der Verhandlungsprozess war immer von Konkurrenz um Macht und die dynamische Entwicklung ihrer Verteilung im Krieg geprägt: Großbritanniens Vormachtstellung schwand im Abwehrkampf gegen Deutschland, während das Machtpotential der hilfreichen USA trotz ihres Engagements auf zwei Kriegsschauplätzen rasch wuchs; die früher randständige Sowjetunion musste immer stärker in die Entscheidungen eingebunden werden, damit der Krieg in Europa zu gewinnen war, weswegen unterschiedliche Vorstellungen der USA und Großbritanniens der gemeinsamen Linie gegenüber Stalin untergeordnet wurden.
Die UNO wurde in vier Phasen konzipiert und ausverhandelt:
Dezember 1941 bis Sommer 1944: erste Überlegungen, auslotende Gespräche und erste konzeptionelle Absprachen;
August/September 1944: detaillierte Verhandlungen zur Festlegung der Struktur;
Februar 1945: verbindliche Entscheidungen in einzelnen Interessenkonflikten;
April-Oktober 1945: Konsens-Findung und Gründungs-Beschluss.
Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill berieten bereits im August 1941 über die Nachkriegsordnung – die USA waren noch gar nicht in den Krieg eingetreten. Weil das Treffen an Bord des britischen Schlachtschiffes „Prince of Wales“ mitten im atlantischen Ozean stattfand, wurde die Abschlusserklärung als „Atlantik-Charta“ bekannt; sie betonte als wesentliche Prinzipien der zukünftigen Weltordnung das Selbstbestimmungsrecht der Völker und den Gewaltverzicht der Staaten untereinander sowie den internationalen Freihandel, aber auch internationale Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Zur Frage einer neuen internationalen Organisation wurde vorerst nur die Absicht zur „Errichtung eines weiteren und dauernden Systems der allgemeinen Sicherheit“ verkündet. Die leitende Vorstellung war wohl zunächst, dass die USA zusammen mit den Briten als hegemoniale Ordnungsmächte die internationale Sicherheit garantieren würden, während alle anderen Staaten abrüsteten.
Aber die Dynamik des Krieges erwies das dann als unrealistisch, weil zur Bezwingung von Deutschland, Italien und Japan eine wesentlich breitere Koalition von Alliierten nötig wurde. Anfang 1942 beschloss das Kriegsbündnis von 26 Staaten die – für die spätere UNO namengebende – „Erklärung der Vereinten Nationen“ („Declaration by United Nations“). Auch die Sowjetunion (UdSSR) unter ihrem Diktator Josef Stalin war als alliierte Großmacht einzubinden, wofür ihr der Status einer mit den USA und Großbritannien gleichberechtigten Schutzmacht für die spätere internationale Ordnung zugestanden werden musste. Aus der atlantischen Zweier-Hegemonie wurden die „großen Drei“ und später sogar die „großen Vier“, als die drei Großen auf der Außenministerkonferenz in Moskau im Oktober 1943 beschlossen, dass auch China als Garantiemacht für den Weltfrieden nötig sein würde. Aus dem hegemonialen Denken und Vorgehen heraus hatte sich ein stärker multilaterales Moment entwickelt.
Erstmals wurde von der Moskauer Konferenz die Absicht erklärt, als Ersatz für den Völkerbund eine neue Weltorganisation zu gründen, was in einem speziellen Konsultations- und Verhandlungsprozess vorbereitet werden sollte. Die „großen Drei“ handelten die grundsätzlichen Entscheidungen, die zunächst meist recht kontrovers waren, im Kern unter sich aus: Die UNO ist von ihrer Entstehung an durchwegs ein Verhandlungskompromiss.
Zwei Optionen standen zur Entscheidung,
eine regionale Konzeption, nach der jeweils die Großmächte unabhängig voneinander als Hegemonialmächte in ihren Weltregionen Frieden schaffen, also die USA in Amerika, Großbritannien in Europa und die Sowjetunion im Fernen Osten – was Churchill und Stalin bevorzugten,
eine universale Konzeption, nach der die Großmächte in gemeinsamer weltweiter Zuständigkeit den Weltfrieden sichern – was Roosevelt vertrat.
Der amerikanische Präsident konnte sich auf der Konferenz in Teheran im November 1943 durchsetzen: Die UNO würde von universaler Struktur sein.
Die USA dominierten auch den folgenden Gründungsprozess: Im Sinne der klassischen Verhandlungs-Maxime „always control the paper“ übernahmen sie die Federführung bei der Ausarbeitung und Formulierung der Charta – also der völkerrechtlichen Vertragsgrundlage – zu Aufbau und Auftrag