Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland. Stefan Goertz
Читать онлайн книгу.drückt sich in der Idee einer „weltumspannenden geheimen Verschwörung des Judentums“ aus oder indem Juden kollektiv für die Handlungen des Staates Israel verantwortlich gemacht werden.
•Rechtsextremisten hängen einem autoritär geprägten Staatsverständnis an, das häufig mit der Ablehnung der in Demokratien üblichen Gewaltenteilung einhergeht. In der Konsequenz fordern Neonazis angelehnt an den historischen Nationalsozialismus einen „Führerstaat“, in dem alle staatliche Macht auf die Entscheidungen einer Einzelperson zurückgeführt wird.
•Rechtsextremisten organisieren sich im rechtsextremistischen Parteienspektrum, als Neonazis, in „Kameradschaften“, subkulturell geprägt, dazu gehören u.a. die Skinhead-Subkultur und die „Identitäre Bewegung“.11
2.2Definitionen und Analysemerkmale von Rechtsterrorismus
Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert Rechtsterrorismus wie folgt:
„Der Terrorismus-Begriff der Verfassungsschutzbehörden unterscheidet sich von der strafrechtlichen Definition: Während der Terrorismus-Begriff im strafrechtlichen Sinne – zumindest in Bezug auf ‚terroristische Vereinigungen‘ gemäß § 129a Strafgesetzbuch (StGB) – eine relativ enge Konkretisierung erfährt, ist dieser im Verfassungsschutzverbund weiter gefasst. Verfassungsschutzbehörden verstehen unter Rechtsterrorismus den nachhaltig geführten Kampf von Rechtsextremisten für politische Ziele. Diese sollen mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer durchgesetzt werden, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen.
Damit enthält die Definition zwar einen unmittelbaren Bezug zum Tatbestand des § 129a StGB, sie ist jedoch nicht ausschließlich auf diesen beschränkt. Entscheidend ist aus Verfassungsschutzperspektive das gleichzeitige Vorliegen von drei wesentlichen Faktoren, die auf einen Akteur zutreffen müssen:
–eine politische Motivation in Verbindung mit konkreten politischen Zielen,
–ein nachhaltiges, also nicht nur spontanes, impulsives oder einmaliges Agieren,
–Verüben von besonders schweren Straftaten, insbesondere massiven Gewaltstraftaten.
Diese Verfassungsschutzdefinition verlangt hierbei nicht notwendigerweise die Existenz einer Gruppierung, wie sie das Strafrecht dagegen zwingend vorsieht. Es werden somit auch Einzelpersonen erfasst, die die oben genannten Faktoren erfüllen und dabei nicht auf konkrete Weisung Dritter handeln (rechtsterroristische Einzeltäter).
Die Übergänge von gewaltorientiertem Rechtsextremismus in den Rechtsterrorismus können fließend sein. Die Beobachtung des gewaltorientierten Rechtsextremismus ist daher für die Verfassungsschutzbehörden von besonderer Bedeutung. Zeigen sich Ansätze für eine rechtsterroristische Ausprägung, etwa konkrete Anzeichen für die Planung einer schweren Gewalttat oder eines terroristischen Anschlags, erfolgt eine engmaschige, intensive Bearbeitung als Gefährdungssachverhalt. In der Vergangenheit konnten hierdurch Anschlagsplanungen vereitelt und operative Erfolge im Zusammenspiel der Sicherheitsbehörden erzielt werden.“12
Analysemerkmale von Rechtsterrorismus
•Rechtsterrorismus wird von einer spezifischen Kommunikationsstrategie begleitet, die über das spezifisch-taktische Ziel (Opfer) hinaus eine terroristische Botschaft an Gruppen, Religionen, Ethnien sendet („Ihr könnt die nächsten Ziele/Opfer sein“). Ein Beispiel hierfür ist die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Diese adressierten potenziellen Opfer zukünftiger Anschläge sollen eingeschüchtert werden. Die Botschaft von Rechtsterroristen richtet sich an die Opfergruppe, den Staat und das rechtsterroristische Sympathisantenumfeld.13
•Rechtsterrorismus ist der nachhaltig-strategische Kampf für rechtsextremistische Ziele. Diese Ziele sollen mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer durchgesetzt werden.
•Rechtsterroristen zielen auf öffentliches Aufsehen, auf mediale Thematisierung, ab.
•Rechtsterroristische Anschläge können von Organisationen, Gruppen, Zellen und Einzeltätern verübt werden.
•Die ideologischen Hintergründe von Rechtsterrorismus können Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, deterministische Geschichtsbilder und identitäre Gesellschaftsbilder sein.14
•Die Übergänge von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus können fließend sein.
•Ziele/Opfer von Rechtsterroristen können u.a. Ausländer, Asylbewerber, Menschen mit Migrationshintergrund, Muslime, Juden, Politiker, Polizisten, Beamte und Repräsentanten des Staates sein, aber auch Mitglieder von Parteien, die von Rechtsterroristen als Gegner/Feinde empfunden werden.
Kurzzusammenfassung Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus
Rechtsextremismus
•Es handelt sich um eine Form von Extremismus im Sinne politisch motivierter Kriminalität.
•Hintergrund können neofaschistische, neonazistische und ultra-nationalistische Ideologien sein, verbunden mit völkischem Denken, Biologismus, Rassismus, Autoritarismus, Homogenitätsdenken, Elitismus, Sexismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus, Geschichtsrevisionismus, Militarismus und Antirationalismus sowie Nationalismus.
•Er ist geprägt von antisemitischen, fremdenfeindlichen und sozialdarwinistischen Einstellungen.
•Er zielt auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO) ab und hat ein autoritäres Staatsverständnis nach dem Führerprinzip sowie Sympathien für Diktaturen.
•Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen werden zugunsten kollektivistischer, „volksgemeinschaftlicher“ Konstrukte verdrängt (Antipluralismus).
•Rechtsextremisten organisieren sich in Parteien, als Neonazis, in „Kameradschaften“, sind subkulturell geprägt und in der Neuen Rechten.
Rechtsterrorismus
•Die Übergänge von (gewaltorientiertem) Rechtsextremismus in den Rechtsterrorismus können fließend sein.
•Es handelt sich um den nachhaltig geführten Kampf für rechtsextremistische politische Ziele mit Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum Andersdenkender, um politische, ethnische oder religiöse ‚Gegner‘ einzuschüchtern, begleitet von einer spezifischen Kommunikationsstrategie („Ihr könntet/Sie könnten die nächsten Ziele/Opfer sein“).
•Im Fokus stehen öffentliches Aufsehen und mediale Thematisierung.
•Rechtsterroristische Anschläge, Attentate und Gewalt können von Organisationen, Gruppen, Zellen und Einzeltätern verübt werden/ausgehen.
4Vgl. u.a. Dienstbühl, 2019, S. 91–94; Goertz, 2020a, S. 31–37; Goertz, 2020b, S. 12–15; Pfahl-Traughber, 2019a, S. 4, 23; Pfahl-Traughber, 2018, S. 303–308; Salzborn, 2016, S. 13–19; Virchow, 2016, S. 5–43.
5Dienstbühl, 2019, S. 91.
6Jaschke, 1994, S. 31.
7Kreis, 2007, S. 13.
8Salzborn, 2015, S. 21.
9Bundesamt