Das Tal der Angst. Sir Arthur Conan Doyle
Читать онлайн книгу.ist fort nach Europa, aber ich wisse nicht genau, wohin. Die hatten nichts Gutes im Sinn, das war sonnenklar.«
»Waren es Amerikaner? Aus Kalifornien?«
»Also, ob aus Kalifornien, das kann ich nicht sagen. Aber ganz sicher waren sie Amerikaner. Jedenfalls waren es keine Goldgräber. Ich weiß nicht, was die waren, aber ich war froh, sie wieder von hinten zu sehen.«
»Das war vor sechs Jahren?«
»Eher schon sieben.«
»Wenn Sie vorher fünf Jahre in Kalifornien zusammengearbeitet haben, dann muss diese Geschichte nicht weniger als elf Jahre zurückliegen.«
»Richtig.«
»Das muss eine sehr ernste Sache gewesen sein, wenn die Fehde so lange und so unerbittlich aufrechterhalten wurde. Um eine Kleinigkeit kann es sich nicht gehandelt haben.«
»Ich glaube, sie hat sein ganzes Leben überschattet. Sie ist ihm niemals aus dem Kopf gegangen.«
»Aber wenn ein Mensch weiß, dass er in Gefahr ist, und wenn er diese Gefahr kennt, würde er sich dann nicht an die Polizei wenden und um Schutz bitten?«
»Vielleicht war es eine Gefahr, vor der die Polizei ihn nicht schützen konnte. Eins sollten Sie nämlich wissen: Er war stets bewaffnet. Der Revolver steckte immer in seiner Tasche. Das Unglück wollte es, dass er im Hausmantel herunterkam und seine Waffe im Schlafzimmer gelassen hatte. Vielleicht glaubte er sich sicher, sobald die Zugbrücke oben war.«
»Ich hätte die Daten gern noch ein bisschen präziser«, sagte MacDonald. »Es ist jetzt sechs Jahre her, dass Douglas Kalifornien verlassen hat. Sie sind ihm im Jahr darauf gefolgt, ist das richtig?«
»Ja.«
»Und er ist seit fünf Jahren verheiratet. Sie müssten also genau um die Zeit nach England gekommen sein, als er sich wieder verheiratet hat.«
»Etwa einen Monat davor. Ich war sein Trauzeuge.«
»Kannten Sie Mrs Douglas schon vor ihrer Heirat?«
»Nein. Ich war ja gut zehn Jahre von England fort.«
»Aber seither haben Sie sie ziemlich oft gesehen?«
Barker bedachte den Detektiv mit einem abweisenden Blick.
»Ich habe ihn seither ziemlich oft gesehen«, antwortete er. »Natürlich habe ich sie auch gesehen – man kann ja schlecht einen Mann besuchen, ohne auch seine Frau zu sehen. Aber falls Sie sich einbilden, es gäbe da einen Zusammenhang –«
»Ich bilde mir gar nichts ein, Mr Barker. Es ist meine Pflicht, nach allem zu fragen, was für den Fall von Belang sein könnte. Damit ist keinerlei Anschuldigung verbunden.«
»Manche Fragen sind einfach ungehörig«, knurrte Barker.
»Uns geht es nur um die Fakten. Es ist in Ihrem Interesse und im Interesse aller Beteiligten, dass sie geklärt werden. Hat Mr Douglas Ihre Freundschaft mit seiner Frau uneingeschränkt gebilligt?«
Barker wurde blass, und seine großen kräftigen Hände ballten sich zu Fäusten.
»Sie haben kein Recht, solche Fragen zu stellen!« rief er. »Was hat das mit der Sache zu tun, in der Sie ermitteln?«
»Ich muss die Frage wiederholen.«
»Dann verweigere ich die Antwort.«
»Sie können die Antwort verweigern, aber Sie müssen sich klar darüber sein, dass die Weigerung selbst eine Antwort auf meine Frage ist, denn Sie würden es nicht tun, wenn Sie nichts zu verbergen hätten.«
Barker stand einen Augenblick lang bewegungslos da, das Gesicht grimmig gefurcht, die kräftigen schwarzen Brauen tief zusammengezogen. Er dachte angestrengt nach. Dann blickte er mit einem raschen Lächeln auf.
»Schön, Gentlemen, ich denke mal, Sie tun nur Ihre Pflicht, und ich habe nicht das Recht, Ihnen dabei im Weg zu stehen. Ich möchte Sie nur bitten, Mrs Douglas nicht mit dieser Frage zu behelligen, sie hat schon genug zu leiden. Ich kann Ihnen sagen, dass der arme Douglas einen einzigen Fehler hatte, das war seine Eifersucht. Er mochte mich – so sehr, wie man einen Freund nur mögen kann. Und seine Frau hat er angebetet. Er hat sich immer gefreut, wenn ich kam, und er hat mich oft eingeladen. Aber trotzdem – wenn ich mich mit seiner Frau unterhielt und wir uns offensichtlich gut verstanden, dann wurde er von seiner Eifersucht übermannt, spuckte Gift und Galle und sagte die wildesten Sachen. Mehr als einmal habe ich mir geschworen, nicht mehr herzukommen, aber dann schrieb er mir wieder so zerknirscht und bat mich so inständig zu kommen, dass ich es doch tat. Aber Sie können mir glauben, Gentlemen, und das sage ich so ernst, als ob es mein letztes Wort wäre: Nie hatte ein Mann eine so treue, liebende Frau – und ich darf auch sagen: Nie hatte jemand einen loyaleren Freund als mich.«
Er hatte mit Leidenschaft und Bewegung gesprochen, trotzdem beharrte Inspektor MacDonald auf seiner Fragestellung.
»Sie wissen, dass man dem Toten den Ehering vom Finger gezogen hat?« fragte er.
»Ja, scheint so«, antwortete Barker.
»Was meinen Sie mit ›scheint so‹? Sie wissen doch, dass es eine Tatsache ist.«
Der Mann wirkte plötzlich unsicher und zögerlich.
»Mit ›scheint so‹ meinte ich nur, dass es ja durchaus möglich ist, dass er ihn selbst abgezogen hat.«
»Die bloße Tatsache, dass der Ring fehlt, wer auch immer ihn abgezogen hat, dürfte doch jedermann auf den Gedanken bringen, dass zwischen seiner Ehe und der Tragödie ein Zusammenhang besteht, meinen Sie nicht?«
Barker zuckte seine breiten Schultern.
»Ich kann nicht behaupten, dass ich weiß, auf welchen Gedanken einen das bringen soll«, erwiderte er. »Aber wenn Sie damit andeuten wollen, es würde ein ungutes Licht auf die Ehre der Lady werfen« – seine Augen sprühten, aber er riss sich gewaltsam zusammen und bekam seine Gefühlswallung in den Griff –, »also, da sind Sie auf dem Holzweg und damit basta.«
»Vorerst habe ich keine weiteren Fragen an Sie«, sagte MacDonald kühl.
»Eine Kleinigkeit noch«, warf Sherlock Holmes ein. »Als Sie das Zimmer betraten, brannte dort lediglich die Kerze auf dem Tisch, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt.«
»In diesem Licht haben Sie gesehen, dass etwas Schreckliches vorgefallen war?«
»Ja.«
»Sie haben sofort nach Hilfe geklingelt?«
»Ja.«
»Und die war rasch zur Stelle?«
»Innerhalb einer Minute.«
»Aber als die Dienstboten eintrafen, war die Kerze erloschen und die Tischlampe brannte. Das scheint mir sehr bemerkenswert.«
Wieder zeigte Barker eine leichte Unsicherheit.
»Ich wüsste nicht, was daran bemerkenswert sein soll, Mr Holmes«, antwortete er nach kurzem Überlegen. »Die Kerze gab sehr wenig Licht. Mein erster Gedanke war, besseres Licht zu schaffen. Auf dem Tisch stand eine Lampe, die habe ich angezündet.«
»Und die Kerze ausgeblasen?«
»Ja.«
Holmes stellte keine weiteren Fragen, worauf Barker einen Blick in die Runde warf, in dem mir etwas wie Trotz zu liegen schien, sich umdrehte und das Zimmer verließ.
Inspektor MacDonald hatte Mrs Douglas ein paar Zeilen des Inhalts geschickt, dass er sich erlauben würde, sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, aber sie hatte geantwortet, lieber in das Speisezimmer herunterkommen zu wollen. Nun trat sie ein, eine hochgewachsene, schöne Frau von etwa dreißig Jahren, reserviert und erstaunlich selbstbeherrscht – alles andere als die tragische, gebrochene Erscheinung, die ich erwartet hatte. Ihr Gesicht war zwar blass und abgespannt wie das eines Menschen, der einen Schock erlitten hat, aber sie gab sich gefasst und diszipliniert, und ihre feingliedrige