Das Tal der Angst. Sir Arthur Conan Doyle

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Das Tal der Angst - Sir Arthur Conan Doyle


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wird er von dem Eindringling brutal erschossen – entweder kaltblütig oder nach einem kurzen Kampf. Douglas hat vielleicht noch den Hammer ergriffen, der hier auf dem Teppich lag. Der Mörder lässt seine Waffe fallen, und offenbar auch diese seltsame Karte mit der Aufschrift V. V. 341 – was immer das bedeutet. Er flieht durch das Fenster und watet durch den Burggraben, als Cecil Barker hereinkommt und das Verbrechen entdeckt. Wie hört sich das an, Mr Holmes?«

      »Sehr interessant, allerdings nicht ganz überzeugend.«

      »Mein lieber Mann, es würde sich geradezu unsinnig anhören, wenn nicht alle anderen Erklärungen noch unsinniger wären!« rief MacDonald. »Jemand hat diesen Mann umgebracht, aber ganz gleich, wer es war, ich kann Ihnen klar beweisen, dass es anders abgelaufen sein muss. Warum in aller Welt sollte er sich aus freien Stücken selbst den Fluchtweg abschneiden? Warum in aller Welt sollte er eine Schusswaffe verwenden, wo seine einzige Chance zu entkommen darin lag, dass alles heimlich, still und leise vor sich ging? Mr Holmes, Sie haben gesagt, Mr White Masons Theorie sei nicht völlig überzeugend – jetzt sind Sie dran, uns auf die richtige Spur zu setzen.«

      Holmes war der Diskussion mit größter Aufmerksamkeit gefolgt. Kein Wort war ihm entgangen, während seine scharfen Augen nach allen Seiten spähten und seine Stirn sich nachdenklich furchte.

      »Ich hätte gern noch ein paar mehr Fakten, Mr Mac, bevor ich so weit gehe, eine Hypothese zu äußern«, sagte er und kniete neben der Leiche nieder. »Du liebe Güte! Diese Verletzungen sind wirklich fürchterlich. Würden Sie bitte den Butler hereinholen? … Ames, ich habe gehört, dass Sie dieses ungewöhnliche Mal schon öfter auf Mr Douglas’ Unterarm gesehen haben, ein eingebranntes Dreieck in einem Kreis?«

      »Ja, Sir, häufig.«

      »Ist Ihnen nie zu Ohren gekommen, was es bedeutet?«

      »Nein, Sir.«

      »Es muss sehr schmerzhaft gewesen sein, so ein Brandzeichen aufgedrückt zu bekommen. Und noch etwas, Ames. Dort ist ein kleines Pflaster am Kieferwinkel von Mr Douglas. Haben Sie das gesehen, als er noch am Leben war?«

      »Ja, Sir, er hat sich gestern Morgen beim Rasieren geschnitten.«

      »Kam das häufiger vor?«

      »Nein, Sir, schon lange nicht mehr.«

      »Das ist aufschlussreich«, sagte Holmes. »Es kann natürlich ein bloßer Zufall sein, aber es kann auch ein Zeichen für eine gewisse Nervosität sein, und das würde darauf hindeuten, dass er Ursache hatte, sich in Gefahr zu glauben. Haben Sie gestern etwas Auffälliges in seinem Benehmen bemerkt, Ames?«

      »Ich fand, dass er etwas unruhig und nervös wirkte, Sir.«

      »Ha! Dann kam der Überfall vielleicht nicht ganz uner-wartet. Wir machen Fortschritte, nicht wahr? Aber vielleicht möchten Sie die Befragung jetzt übernehmen, Mr Mac?«

      »Nein, Mr Holmes, sie ist in besten Händen.«

      »Gut, dann wollen wir uns dieser Karte mit der Aufschrift V. V. 341 zuwenden. Sie ist aus grobem Karton. Gibt es davon noch mehr in diesem Haushalt?«

      »Nicht dass ich wüsste.«

      Holmes trat an den Schreibtisch, öffnete die beiden dort stehenden Tintenfässer und tupfte kleine Proben Tinte auf ein Stück Löschpapier. »Die Schrift auf der Karte stammt nicht von hier«, sagte er. »Hier haben wir schwarze Tinte, und die auf der Karte ist purpurfarben. Geschrieben wurde das mit einer breiten Feder, und die Federn hier sind fein. Nein, ich würde sagen, das wurde woanders geschrieben. Sagen Ihnen diese Buchstaben und Zahlen irgendetwas, Ames?«

      »Nicht das Geringste, Sir.«

      »Was meinen Sie, Mr Mac?«

      »Ich denke mir, es könnte ein Code irgendeiner Geheimgesellschaft sein. Genauso wie das Zeichen auf dem Unterarm.«

      »Das ist auch meine Ansicht«, sagte White Mason.

      »Nun, dann wollen wir das als Arbeitshypothese gelten lassen und sehen, ob wir damit einen Teil unserer Schwierigkeiten überwinden können. Ein Agent einer Geheimgesellschaft dringt in das Haus ein, lauert Mr Douglas auf, zerschmettert ihm den Kopf mit einem Schuss aus dieser Waffe und entkommt, indem er durch den Graben watet. Neben dem Leichnam hinterlässt er eine Karte, die garantiert in den Zeitungsberichten erwähnt werden wird, wodurch er den anderen Mitgliedern der Geheimgesellschaft indirekt mitteilt, dass der Racheakt vollzogen ist. Das ergibt einen logischen Zusammenhang. Aber warum hat er ausgerechnet diese Art von Waffe gewählt?«

      »Ja, wieso?«

      »Und was ist mit dem Ehering?«

      »Genau.«

      »Und warum noch keine Verhaftung? Es ist jetzt zwei Uhr vorbei. Ich darf doch annehmen, dass jeder einzelne Polizist im Umkreis von vierzig Meilen nach einem Ortsfremden mit durchnässten Beinkleidern Ausschau hält?«

      »Natürlich, Mr Holmes.«

      »Nun denn, wenn er nicht hier in der Nähe einen Unterschlupf hat oder Kleidung zum Wechseln mitgebracht hat, kann er Ihnen kaum entgehen. Aber er ist Ihnen bisher entgangen.« Holmes war ans Fenster getreten und betrachtete die Blutspur auf der Fensterbank durch sein Vergrößerungsglas. »Das ist eindeutig der Abdruck einer Schuhsohle. Ungewöhnlich breit, ein Spreizfuß, würde ich sagen. Das ist eigenartig, denn soweit sich in dieser schlammverschmutzten Ecke Schuhabdrücke erkennen lassen, rühren sie von einer schmaleren Sohle her. Allerdings sind sie sehr undeutlich. Und was ist das dort, unter dem Seitentisch?«

      »Das sind Mr Douglas’ Hanteln«, antwortete Ames.

      »Hantel – da liegt nur eine. Wo ist die andere?«

      »Das weiß ich nicht, Mr Holmes. Vielleicht war immer nur eine da. Ich habe schon seit Monaten nicht mehr darauf geachtet.«

      »Eine einzelne Hantel«, sagte Holmes nachdenklich. Er wurde durch ein kräftiges Pochen an der Tür unterbrochen. Ein großer, sonnengebräunter, glattrasierter Mann mit energischem Gesicht trat ein. Es war unschwer zu erraten, dass es jener Cecil Barker sein musste, von dem wir bereits gehört hatten. Aus seinen gebieterischen Augen flogen fragende Blicke zwischen uns hin und her.

      »Bitte die Störung zu entschuldigen«, sagte er, »aber ich habe Neuigkeiten für Sie.«

      »Eine Festnahme?«

      »Leider nein. Aber sein Fahrrad ist gefunden worden. Der Kerl hat sein Fahrrad hier versteckt. Kommen Sie und sehen Sie selbst. Es ist keine hundert Meter vom Toreingang entfernt.«

      Auf dem Zufahrtsweg fanden wir eine kleine Gruppe von Bediensteten und Müßiggängern um ein Fahrrad versammelt, das man aus einem Lorbeergebüsch gezogen hatte. Es war ein reichlich abgenutztes Modell der Firma Rudge-Whitworth, von unten bis oben von Straßenschmutz bespritzt, wie nach einer langen Fahrt. In der Satteltasche fanden sich ein Schraubenschlüssel und ein Ölkännchen, aber jeder Hinweis auf den Eigentümer fehlte.

      »Es wäre sehr hilfreich für die Polizei, wenn diese Dinger nummeriert und registriert würden«, sagte der Inspektor. »Aber wir müssen froh sein um das, was wir haben. Wenn wir schon nicht wissen, wohin er abgehauen ist, können wir doch rauskriegen, woher er gekommen ist. Nur – was in Gottes Namen hat den Mann dazu gebracht, das Fahrrad hierzulassen? Und wie in aller Welt ist er ohne es geflohen? In diesen Fall lässt sich einfach kein Fünkchen Licht bringen, Mr Holmes.«

      »Wirklich nicht?« antwortete mein Freund gedankenvoll. »Da wäre ich nicht so sicher.«

      5. KAPITEL

      Die Personen des Dramas

      Sind Sie mit dem Arbeitszimmer durch?« fragte White Mason, als wir ins Haus zurückkehrten.

      »Vorläufig«, antwortete der Inspektor, und Holmes nickte zustimmend.

      »Dann möchten Sie jetzt wahrscheinlich hören, was die Hausbewohner zu sagen haben? Wir wollen dafür das Esszimmer benutzen, Ames. Kommen Sie selbst als Erster und erzählen Sie


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