Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation. Christine Becker
Читать онлайн книгу.information“) und Phase II („The discovery and exploration of dissonance or inconsistency among ideas, concepts and statements“) zählen dabei nicht zur gemeinsamen Wissenskonstruktion, diese wird erst in den Phasen III bis V erreicht (III: „Negotiation of meaning“, IV: „Testing and modification of proposed synthesis or co-construction“, V: „Agreement statements/Applications of newly constructed meaning“). Lucas, Gunawardena und Moreira (2014) stellen die Funktionalität des IAM in Frage, da Studien, die auf diesem Modell beruhen, keine oder nur wenig gemeinsame Wissenskonstruktion nachweisen konnten, wobei es meines Erachtens fraglich ist, ob Wissenskonstruktion erst dann stattfindet, wenn zu einem Konsens gefunden wird, denn dieser ist nicht unter allen Umständen erwünscht (vgl. Kapitel 2.1.3).
Problematisch an diesen Modellen ist, dass die gemeinsame Wissenskonstruktion auf textueller Ebene festgemacht wird, da so vorausgesetzt wird, dass die Lernenden alle Überlegungen tatsächlich im Diskussionsforum posten. Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass durch die Beiträge der anderen in einer Art innerem Dialog das eigene Wissen modifiziert wird. Henri stellt dementsprechend auch fest, dass schon das sogenannte lurking, d.h. das reine Lesen der Beiträge, ein Lernpotenzial besitzt: „And yet in interviews following the experiment, the learners stated that a main source of learning had been the reading of the different solutions offered during teleconferences“ (Henri 1995, 158).
Potenzial für das Fremdsprachenlernen
Das relativ unveränderliche Ziel von Fremdsprachenunterricht ist der Erwerb von sprachlichen Fertigkeiten.1 Vor allem die Fertigkeiten Schreiben und Lesen und die Bereiche Flexionsmorphologie, Syntax und Lexik können durch textbasierte asynchrone computervermittelte Kommunikation gefördert werden (vgl. die Übersichten in Nguyen 2008, 12f), wozu die allgemeindidaktischen Potenziale etwas modifiziert werden müssen. Die zeitliche Flexibilität von asynchronen Online-Diskussionen ermöglicht im Fremdsprachenunterricht zwar auch eine tiefergehende inhaltliche Reflexion, dort ist sie aber besonders relevant, weil auch mehr Zeit für die sprachliche Ausarbeitung zur Verfügung. Sotillo (2000) kann nachweisen, dass Lernende in asynchronen Diskussionen syntaktisch komplexere Sprache verwendeten als in synchronen und Face-to-Face-Diskussionen und fasst das Potenzial von asynchroner Online-Kommunikation für den universitären Fremdsprachenunterricht wie folgt zusammen:
Asynchronous discussions in particular allow language learners more time to plan their writing, edit their spelling, grammar, and punctuation when paying attention to form, and make longer contributions than students composing synchronously. Asking students to respond to challenging academic readings encourages them to think critically and post carefully prepared responses to teacher and student queries. Learners are thus able to focus on both form and meaning to a greater extent than when they are engaged in rapid fire exchanges and socializing via synchronous discussions. (Sotillo 2000, 106)
Im Hinblick auf die Rezeption spielt in diesem Kontext der Faktor Zeit und die Tatsache, dass die Beiträge gespeichert werden, eine wichtige Rolle, denn die asynchrone Kommunikation ermöglicht den Lernenden, Beiträge mehrmals zu lesen und damit besser zu verstehen. Sowohl auf einer sprachlichen als auch einer inhaltlichen Ebene können sich die Lernenden auch im Nachhinein mit den Beiträgen auseinandersetzen. Findet die Diskussion zwischen Lernenden und L1-Sprechern statt, können Lernende Strukturen und Vokabular in der Zielsprache identifizieren und sie später in anderen Situationen und Kontexten anwenden (vgl. Appel/Mullen 2000).
Das Hauptinteresse der Fremdsprachendidaktik liegt derzeit jedoch nicht nur auf dem potenziellen Nutzen von CMC für das Erlernen sprachlicher Fertigkeiten, sondern vor allem auch auf metasprachlichen Bereichen wie Bedeutungsaushandlung, gemeinsamer Wissenskonstruktion und interkultureller Kompetenz, d.h. auf Zielsetzungen von Fremdsprachenunterricht, die von bildungspolitischen Entwicklungen abhängig sind. Rahmendokumente wie die Bildungsstandards der KMK oder der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen spiegeln diese wider, wobei beispielsweise in Letzterem interkulturelle kommunikative Kompetenz (vgl. Byram 1997) als Schlüsselqualifikation gilt:
Gefasst werden darunter z.B. auf der Wissensebene die Kenntnisse spezifischer Kommunikations- und Interaktionsregeln sowie Sicht- und Wahrnehmungsweisen des eigenen und des fremdkulturellen Landes, auf der Einstellungsebene die Entwicklung von Neugier und Offenheit gegenüber Fremdem und kultureller Vielfalt, auf der Handlungsebene kulturangemessenes Verhalten ebenso wie die Kompetenz, z.B. Missverständnisse durch Aushandlungsprozesse zu überwinden. (Hu 2010, 77)
Hier rückt der Gegenstandsbereich der Landeskunde ins Sichtfeld:
In particular, the opportunities offered by engaging learners in online collaborative project work with members of other cultures has been identified as being an authentic and effective way of preparing learners for the complex yet enriching experience of foreign language and culture learning. (O’Dowd 2007, 3)
Die sogenannte Telekollaboration2, gilt somit heute als „one of the main pillars of online language learning“ (O’Dowd/Ritter 2006, 624) und ist u.a. auf die steigende Bedeutung von interaktionistisch-soziokulturellen Lerntheorien für das Fremdsprachenlernen zurückzuführen.3 Telekollaboration bezeichnet den oft asynchronen Austausch zwischen Lernenden, per E-Mail oder in virtuellen Räumen, wobei die Lernergruppe aus Fremdsprachenlernern und L1-Sprechern oder Fremdsprachenlernen aus verschiedenen Ländern bestehen kann. Landeskundliches Lernen wird hier zumeist als interkulturelles Lernen4 verstanden.5 Grundgedanke der interkulturellen Begegnung ist, dass durch den Austausch eine authentische Kommunikation stattfindet, die dazu führt, dass die Lerner die Perspektive des jeweils anderen kennenlernen und übernehmen können, gleichzeitig eine kritische Perspektive gegenüber ihrer eigenen Kultur einnehmen, Toleranz entwickeln und Stereotype abbauen (vgl. Möllering/Levy 2012, 234).6
Tamme (2001) hat in ähnlicher Weise (doch weniger ideologisch geprägt)7 in ihrer Arbeit zu E-Mail-Tandems den Begriff der personalisierten Landeskunde entwickelt, die stattfindet, wenn sich Fremdsprachenlernende und Vertreter/-innen der Zielsprachenkulturen über landeskundliche Phänomene austauschen und dabei persönliche Perspektiven nicht aussparen. Dies kann als besonders vielversprechend für interkulturelles Lernen eingeschätzt werden, denn
[j]e mehr es gelingt, das Potential der digitalen Medien in Richtung einer derart personalisierten Landeskunde zu entwickeln, um so mehr wird die alte Unterscheidung zwischen Realienkunde, kommunikativer Landeskunde und interkultureller Landeskunde an Trennschärfe verlieren, denn in dieser Art von personalisierter Landeskunde mit ihren subjektiv geprägten Erzählungen werden Fakten, Alltag und Einschätzungen miteinander verbunden und als selbstverständlicher Teil eines Dialogs über Grenzen verstanden. (Rösler 2004, 76)
Die Übersicht über den Einsatz asynchroner computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht zeigt auf, dass ein Potenzial für sprachliches und landeskundliches Lernen gesehen wird, das sich vor allem in der Forschung zu Telekollaboration widerspiegelt.8 Die Arbeit von Biebighäuser (2014) ist die bisher einzige Studie, die digitale Medien und kulturwissenschaftliche Ansätze in der Landeskundedidaktik (und interkulturelles Lernen) verbindet. Es wird darin u.a. untersucht, wie sich Gruppen von Studierenden aus verschiedenen Ländern an in der virtuellen Welt Second Life nachgebildeten Erinnerungsorten in (synchronen) Text- und Voice-Chat unterhalten. Die Analyse des landeskundlichen Lernens zeigt dabei u.a., dass es trotz eines deutlichen Potenzials viele ungenutzte Chancen birgt, und dass der Kommunikationskanal Voice-Chat zu inhaltlich umfassenderen Beiträgen führte als der Text-Chat (vgl. Biebighäuser 2014, 390–92, 417, 423), was wichtig ist für das landeskundliche Lernen. Auch die Arbeit von Biebighäuser und Marques-Schäfer (2011) zeigt, dass Diskussionen in didaktisierten Chat-Räumen relativ oberflächlich bleiben. Sie stellen fest:
Beispielsweise erschweren Chats durch die schnellen Sprecherwechsel die tiefergehende Thematisierung von komplexen kulturspezifischen Themen. Zudem können Lernende, die keine Erfahrungen mit dem Medium haben, schnell überfordert werden. […] Aufgrund dieser Zweischneidigkeit beim Einsatz digitaler Medien zum interkulturellen Lernen muss der Medieneinsatz gut reflektiert werden. (Biebighäuser/Marques-Schäfer 2011, 120)
2.1.3 Aufgaben für CMC-Szenarien
Aufgaben sind zentrale Ausgangspunkte des Lehrens