PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Читать онлайн книгу.Und diese Art des Unverstandes, denke ich, wird allein Torheit genannt.
Theaitetos: Freilich.
Fremder: Wie nun sollen wir den hievon uns befreienden Teil der Belehrung benennen?
Theaitetos: Ich denke wenigstens, o Fremdling, daß das übrige nur lehren im Sinne der Handwerker ist, dieses aber, hier wenigstens unter uns, eigentlich Unterweisung genannt wird.
Fremder: Auch wohl bei allen Hellenen, o Theaitetos. Aber uns ist noch nachzusehn, ob nun schon alles unteilbar ist, oder ob es noch eine Einteilung gibt, welche genannt zu werden verdient.
Theaitetos: So laß uns denn zusehn.
Fremder: Mir scheint auch dies noch wie gespalten zu sein.
Theaitetos: Wie denn?
Fremder: Es scheint in der Belehrung durch Reden Ein Weg rauher zu sein, der andere glatter.
Theaitetos: Welches soll jeder von beiden sein?
Fremder: Der eine ist die altväterliche Weise, wie sie mit ihren Söhnen sonst umgingen, Viele auch noch mit ihnen umgehn, wenn sie in etwas fehlen, bald sie heftig anlassend, bald wieder ihnen sanftmütiger zusprechend; das Ganze nennt man am füglichsten das Ermahnen.
(230) Theaitetos: Ich verstehe.
Fremder: Der andere aber, da Viele die es sich recht überlegt haben zu glauben scheinen, daß alle Torheit unwillkürlich wäre, und daß keiner darin, worin er schon stark zu sein glaubte, noch etwas würde lernen wollen, und nach vieler Arbeit die ermahnende Art der Unterweisung doch nicht viel ausrichten würde.
Theaitetos: Woran sie auch wohl ganz recht glaubten.
Fremder: So schicken sie sich denn zur Vertilgung dieser Meinung auf eine andere Weise an.
Theaitetos: Auf welche doch?
Fremder: Sie fragen sie aus in dem worüber Einer etwas rechtes zu sagen glaubt, der doch nichts sagt. Dabei forschen sie der unsicher Schwankenden Meinungen leichtlich aus, welche sie dann in der Rede zusammenbringen und neben einander stellen, durch diese Zusammenstellung selbst zeigend, daß sie eine der andern zugleich über dieselben Gegenstände in denselben Beziehungen nach demselben Sinne widersprechen. Jene nun, wenn sie dies wahrnehmen, werden unwillig gegen sich und milder gegen die Andern, und auf diese Weise ihrer hohen und hartnäckigen Vorstellungen von sich selbst entledigt, welches die erfreulichste aller Erledigungen ist für den der er mit anhört, und dem welchem sie begegnet die zuverlässigste. Denn, lieber Sohn, die Reinigenden glaubend, so wie die Ärzte des Leibes der Meinung sind, der Leib könne die ihm beigebrachte Nahrung nicht eher nutzen bis jemand die Hindernisse in ihm selbst weggeschafft habe, denken eben so dasselbe von der Seele, daß sie nicht eher von den ihr beigebrachten Kenntnissen Vorteil haben könne bis durch prüfende Zurechtweisung Einer den zurechtzuweisenden zur Scham bringt, die den Kenntnissen im Wege stehenden Meinungen ihm benimmt, und ihn rein darstellt, nur was er wirklich weiß zu wissen glaubend, mehr aber nicht.
Theaitetos: Die vorzüglichste wenigstens und weiseste Gemütsbeschaffenheit ist diese.
Fremder: Deshalb nun, Theaitetos, müssen wir auch sagen, daß die prüfende Zurechtweisung die herrlichste und vortrefflichste aller Reinigungen ist, und müssen den ungeprüften, wenn er auch der große König wäre, für höchst unrein halten, und daß er ungebildet und häßlich gerade da ist, wo wer wahrhaft glückselig sein will am reinsten und schönsten sein muß.
Theaitetos: Auf alle Weise.
Fremder: Wie nun? die diese Kunst ausüben, wie sollen wir die nennen? denn ich fürchte mich noch sie Sophisten zu nennen.
Theaitetos: Wie so?
(231) Fremder: Damit wir ihnen nicht zu große Ehre erweisen.
Theaitetos: Aber das eben gesagte gleicht doch einem solchen ziemlich.
Fremder: Auch dem Hunde der Wolf, das wildeste dem zahmsten. Der vorsichtige aber muß sich am meisten mit den Ähnlichkeiten in Acht nehmen; denn es ist eine gar zu gefährliche Art. Dennoch mögen sie es sein. Denn um kleiner Bestimmungen willen, denke ich, wird sich der Streit nicht entspinnen, wenn man sie nur recht in Acht nimmt.
Theaitetos: Nein, sollte man denken.
Fremder: So sei denn ein Teil der sondernden Kunst die reinigende, von der reinigenden werde der Teil für die Seele abgesondert; von diesem die Belehrung und von der Belehrung die Unterweisung, und von der Unterweisung, werde gesagt, sei die auf leere Scheinweisheit gerichtete Prüfung nach der jetzt nebenbei erschienenen Erklärung nichts anders als die edle und vornehme Sophistik.
Theaitetos: Gesagt werde dies zwar; aber ich bin nun schon ganz bedenklich, weil er uns als so vieles erschienen ist, was man denn nun, wenn man es ernsthaft meint und behauptet, sagen soll, daß der Sophist in Wahrheit sei.
Fremder: Mit Recht bist du bedenklich. Aber auch jenem, muß man glauben, sei es nun schon ganz bedenklich, wohinaus er wohl unserer Untersuchung entkommen wolle. Denn richtig ist das Sprüchwort Vielen ist nicht leicht ausweichen; jetzt also müssen wir ihm erst am meisten zusetzen.
Theaitetos: Wohl gesprochen.
Fremder: Zuerst laß uns etwas stillstehn und ausruhen, und laß uns bei uns selbst zusammenrechnen indem wir ausruhen, als wie vielerlei uns der Sophist erschienen ist. Ich glaube zuerst wurde er gefunden als reicher Jünglinge wohlbelohnter Nachsteller.
Theaitetos: Ja.
Fremder: Zweitens war er ein Großhändler für die Seele vorzüglich mit Kenntnissen.
Theaitetos: Richtig.
Fremder: Und zeigte er sich nicht drittens als ein Krämer mit eben diesen?
Theaitetos: Ja, und viertens war er uns doch ein Eigenhändler mit Kenntnissen.
Fremder: Richtig erinnert. Das fünfte will ich versuchen anzuführen. Aus der Kampfgeschicklichkeit wurde er nämlich als ein Kunstfechter im Streitgespräch abgesondert.
Theaitetos: Das war er.
Fremder: Das sechste war freilich zweifelhaft; doch haben wir es ihm eingeräumt, und sagen er sei der von Meinungen, welche in der Seele den Kenntnissen im Wege stehn, reiniget.
Theaitetos: Auf alle Weise.
Fremder: Merkst du nun nicht, daß wenn einer als vieler (232) Dinge kundig sich zeigt, und doch nur mit dem Namen Einer Kunst benannt wird, dies nicht kann eine gesunde Vorstellung sein, sondern daß offenbar der dem dies mit einer Kunst begegnet dasjenige an ihr nicht zu entdecken weiß, worauf alle jene verschiedenen Kenntnisse abzwecken, weshalb er auch mit vielen Namen statt eines den der sie besitzt benennt?
Theaitetos: Hiemit mag es wohl diese Bewandtnis eigentlich haben.
Fremder: Nicht also soll uns dies bei unserer Untersuchung aus Trägheit begegnen; sondern laß uns zuerst etwas von dem über den Sophisten gesagten wieder aufnehmen, denn eines hat mir eingeleuchtet als ganz vorzüglich ihn bezeichnend.
Theaitetos: Welches denn?
Fremder: Wir sagen doch, er sei ein Künstler im Streitgespräch.
Theaitetos: Ja.
Fremder: Nicht auch daß er eben hierin ein Lehrer werde für Andere?
Theaitetos: