PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Читать онлайн книгу.also nicht von dem Worte, sondern von der Sache, welche unter diesem Namen in Betrachtung gezogen wird.
Theodoros: Freilich nicht.
Sokrates: Was er aber so nennt, das sucht auch jeder Staat bei seiner Gesetzgebung zu treffen, und richtet alle Gesetze, so viel er nämlich kann und weiß, so nützlich für sich selbst (178) ein als möglich. Oder sieht er auf etwas anderes, indem er Gesetze gibt?
Theodoros: Gewiß nicht.
Sokrates: Erlangt er es nun auch jedesmal? oder verfehlt nicht auch Jeder gar vieles?
Theodoros: Ich glaube, daß sie auch verfehlen.
Sokrates: Noch mehr würde von hieraus besonders gewiß Jeder das nämliche zugeben, wenn man nach der ganzen Gattung fragte, worin auch das Nützliche liegt. Es bezieht sich nämlich allemal auf die künftige Zeit. Denn wenn wir Gesetze geben, so geben wir sie, weil sie nützlich sein sollen auf die nachherige Zeit, und dies nennen wir doch richtig die Zukunft.
Theodoros: Freilich.
Sokrates: Komm also und laß uns den Protagoras oder einen Andern, der dasselbe wie er behauptet, also fragen. Der Mensch ist das Maß aller Dinge, wie ihr sagt, o Protagoras, des Weißen, des Schweren, des Leichten, kurz aller Dinge ohne Ausnahme von dieser Art. Denn er hat das Kennzeichen davon in sich selbst, indem er sie für solches haltend wie ihm begegnet richtig vorstellt für sich selbst und wie sie sind. Ist es nicht so?
Theodoros: Völlig so.
Sokrates: Sollen wir nun sagen, o Protagoras, daß er auch das Kennzeichen dessen was sein wird in sich selbst hat, und daß welcherlei Jeder glaubt, daß für ihn sein werde, solcherlei auch ihm dem Glaubenden entsteht? Wie etwa mit der Wärme, wenn irgend ein Unkundiger glaubt, das Fieber werde ihn ergreifen, und diese Wärme werde ihm entstehen; ein Anderer aber, ein Arzt, glaubte das Gegenteil: sollen wir sagen, die Zukunft werde nach eines von beiden Meinungen ablaufen, oder etwa nach beider? und wird er für den Arzt nicht warm und nicht fieberhaft werden, für sich aber beides?
Theodoros: Lächerlich wäre das ja.
Sokrates: So glaube ich, ist über den künftigen süßen oder herben Geschmack des Weines die Meinung des Landmanns, nicht aber die des Tonkünstlers entscheidend.
Theodoros: Wie sonst!
Sokrates: Eben so wenig kann wohl von dem, was gut oder übel klingen wird, ein Turnmeister eine richtigere Vorstellung haben, als ein Tonkünstler, selbst von dem, was hernach auch ihm, dem Turnmeister, wohlklingend erscheinen wird.
Theodoros: Keinesweges.
Sokrates: So ist auch wenn ein Mahl bereitet wird das Urteil dessen der bewirtet wird, und der kein Speisekünstler ist, minder gültig, als des Kochs Urteil über die daraus zu erwartende Sinnenlust. Denn über das Angenehme, was Jedem bereits ist oder geworden ist, wollen wir nicht weiter aufs neue einen Streit erregen, sondern nur über das, was künftig einem Jeden scheinen und sein wird, ob auch da ein Jeder für sich selbst der beste Richter ist; oder ob du Protagoras, was Jedem von uns vor Gericht durch Reden glaublich gemacht werden kann, besser im voraus vorstellen wirst als irgend ein der Sache Unkundiger?
Theodoros: Ei wohl, o Sokrates; hierin eben verhieß er ja vorzüglich besser zu sein als irgend einer.
(179) Sokrates: Gar recht, du Lieber. Oder es hätte ja gewiß Niemand viel Geld für seine Unterhaltung bezahlt, wenn er seine Zuhörer nicht überredete, daß was in Zukunft scheinen und sein wird, weder ein Seher noch sonst ein Anderer besser beurteilen könne, als eben er.
Theodoros: Vollkommen wahr.
Sokrates: Gehn nun nicht auch die Gesetzgebungen und das Nützliche auf die Zukunft? und muß nicht doch Jeder gestehen, daß ein gesetzgebender Staat oft das Nützlichste verfehle?
Theodoros: Sicher.
Sokrates: Bescheidentlich also können wir zu deinem Lehrer sagen, daß er notwendig eingestehen muß, Einer sei weiser als der Andere, und nur ein solcher sei ein Maß; ich aber der Unwissende könne auf keine Weise gezwungen werden ein Maß zu sein, wie doch nur eben die für ihn gesprochene Rede mich zwang, ich mochte wollen oder nicht, eins zu sein.
Theodoros: An diesem Ort, o Sokrates, scheint mir der Satz am besten gefangen zu werden, wie er auch da gefangen ist, wo er die Meinungen Anderer gelten läßt, welche doch offenbar seine Sätze nicht für wahr halten wollten.
Sokrates: Noch an vielen andern Orten, o Theodoros, kann ein solcher Satz gefangen werden, daß jede Vorstellung eines Jeden wahr sein soll. Was aber den gegenwärtigen Zustand eines Jeden betrifft, woraus die Wahrnehmungen und die sich auf sie beziehenden Vorstellungen entstehen: so ist es schwerer zu zeigen, daß diese nicht wahr sein sollen. Oder vielmehr ist das nichts gesagt, und diese sind vielleicht ganz unwiderleglich, so daß diejenigen, welche behaupten, diese wären untrüglich und Erkenntnisse, vielleicht wohl das richtige sagen mögen, und also auch unser Theaitetos nicht weit vom Ziele getroffen hat, als er festsetzte, daß Wahrnehmung und Erkenntnis dasselbe wären. Wir müssen also näher darauf zugehen, wie die für den Protagoras geführte Verteidigung uns gebot, und dieses schwebende und bewegliche Dasein noch einmal betrachtend daran klopfen, ob es ganz klingt oder zerbrochen. Der Streit darüber ist ja aber schon immer nicht gering gewesen, und nicht unter wenigen.
Theodoros: Wahrlich keinesweges gering, vorzüglich in Ionien verbreitet er sich gar sehr. Denn die Freunde des Herakleitos sind sehr tapfere Anführer bei der Verteidigung dieses Satzes.
Sokrates: Um desto mehr, lieber Theodoros, müssen wir von vorn an betrachten so wie sie ihn eigentlich vorzeichnen.
Theodoros: Allerdings, Sokrates. Nur daß was diese Herakleitischen oder wie du sagst Homerischen und noch Älteren betrifft, mit denen zu Ephesos, so viel deren der Sache kundig zu sein vorgeben, sich in ein ernsthaftes Gespräch einzulassen nicht besser angeht, als wollte man es mit solchen versuchen, die von bösartigen Tieren zerstochen nicht einen Augenblick still stehen können; denn ordentlich wie es in ihren Schriften heißt fließen sie auch, festen Fuß aber zu fassen bei einem Satz und einer Frage, und gelassen jeder nach seiner Ordnung zu fragen und zu antworten, davon ist ihnen weniger verliehen (180) als nichts. Ja nicht einmal nichts ist schon zu viel gesagt, so wenig Ruhe ist in diesen Leuten. Sondern wenn du einen etwas fragst, so ziehn sie wie aus ihrem Köcher rätselhafte kleine Sprüchlein hervor und schießen diese ab; und willst du denn darüber wieder eine Erklärung wie es gemeint gewesen, so wirst du von einem andern ähnlichen getroffen von ganz neuer Wortverfertigung. Zu Ende bringen wirst du aber niemals etwas mit einem von ihnen, noch auch sie selbst unter einander. Sondern sehr genau beobachten sie dieses, daß ja nichts fest bleibe weder in der Rede noch auch in ihren eignen Seelen, indem sie wie mich dünkt besorgen, dies möchte etwas beharrliches sein, wogegen sie eben so gewaltig streiten, und es überall wo sie nur können vertreiben.
Sokrates: Vielleicht, Theodoros, hast du die Männer nur gesehen, wenn sie Krieg führen, bist aber nicht mit ihnen gewesen, wenn sie Frieden halten; denn sie sind dir eben nicht freund. Dergleichen aber glaube ich werden sie in ruhigen Stunden ihren Schülern mitteilen, welche sie sich ähnlich zu machen suchen.
Theodoros: Was doch für Schüler, du Wunderlicher! Bei diesen wird gar nicht Einer des Andern Schüler, sondern sie wachsen von selbst auf, Jeder woher es ihm eben kommt begeistert, und Einer hält immer den Andern für nichts. Von diesen also wirst du, wie ich schon sagen wollte, niemals eine Antwort erhalten, weder gutwillig noch gezwungen; sondern wir müssen sie selbst, als ob wir sie wie eine Aufgabe vorgelegt bekommen hätten, in Betrachtung ziehen.
Sokrates: Dies erinnerst du sehr richtig. Haben wir nun nicht die Aufgabe zuerst von den Alten, welche sich mit Hülfe der Dichtkunst