Die Waffen nieder. Bertha von Suttner
Читать онлайн книгу.an meine Seite und tröstete mich sanft.
»Mein Liebling, Mut – Fassung! Es ist ja nicht so schlimm ... in kurzer Zeit kehren wir als Sieger heim ... Dann werden wir zwei doppelt glücklich sein. Weine nicht so, es zerreißt mir das Herz ... fast bereue ich, daß ich mich engagiert habe, auf jeden Fall mitzugehen ... doch nein, bedenke: wenn meine Kameraden hinaus müssen, mit welchem Recht dürfte ich da zu Hause bleiben? Du selber müßtest dich meiner schämen ... Einmal muß ich ja die Feuertaufe erhalten – ehe das geschehen, fühle ich mich gar nicht recht als Mann und als Soldat. Denk' nur, wie schön – wenn ich zurückkomme – mit einem dritten Stern am Kragen – vielleicht mit einem Kreuz auf der Brust.«
Ich lehnte meinen Kopf an seine Achsel und weinte da weiter. Wie klein ich doch wieder dachte: Sterne und Kreuze erschienen mir in diesem Augenblick als so schaler Flitter ... Nicht zehn Großkreuze auf dieser teuern Brust konnten einen Ersatz bieten für die grause Möglichkeit, daß eine Kugel sie zerschmettere ...
Arno küßte mir die Stirn, schob mich sanft beiseite und stand auf: »Ich muß jetzt fortgehen, liebes Kind – zu meinem Obersten. Weine Dich aus ... wenn ich wiederkomme, hoffe ich, dich standhaft und heiter zu finden – ich brauche das, um nicht von trüben Ahnungen beschlichen zu werden. Jetzt, in so entscheidender Zeit, wird doch meine eigene kleine Frau nichts tun, mir den Mut zu benehmen, meine Tatenlust zu dämpfen? Adieu, mein Schatz.« Und er ging.
Ich raffte mich auf. Seine letzten Worte klangen mir noch im Ohre nach. Ja offenbar: meine Pflicht war nun die, seinen Mut und seine Tatenlust – nicht nur nicht zu dämpfen, sondern nach Möglichkeit zu heben. Das ist ja die einzige Art, wie wir Frauen unseren Patriotismus betätigen können, wie wir des Ruhmes teilhaftig werden dürfen, den unsere Männer auf den Schlachtfeldern sich holen ... »Schlacht–felder« – sonderbar, wie dieses Wort jetzt plötzlich in zwei grundverschiedenen Bedeutungen mir vor den Sinn trat. Halb in der altgewohnten, historischen, pathetischen, höchste Bewunderung erregenden Bedeutung, halb in dem Ekelschauer der blutigen, brutalen Silbe »Schlacht« ... Ja, geschlachtet würden sie auf dem Felde daliegen, die armen hinausgetriebenen Menschen – mit offenen, roten Wunden – und unter ihnen vielleicht ... Mit einem laut ausgestoßenen Schrei dachte ich diesen Gedanken aus.
Meine Jungfer, Betti, kam erschrocken hereingerannt. Sie hatte mich schreien gehört.
»Um Gottes willen, Frau Gräfin, was ist geschehen?« fragte sie zitternd.
Ich blickte das Mädchen an: auch sie hatte rotgeweinte Augen. Ich erriet, sie wußte schon die Nachricht, und ihr Geliebter war Soldat. Mir war's, als müßte ich die Unglücksschwester an mein Herz drücken
»Es ist nichts, mein Kind,« sagte ich weich ... »Die fortziehen, kommen ja wieder zurück –«
»Ach, gräfliche Gnaden, nicht alle,« antwortete sie, von neuem in Tränen ausbrechend.
Jetzt trat meine Tante bei mir ein und Betti entfernte sich.
»Ich bin gekommen, dir Trost zu sprechen, Martha,« sagte die alte Frau, mich umarmend, »und dir in dieser Prüfung Ergebung zu predigen.«
»Also weißt du?« –
»Die ganze Stadt weiß es ... Es herrscht großer Jubel, dieser Krieg ist sehr populär.«
»Jubel, Tante Marie?«
»Nun ja, bei solchen, die kein geliebtes Familienglied mitziehen sehen. Daß du traurig sein wirst, konnte ich mir denken, und darum bin ich hierher geeilt. Dein Papa wird auch gleich kommen; aber nicht um zu trösten, sondern zu gratulieren: er ist ganz außer sich vor Freude, daß es losgeht, und betrachtet es als eine herrliche Chance für Arno, daß er mittun kann. Im Grunde hat er ja auch recht ... für einen Soldaten gibt's auch nichts besseres als den Krieg. So mußt auch du die Sache betrachten, liebes Kind – Berufserfüllung geht doch allem voran. Was sein muß –«
»Ja, du hast recht, Tante, was sein muß – das Unabänderliche –
»Das von Gott gewollte« – schaltete Tante Marie bekräftigend ein.
»Muß man mit Fassung und Ergebung ertragen.«
»Brav, Martha. Es kommt ja doch alles so, wie es von der weisen und allgütigen Vorsehung in unabänderlichem Ratschluß vorher bestimmt ist. Die Sterbestunde eines jeden, die steht schon von der Stunde seiner Geburt an geschrieben. Und wir wollen für unsere lieben Sieger so viel und inbrünstig beten –«
Ich hielt mich nicht dabei auf, den Widerspruch, der in diesen beiden Annahmen liegt: daß der Tod zugleich bestimmt und durch Gebete abzuwenden sein könne, näher zu erörtern. Ich war mir selbst nicht klar darüber, und hatte von meiner ganzen Erziehung her das vage Bewußtsein, daß man an so heilige Dinge nicht mit Vernunftfragen herantreten dürfe. Hätte ich gar der Tante gegenüber solche Skrupel laut werden lassen, so würde sie das arg verletzt haben. Nichts konnte sie mehr beleidigen, als wenn man über gewisse Dinge rationelle Zweifel anstellte. »Nicht darüber nachdenken« ist allen Mysterien gegenüber Anstandsgebot. Wie es die Hofsitte verbietet, an einen König Fragen zu richten, so ist es auch eine Art lästerlichen Etikettenbruchs, wenn man an einem Dogma herum forschen und prüfen will. »Nicht darüber nachdenken« ist übrigens ein sehr leicht erfüllbares Gebot, und bei diesem Anlaß fügte ich mich bereitwillig darein; ich fing daher mit der Tante keinen Streit an, sondern klammerte mich im Gegenteil an den Trost, der in dem Hinweis auf das Beten lag. Ja während der ganzen Abwesenheit meines Gatten wollte ich so inbrünstig um des Himmels Schutz flehen, daß dieser alle Kugeln im Fluge von Arno abwenden werde ... Abwenden? – Wohin? Auf die Brust eines anderen, für den doch wahrscheinlich auch gebetet wird? ... Und was war mir im physikalischen Lehrkurs demonstriert worden, von den genau zu berechnenden, unfehlbaren Wirkungen der Stoffe und ihrer Bewegung? ... Wieder ein Zweifel? Fort damit.
»Ja, Tante,« sagte ich laut, um diese in meinen Geist sich kreuzenden Widersprüche abzubrechen, »ja, wir wollen fleißig beten und Gott wird uns erhören: Arno bleibt unversehrt.«
»Siehst du, siehst du, Kind, wie in schweren Stunden die Seele doch zu der Religion flüchtet ... Vielleicht schickt dir der liebe Gott die Prüfung, damit du deine sonstige Lauheit ablegst.«
Das wollte mir wieder nicht recht einleuchten, daß die ganze, noch aus dem Krimkriege herstammende Verstimmung zwischen Österreich und Sardinien, die ganzen Verhandlungen, die Aufstellung des Ultimatums und die Ablehnung desselben nur von Gott veranstaltet worden wären um meinen lauen Sinn zu erwärmen.
Aber auch diesen Zweifel auszudrücken wäre unanständig gewesen. Sobald jemand den »lieben Gott« in den Mund genommen, gibt das dem daran geknüpften Ausspruch eine gewisse salbungsvolle Immunität. Was die vorgeworfene Lauheit anbelangt, so hatte dieser Vorwurf einige Begründung. Tante Marias Religiosität kam aus tiefstem Herzen, während ich mehr äußerlich fromm war. Mein Vater war in dieser Beziehung völlig indifferent, ebenso mein Gatte, also hatte ich weder von dem einen noch dem anderen Anregung zu besonderem Glaubenseifer erhalten. Mich in die kirchlichen Lehren mit Begeisterung zu vertiefen, hatte ich auch niemals vermocht, da ich dieselben überhaupt nur mit Anwendung des »Nichtdarübernachdenken« Prinzips unangefochten lassen konnte. Ich ging wohl allsonntäglich zur Messe und alljährlich zur Beichte; auch war ich bei diesen Zeremonien voll Ehrfurcht und Andacht; aber das ganze war doch mehr oder minder eine Art standesmäßiger Etikettenbeobachtung; ich erfüllte die religiösen Anstandspflichten mit derselben Korrektheit, wie ich auf dem Kammerball die Figuren der Lanciers ausführte und die Hofreverenz machte, wenn die Kaiserin den Saal betrat. Unser Schloßkaplan in Niederösterreich und der Nuntius in Wien konnten mir nichts vorwerfen, aber die von der Tante vorgebrachte Beschuldigung war wohl berechtigt.
»Ja, mein Kind,« fuhr sie fort, »im Glück und im Wohlsein vergessen die Leute leicht ihren Heiland – wenn aber Krankheit oder Todesgefahr über uns und, mehr noch, über unsere Lieben hereinbricht, wenn wir niedergeschlagen und in Kümmernis sind –«
In diesem Tone wäre es noch lange fortgegangen, aber da wurde die Türe aufgerissen und mein Vater stürzte herein:
»Hurra, jetzt geht's los!« lautete seine Begrüßung. »Sie wollen Prügel haben, die Katzelmacher? So