Die Waffen nieder. Bertha von Suttner

Читать онлайн книгу.

Die Waffen nieder - Bertha von Suttner


Скачать книгу
muß es doch sein. Du hast doch keinen Husarenoffizier in der Idee geheiratet, sein Handwerk sei Hyazinthenzucht? Ich werde dir oft schreiben, so oft als möglich, und dir berichten, wie frisch und fröhlich die ganze Kampagne vor sich geht. Wenn mir was Schlimmes bestimmt wäre, so könnte ich mich nicht so wohlgemut fühlen ... einen Orden geh' ich mir holen, weiter nichts ... Gib nur hier recht acht auf dich selber und auf unseren Ruru – der wenn ich avanciere, auch wieder um einen Grad vorrücken darf. Grüß ihn von mir ... ich will den Abschied von gestern abend nicht noch wiederholen ... Dem wird's einmal ein Vergnügen sein, wenn ihm sein Vater erzählt, daß er im Jahre 59 bei den großen italienischen Siegen dabei gewesen« ...

      Ich hörte ihm gierig zu. Dieses zuversichtliche Geplauder tat mir wohl. Er ging ja gern und lustig fort – mein Schmerz war also ein egoistischer, daher ein unberechtigter – dieser Gedanke würde mir die Kraft geben, ihn zu überwinden.

      Wieder klopfte es an der Tür.

      »Es ist schon Zeit, Herr Oberleutnant.«

      »Bin schon fertig – komme gleich.« Er breitete die Arme aus: »Also jetzt, Martha, mein Weib, mein Lieb –«

      Schon lag ich an seiner Brust. Reden konnte ich nicht. Das Wort Lebewohl wollte nicht über die Lippen – ich fühlte, daß ich bei Äußerung dieses Wortes zusammenbrechen mußte, und die Ruhe, den Frohmut seiner Abfahrt durfte ich ja nicht vergällen. Den Ausbruch meines Schmerzes sparte ich mir – wie eine Art Belohnung – auf das Alleinsein auf.

      Nunmehr aber sprach er es, das herzzerreißende Wort:

      »Leb' wohl, mein Alles, leb' wohl!« und drückte innig seinen Mund auf den meinen.

      Wir konnten uns aus dieser Umarmung gar nicht losreißen – war es doch die letzte! Da plötzlich fühle ich, wie seine Lippen beben, seine Brust sich krampfhaft hebt ... und – mich freilassend, bedeckt er sein Gesicht mit beiden Händen und schluchzte laut auf.

      Das war zu viel für mich. Ich glaubte wahnsinnig zu werden.

      »Arno, Arno,« rief ich ihn umklammernd: »Bleib, Bleib!« Ich wußte, daß ich unmögliches verlangte, doch rief ich hartnäckig: »Bleib, bleib!«

      »Herr Oberleutnant,« kam es von draußen, »schon höchste Zeit«.

      Noch einen Kuß – den allerletzten – und er stürzte hinaus.

      * * *

      Charpie zupfen, Zeitungsberichte lesen, auf einer Landkarte Stecknadelfähnchen aufstecken, um den Bewegungen der beiden Heere zu folgen und daraus Schachaufgaben, in der Fassung von »Österreich zieht an und setzt mit dem vierten Zuge matt« zu lösen trachten; in der Kirche fleißig um Schutz für seine Lieben und um den Sieg der vaterländischen Waffen beten; von nichts anderem reden als von den vom Kriegsschauplatz eingetroffenen Nachrichten: – das war es, was meine und die Existenz meiner Verwandten- und Bekanntenkeise nunmehr ausfüllte. Das Leben mit allen seinen übrigen Interessen schien für die Dauer des Feldzuges sozusagen in der Schwebe; alles bis auf die Frage »wie und wann wird der Krieg enden?« war der Wichtigkeit, ja beinahe der Wirklichkeit beraubt. Man aß, man trank, man las, man besorgte seine Geschäfte; aber das alles »galt« eigentlich nicht –nur eins war von vollgewichtiger Gültigkeit: die Telegramme aus Italien.

      Meine größten Lichtblicke waren selbstverständlich die Nachrichten, welche ich von Arno selber erhielt. Diese waren sehr kurz gefaßt – das Briefschreiben ist niemals seine starke Seite gewesen –; aber sie brachten mir doch das beglückendste Zeugnis; noch am Leben – unverwundet. Sehr regelmäßig konnten diese Briefe und Depeschen freilich nicht eintreffen, denn oft waren die Verbindungen abgebrochen, oder – wenn es irgendwo zur Aktion kam – der Feldpostdienst aufgehoben.

      Wenn so einige Tage vergangen waren, ohne daß ich von Arno gehört, und es wurde eine Verlustliste veröffentlicht – mit welchem Bangen las ich da nicht die Namen durch! ... Es ist so spannend, wie für den Losbesitzer das Durchsehen der Gewinnummern einer Ziehungsliste, aber in umgekehrtem Sinne: was man da sucht, wohl wissend, daß man (Gott sei Dank) die Wahrscheinlichkeit gegen sich hat, ist der Haupttreffer des Unglücks ...

      Das erstemal, als ich die Namen der Gefallenen durchgelesen – ich war eben seit vier Tagen ohne Nachricht – und sah, daß der Name »Arno Dotzky« nicht darunter war, da faltete ich die Hände und sprach mit lauter Stimme: »Mein Gott, ich danke dir!« Kaum aber waren die Worte geäußert, so klang es mir wie ein schriller Mißton daraus nach. Ich nahm das Blatt wieder zur Hand und betrachtete zum zweitenmal die Namenreihe. Also weil Adolf Schmidt und Karl Müller und viele andere – aber nicht Arno Dotzky – geblieben waren, hatte ich Gott gedankt? Derselbe Dank wäre dann berechtigterweise von dem Herzen derer zum Himmel aufgestiegen, welche für Schmidt und Müller zittern, wenn sie statt dieser den Namen »Dotzky« gelesen hätten? Und warum sollte gerade mein Dank dem Himmel genehmer sein als jener? Ja – das war der schrille Mißton meines Stoßgebetes gewesen: die Anmaßung und die Selbstsucht, die darin lag, zu glauben, Dotzky sei mir zu lieb verschont geblieben, und Gott zu danken, daß nicht ich, sondern nur Schmidts Mutter und Müllers Braut und fünfzig andere über dieser Liste weinend zusammenbrechen ...

      Am selben Tag erhielt ich wieder von Arno einen Brief:

      »Gestern gab's einen tüchtigen Kampf. Leider – leider eine Niederlage. Aber tröste dich, meine geliebte Martha, die nächste Schlacht bringt uns den Sieg. Es war dies meine erste große Affäre. Ich stand mitten in dichtem Kugelregen – ein eigenes Gefühl ... das erzähle ich mündlich – es ist doch furchtbar: die armen Kerle, die da um einen herum fallen und die man liegen lassen muß, trotz ihres kläglichen Wimmerns – » c'est la guerre!« Auf baldiges Wiedersehen, mein Herz. Wenn wir einmal in Turin die Friedensbedingungen diktieren, dann kommst du mir nachgereist. Tante Marie wird indessen so gut sein, über unseren kleinen Korporal zu wachen.«

      Wenn der Empfang solcher Briefe die Sonnenblicke meines Daseins abgab – die schwärzesten Schatten desselben waren meine Nächte. Wenn ich da aus selig vergessendem Traume erwachte und mir die entsetzliche Wirklichkeit mit ihrer entsetzlichen Möglichkeit vor das Bewußtsein trat, so erfaßte mich schier unerträgliches Leid und ich konnte stundenlang nicht wieder einschlafen. Die Idee war nicht los zu werden, daß Arno vielleicht in diesem Augenblick stöhnend und sterbend in einem Graben lag – nach einem Tropfen Wasser lechzend – sehnsüchtig nach mir rufend ... Nur damit konnte ich mich allmählich beruhigen, daß ich mir mit aller Gewalt die Szene seiner Rückkunft vor die Einbildung rief. Die war ja ebenso wahrscheinlich – sogar viel wahrscheinlicher, als das verlassene Sterben – und da malte ich mir denn aus, wie er ins Zimmer hereinstürmte und ich an sein Herz flöge – wie ich ihn dann zu Rurus Wiege führte und wie glücklich und froh wir dann wieder sein könnten ...

      Mein Vater war sehr niedergeschlagen. Es kam eine schlimme Nachricht nach der anderen. Zuerst Montebello, dann Magenta. Nicht er allein – ganz Wien war niedergeschlagen. Man hatte zu Anfang so zuversichtlich gehofft, daß ununterbrochene Siegesbotschaften Anlaß zu Häuserbeflaggung und Te deum Absingen geben würden; statt dessen wehten die Fahnen und sangen die Priester in Turin ... Dort hieß es jetzt: »Herr Gott, wir loben dich, daß du uns geholfen hast, die bösen Tedeschi zu schlagen.«

      »Meinst du nicht, Papa,« frug ich, »daß, wenn noch eine Niederlage für uns käme, dann Frieden geschlossen würde? In diesem Falle könnte ich wünschen, daß –«

      »Schämst du, dich nicht, so etwas zu sagen? Lieber soll es ein siebenjähriger – soll es ein dreißigjähriger Krieg werden, nur sollen schließlich unsere Waffen siegen und wir die Friedensbedingungen diktieren. Wozu geht man in den Krieg, doch nicht dazu, daß er baldmöglichst aus sei – sonst könnte man von vornherein zu Hause bleiben.«

      »Das wäre wohl das beste,« seufzte ich.

      »Was ihr Weibervolk doch feige seid! Selbst du – die du so gute Grundsätze von Vaterlandsliebe und Ehrgefühl erhalten – bist jetzt ganz verzagt und schätzest deine persönliche Ruhe höher als die Wohlfahrt und den Ruhm des Landes.«

      »Ja – wenn ich meinen Arno nicht gar so lieb hätte!«

      »Gattenliebe – Familienliebe


Скачать книгу