Die Waffen nieder. Bertha von Suttner

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Die Waffen nieder - Bertha von Suttner


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faßt das Ereignis so auf, als wäre es ein erhabenes, waltendes Drittes, dessen »Ausbruch« die beiden Haufen zum Raufen zwingt. Die ganze Verantwortung fällt auf diese außerhalb des Einzelwillens liegende Macht, welche ihrerseits nur die Erfüllung der bestimmten Völkerschicksale herbeigeführt. Das ist so die dunkle und ehrfürchtige Auffassung, welche die meisten Menschen vom Kriege haben und welche auch die meine war. Von einer Revolte meines Gefühls gegen das Kriegführen überhaupt war keine Rede; nur darunter litt ich, daß mein geliebter Mann hinauszuziehen hätte in die Gefahr, und ich in Einsamkeit und Bangen zurückzubleiben. Ich kramte alle meine alten Eindrücke aus der Zeit der Geschichtsstudien hervor, um mich an dem Bewußtsein zu stärken und zu begeistern, daß die höchste Menschenpflicht es war, die meinen Teuren abberief, und daß ihm hierdurch die Möglichkeit geboten würde, sich mit Ruhm und Ehren zu bedecken. Jetzt lebte ich ja mitten drin in einer Geschichtsepoche: das war auch ein eigentümlich erhebender Gedanke. Weil von Herodot und Tacitus an bis zu den modernen Historikern herab die Kriege stets als die wichtigsten und folgenschwersten Ereignisse dargestellt worden, so meinte ich, daß auch gegenwärtig ein solches – künftigen Geschichtsschreibern als Abschnittsüberschrift dienendes Weltereignis im Gange war.

      Diese gehobene, wichtigkeitsüberströmende Stimmung war übrigens die allgemein herrschende. Man sprach von nichts anderem in den Salons und auf den Gassen; las von nichts anderem in den Zeitungen, betete für nichts anderes in den Kirchen: wo man hinkam, überall dieselben aufgeregten Gesichter und die gleichen lebhaften Besprechungen der Kriegseventualitäten. Alles übrige, was sonst das Interesse der Leute wach hält: Theater, Geschäfte, Kunst – das wurde jetzt als ganz nebensächlich betrachtet. Es war einem zu Mute, als hätte man gar kein Recht, an etwas anderes zu denken, während dieser große Weltschicksalsauftritt sich abspielte. Und die verschiedenen Armeebefehle mit den bekannten siegesbewußten und ruhmverheißenden Phrasen; und die unter klingendem Spiel und wehenden Standarten abmarschierenden Truppen; und die in loyalstem und patriotisch glühendstem Tone gehauenen Leitartikel und öffentlichen Reden; dieser ewige Appell an Tugend, Ehre, Pflicht, Mut, Aufopferung; diese sich gegenseitig gemachten Versicherungen, daß man die bekannt unüberwindlichste, tapferste, zu hoher Machtausdehnung bestimmte, beste und edelste Nation sei! alles dies verbreitet eine heroische Atmosphäre, welche die ganze Bevölkerung mit Stolz erfüllt und in jedem einzelnen die Meinung hervorruft, er sei ein großer Bürger einer großen Zeit.

      Schlechte Eigenschaften, als da sind: Eroberungsgier, Rauflust, Haß, Grausamkeit, Tücke – werden wohl auch als vorhanden und als im Kriege sich offenbarend zugegeben, aber allemal nur beim »Feind«. Dessen Schlechtigkeit liegt am Tage. Ganz abgesehen von der politischen Unvermeidlichkeit des eben unternommenen Feldzuges, sowie abgesehen von den daraus unzweifelhaft erwachsenden patriotischen Vorteilen, ist die Besiegung des Gegners ein moralisches Werk, eine vom Genius der Kultur ausgeführte Züchtigung ... Diese Italiener – welches faule, falsche, sinnliche, leichtsinnige, eitle Volk! Und dieser Louis Napoleon – welcher Ausbund von Ehrsucht und Intrigengeist! Als sein am 29. April publiziertes Kriegsmanifest erschien, mit dem Motto: »Freies Italien bis zum Adriatischen Meer« – rief das einen Sturm der Entrüstung bei uns hervor! Ich erlaubte mir eine schwache Bemerkung, daß dies eigentlich eine uneigennützige und schöne Idee sei, welche für italienische Patrioten begeisternd wirken müsse; aber ich ward schnell zum Schweigen gebracht. An dem Dogma »Louis Napoleon ist ein Bösewicht«, durfte, solange er »der Feind« war, nicht gerüttelt werden; alles, was von ihm ausging, war von vornherein »bösewichterisch«. Noch ein leiser Zweifel stieg in mir auf. In allen geschichtlichen Kriegsberichten hatte ich die Sympathie und die Bewunderung der Erzähler immer für diejenige Partei ausgedrückt gefunden, welche einem fremden Joche sich entringen wollte und welche für die Freiheit kämpfte. Zwar wußte ich mir weder über den Begriff »Joch« noch über den so überschwenglich besungenen Begriff »Freiheit« einen rechten Bescheid zu geben, aber so viel schien mir doch klar: die Jochabschüttelungs- und Freiheitsbestrebung lag diesmal nicht auf österreichischer, sondern auf italienischer Seite. Aber auch für diese schüchtern gedachten und noch schüchterner ausgedrückten Skrupel wurde ich niedergedonnert. Da hatte ich Unselige wieder an einem sakrosankten Grundsatz gerührt, nämlich daß unsere Regierung – d. h. diejenige, unter welcher man zufällig geboren worden – niemals ein Joch, sondern nur einen Segen abgeben könne; daß die von »uns« sich losreißen Wollenden nicht Freiheitskämpen, sondern einfach Rebellen sind, und daß überhaupt und unter allen Umständen »wir« allemal und überall in unserem vollen Rechte sind.

      In den ersten Maitagen – es waren kalte, regnerische Tage zum Glück; sonniges, lenzfrohes Wetter hätte einen noch schmerzlicheren Kontrast bewirkt – marschierte das Regiment ab, welchem Arno sich hatte zuteilen lassen. Um sieben Uhr früh ... ach, die vorhergehende Nacht ... war das eine fürchterliche Nacht! Wäre der Teure auch nur auf eine gefahrlose Geschäftsreise gegangen, die Trennung hätte mich unsäglich traurig gemacht – Scheiden tut ja so weh – aber in den Krieg! Dem Feuerregen der feindlichen Geschütze entgegen! ... Warum konnte ich in jener Nacht bei dem Worte Krieg durchaus nicht mehr dessen erhabene, historische Bedeutung erfassen, sondern nur sein toddrohendes Grausen?

      Arno war eingeschlafen. Ruhig atmend, mit heiterem Gesichtsausdruck lag er da. Ich hatte eine frische Kerze angezündet und hinter einen Schirm gestellt: ich konnte heute nicht im Finstern bleiben. Vom Schlafen war ja für mich ohnehin keine Rede – in dieser letzten Nacht. Da mußte ich ihm wenigstens die ganze Zeit ins liebe Gesicht schauen. In einen Schlafrock gehüllt, lag ich auf unserem Bette; den Ellbogen auf das Kissen, das Kinn in die Handfläche gestützt, blickte ich auf den Schlummernden herab und weinte still ... »Wie lieb – wie lieb ich dich habe, mein Einziger – und du gehst fort von mir ... Warum ist das Schicksal so grausam? Wie werde ich leben ohne dich? Daß du mir nur bald wiederkehrst! O Gott, mein guter Gott, mein barmherziger Vater dort oben – laß ihn bald zurückkommen – ihn und alle ... Laß es bald Frieden sein! ... Warum kann es denn nicht immer Frieden sein? ... Wir waren so glücklich ... zu glücklich wohl ... es darf ja auf Erden kein vollkommenes Glück geben ... O Seligkeit – wenn er unversehrt heimkehrt und dann wieder so an meiner Seite liegt und für den kommenden Morgen kein Abschied droht ... Wie er ruhig schläft – o du mein tapferer Schatz! Aber wie wirst du dort schlafen? Da gibt es kein weiches Bett für dich – da mußt du auf harter, nasser Erde liegen ... vielleicht in einem Graben – hilflos – verwundet ...« Bei diesem Gedanken konnte ich nicht anders, als mir eine klaffende Säbelhiebwunde auf seiner Stirn vorstellen, von der das Blut herabsickert, oder ein Kugelloch in seiner Brust ... und ein heißer Mitleidsschmerz ergriff mich. Wie gerne hätte ich meine Arme um ihn geschlungen und ihn geküßt, aber ich durfte ihn nicht wecken; er brauchte diesen stärkenden Schlaf. Nur noch sechs Stunden ... tick – tack – tick – tack: unbarmherzig schnell und sicher geht die Zeit jedem Ziele entgegen. Dieses gleichgültige Tick – Tack tat mir weh. Auch das Licht brannte ebenso gleichgültig hinter seinem Schirm, wie diese Uhr mit ihrem blöden regungslosen Bronze-Amor tickte ... Begriffen denn all diese Dinge nicht, daß dies die letzte Nacht war? Die tränenden Lider fielen mir zu, das Bewußtsein schwand allmählich, und den Kopf auf das Kissen sinken lassend, schlief ich dennoch selber ein. Aber immer nur auf kurze Zeit. Kaum verlor sich mein Sinn in die Nebel eines formlosen Traumes, so krampfte mein Herz sich plötzlich zusammen und ich erwachte durch einen heftigen Schlag desselben, mit dem gleichen Angstgefühle, wie wenn man durch Hilferuf oder Feuerlärm geweckt wird ... »Abschied, Abschied!« hieß der Alarm. Als ich zum zehnten oder zwölftenmal so aus dem Schlummer auffuhr, war es Tag und die Kerze flackerte noch. Man klopfte an der Tür.

      »Sechs Uhr, Herr Oberleutnant,« meldete die Ordonnanz, welche Befehl erhalten hatte, rechtzeitig zu wecken.

      Arno richtete sich auf ... Jetzt also war die Stunde gekommen – jetzt würde es gesprochen werden, dieses jammer-jammervolle Wort »Lebewohl«.

      Es war ausgemacht worden, daß ich ihn nicht zur Bahn begleiten würde. Die eine Viertelstunde mehr oder weniger des Beisammenseins – auf die kam es nicht mehr an. Und das Leid der letzten Losreißung, das wollte ich nicht vor fremden Leuten bloßlegen; ich wollte allein in meinem Zimmer sein, wenn der Abschiedskuß getauscht worden, um mich auf den Boden werfen – um schreien, laut schreien zu können.

      Arno kleidete sich rasch an. Dabei sprach er allerlei Tröstliches auf mich ein:

      »Wacker,


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