Die Waffen nieder. Bertha von Suttner

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Die Waffen nieder - Bertha von Suttner


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wissenschaftliche Werke schreiben, oder verlegen – es fragt kein Mensch danach. So lange der Krieg währt, interessiert sich niemand für das geistige Leben. Das ist für Schriftsteller und Buchhändler eine schlimme Zeit.«

      »Und eine schlimme Zeit für die Nation,« entgegnete der Professor, »bei welcher solche Interesselosigkeit natürlich geistigen Niedergang zur Folge hat.«

      Und da wollte mein Vater – dachte ich zum drittenmal – daß zum Wohle des Landes dreißig Jahre lang ...« »So gehen Ihre Geschäfte schlecht?« mischte ich mich jetzt laut in die Unterhaltung.

      »Nur meine? Alle, fast alle, meine Gnädige,« antwortete der Buchhändler. »Mit Ausnahme der Armeelieferanten gibt es keinen Geschäftsmann, dem der Krieg nicht unberechenbaren Schaden brächte. Alles stockt: die Arbeit in den Fabriken, die Arbeit auf den Feldern, unzählige Menschen werden verdienst- und brotlos. Die Papiere fallen, das Agio steigt, alle Unternehmungslust versiegt, zahlreiche Firmen müssen Bankrott erklären – kurz es ist ein Elend – ein Elend!« »Und da wollte mein Vater –.« wiederholte ich im stillen, während ich den Laden verließ.

      * * *

      Meine Freundin fand ich zu Hause.

      Gräfin Lori Griesbach war in mehr als einer Hinsicht meine Schicksalsgenossin, Generalstochter, wie ich, kurze Zeit an einen Offizier verheiratet, wie ich, und – wie ich – Strohwitwe. In einem übertrumpfte sie mich: sie hatte nicht nur ihren Mann, sondern auch noch zwei Brüder im Krieg. Aber Lori war keine ängstliche Natur; sie war vollkommen überzeugt, daß ihre Lieben unter dem besonderen Schutze eines von ihr sehr verehrten Heiligen standen, und sie rechnete zuversichtlich auf deren Wiederkehr.

      Sie empfing mich mit offenen Armen.

      »Ach, grüß' dich Gott, Martha – das ist wunderhübsch von dir, daß du mich aufsuchst. – Aber du siehst gar so bleich und gedrückt aus ... doch keine schlimme Nachricht vom Kriegsschauplatze?«

      »Nein, Gott sei Dank. Aber das Ganze ist doch so traurig –«

      »Ja so – du meinst die Niederlage? Da mußt du dir nichts daraus machen, die nächsten Berichte können einen Sieg vermelden.«

      »Siegen oder besiegt werden – der Krieg an und für sich ist schon schrecklich ... Wäre es nicht besser, wenn es gar keinen solchen gäbe?«

      »Wozu wäre denn da das Militär da?«

      »Ja, wozu?« Ich sann nach. »Dann gäb' es keins.«

      »Was du für Unsinn sprichst! Das wäre eine schöne Existenz – lauter Zivilisten – mir schaudert! Das ist zum Glück unmöglich.«

      »Unmöglich? Du mußt recht haben. Ich will es glauben – sonst könnte ich nicht fassen, daß es nicht schon längst geschehen.«

      »Was geschehen?«

      »Die Abschaffung des Krieges. Doch nein: ebensogut könnte ich sagen, man solle das Erdbeben abschaffen ...«

      »Ich weiß nicht, was du meinst. Was mich anbelangt, so bin ich froh, daß dieser Krieg ausgebrochen, weil ich hoffe, daß sich mein Ludwig auszeichnen wird. Auch für meine Brüder ist es eine gute Sache. Das Avencement ging schon so langsam von statten, jetzt haben sie doch eine Chance –«

      »Hast du kürzlich Nachricht erhalten,« unterbrach ich. »Sind die deinen alle heil?«

      »Eigentlich schon ziemlich lange nicht. Aber du weißt, wie der Postverkehr oft unterbrochen ist, und wenn man von einem heißen Marsch- oder Schlachttag so recht müde geworden, hat man auch nicht viel Lust zum Schreiben. Ich bin ganz ruhig. Sowohl Ludwig als auch meine Brüder tragen geweihte Amulette – Mama hat sie ihnen selber umgehängt« ...

      »Wie stellst du dir denn einen Krieg vor, Lori, wo in beiden Heeren jeder Mann ein Amulett trüge? Wenn da die Kugeln hin und her fliegen, werden sie sich harmlos in die Wolken zurückziehen?«

      »Ich versteh' dich nicht. Du bist so lau im Glauben. Das klagt mir öfters deine Tante Marie.«

      »Warum beantwortest du meine Frage nicht?«

      »Weil in ihr ein Spott auf eine Sache liegt, die mir heilig ist«

      »Spott? Nicht doch ... Einfach eine vernünftige Erwägung.«

      »Du weißt doch, daß es Sünde ist, der eigenen Vernunft die Kraft zuzutrauen, in Dingen urteilen zu wollen, die über sie erhaben sind.«

      »Ich schweige schon, Lori. Du kannst recht haben: das Nachdenken und Grübeln taugt nicht ... Seit einiger Zeit steigen mir so allerlei Zweifel an meinen ältesten Überzeugungen auf, und ich empfinde dabei nur Qual. Wenn ich die Überzeugung verlöre, daß es unbedingt notwendig und gut war, diesen Krieg zu beginnen, so könnte ich jenen nicht verzeihen, welche –«

      »Du meinst Louis Napoleon? Das ist freilich ein Intrigant.«

      »Ob dieser oder andere – ich wollte unerschüttert glauben, daß es überhaupt keine Menschen waren, die den Krieg veranlaßt haben, sondern, daß er von selber »ausgebrochen« – ausgebrochen wie das Nervenfieber, wie das Vesuvfeuer –«

      »Wie du exaltiert bist, mein Schatz. Laß uns doch vernünftig reden. Also hör' mich an. In kurzem wird die Kampagne ein Ende haben und unsere beiden Männer kommen als Rittmeister zurück ... Ich werde den meinen dann zu bewegen trachten, daß er einen vier- oder sechswöchentlichen Urlaub nehme, um mit mir ins Bad zu reisen. Es wird ihm gut tun nach seinen ausgestandenen Strapazen und auch mir, nach der ausgestandenen Hitze, Langeweile und Bangigkeit. Denn du mußt nicht glauben, daß ich gar keine Angst habe ... Es könnte doch Gottes Wille sein, daß einer meiner Lieben den Soldatentod finde – und wenn es auch ein schöner, beneidenswerter Tod ist ... auf dem Felde der Ehre ... für Kaiser und Vaterland –«

      »Du sprichst ja wie der erste beste Armeebefehl.«

      »Es wäre doch schrecklich ... die arme Mama, wenn Gustav oder Karl etwas zustoßen würde ... Reden wir nicht davon! Also, um uns von all dem Schreck zu erholen, gilt es, eine amüsante Badesaison durchmachen ... Am liebsten in Karlsbad – dort bin ich einmal als Mädchen gewesen und habe mich göttlich unterhalten.«

      »Und ich war in Marienbad ... Dort habe ich Arno kennen gelernt ... Aber warum sitzen wir so müßig da? Haft du nicht etwas Leinwand zur Hand, daß wir Charpie zupfen? Ich war heute im Patriotischen Hilfsverein und da kam – rate wer?«

      Hier wurden wir unterbrochen. Ein Diener brachte einen Brief herein.

      »Von Gustav!« rief Lori freudig, indem sie das Siegel brach.

      Nachdem sie ein paar Zeilen gelesen, stieß sie einen Schrei aus; das Blatt entfiel ihren Händen und sie warf sich an meinen Hals.

      »Lori – mein armes Herz, was ist's?« fragte ich tief ergriffen – »dein Mann? ...«

      »O Gott, o Gott«, stöhnte sie. »Lies selber ...«

      Ich hob das Blatt vom Boden auf und begann zu lesen. Ich kann den Wortlaut genau wiedergeben, denn in der Folge habe ich den Brief von Lori mir erbeten, um dessen Inhalt in mein Tagebuch übertragen.

      »Lies laut,« bat sie – ich habe nicht zu Ende lesen können.«

      Ich tat nach ihrem Wunsche.

      »Liebste Schwester! Gestern hatten wir eine heiße Schlacht – das wird eine große Verlustliste geben. Damit du – damit unsere arme Mutter nicht aus dieser das Unglück erfährt und damit du sie langsam vorbereiten könntest (sag', er sei schwer verwundet), schreibe ich dir lieber gleich, daß zu den für das Vaterland gefallenen Kriegern auch unser tapferer Bruder Karl zählt.« Ich unterbrach mich, um die Freundin zu umarmen.

      »Bis dahin war ich gekommen,« sagte sie leise.

      Mit tränenerstickter Stimme las ich weiter.

      »Dein Mann ist unversehrt und so auch ich. Hätte die feindliche Kugel doch lieber mich getroffen: ich beneide Karl um seinen Heldentod – er fiel zu Anfang der Schlacht, und weiß nicht, daß diese wieder – verloren ist.


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