Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab
Читать онлайн книгу.blutige Rüstung Dolons aber legte Odysseus hinten im Schiffe nieder, bis sie bei einem Dankfest
Athenes prangen könnte. Nun spülten sich beide Helden mit der Meerflut Schweiß und Blut von den
Gliedern, setzten sich zum warmen Bad in Wannen, salbten sich mit Öl und genossen das Frühmahl
beim vollen Kruge; und Pallas Athene ward mit dem Trankopfer nicht vergessen.
Zweite Niederlage der Griechen
Es war Morgen. Agamemnon befahl dem Volke, sich zu gürten, und legte selbst die Rüstung an, den
herrlichen Harnisch, an dem zehn bläuliche Stahlstreifen mit zwölf aus funkelndem Gold und zwanzig
aus Zinn wechselten; die Halsbrünne bildeten drei Drachen, glänzend wie Regenbogen; der Panzer
war ein Geschenk des Kinyras, Fürsten von Cypern; dann warf er sich das Schwert, mit goldenen
Buckeln am Griff, in silberner Scheide, am strahlenden Goldgehenke befestigt, um die Schulter;
darauf hob er den kunstreich gewölbten Schild, um den zehn Erzkreise herliefen und zwanzig weiße
zinnerne Buckeln blinkten; auf dem mittleren dunkelblauen Felde war das gräßliche Gorgonenhaupt
abgebildet, das Schildgehenk hatte die Gestalt eines bläulichen Drachens mit drei gekrümmten
Häuptern. Dann setzte er sich den viergipflichten, von Roßhaaren umwallten Helm, mit fürchterlich
nickendem Helmbusch, aufs Haupt, ergriff zwei mächtige Lanzen mit strahlenden Erzspitzen und
schritt in die Schlacht. Hera und Athene begrüßten vom Himmel herab den herrlich gerüsteten König
der Völker mit einem freudigen Donner. Zuerst drangen die Fußgänger mit den ehernen
Waffenrüstungen über den Graben, ihnen folgten die Reisigen auf den Streitwagen, und mit lautem
Getümmel eilte das ganze Heer vorwärts.
Auf der andern Seite hielten die Trojaner einen Hügel des Feldes mit ihren Scharen besetzt; ihre
Führer waren Hektor, Polydamas und Äneas; nächst ihnen Polybos, Agenor und Akamas, die drei
tapfern Söhne Antenors. Wie ein Stern durch Nachtgewölk wandelte Hektor bald durch den
vordersten, bald durch den äußersten Zug und ordnete die Schlachtreihen; in seiner Erzrüstung
leuchtete er wie ein Blitzstrahl des Donnerers. Bald stürmten nun Trojaner und Danaer mordend
gegeneinander, wie Schnitter mähend in die Schwaden fahren; alles drängte sich Haupt an Haupt zur
Schlacht, in beiden Heeren tobten die Streiter wie Wölfe. Endlich durchbrachen die Griechen mit
ihrer Kraft die Schlachtreihen der Feinde, und Agamemnon stieß, voranstürmend, den Fürsten Bianor
und seinen Wagenlenker nieder. Dann warf er sich auf zwei Söhne des Königes Priamos, den
Antiphos und seinen Wagenlenker, den Bastard Isos; jenem durchschoß er die Brust mit der Lanze,
diesen stürzte er mit einem Schwerthiebe vom Wagen, und den Getöteten entzog er eilig die
Rüstung. Jetzt begegnete er zwei Söhnen des Antimachos, des Trojanerfürsten, der einst, von Paris'
Golde betört, die Helena auszuliefern verboten hatte. Vergebens flehten ihn die Knaben, in den
Wagen hineingeschmiegt, um Schonung an. Ihres Vaters gedenkend, durchbohrte er den einen und
hieb dem andern die Hände vom Leib und das Haupt von der Schulter. Immer tiefer drang die
Verfolgung der Griechen ein, auf Fußvolk und auf Wagen, wie ein Feuerbrand unter Sturm durch
unausgehauene Waldung sich verbreitet.
Aus den Blutströmen und dem Getümmel entzog den Fürsten Hektor Zeus selbst den Geschossen,
daß er zum Denkmale des alten Königes Ilos, an den Feigenhügel vorüber, mitten durch das Gefilde,
sehnsüchtig nach der Stadt hin floh; aber Agamemnon, seine Hände mit Trojanerblute besudelt,
folgte ihm laut schreiend. Endlich an der Buche des Zeus, nicht fern vom Skäischen Tore, stand
Hektor und zugleich die ganze Flucht der Seinigen, ihm nachgedrungen, stille. Da sandte Zeus die
Götterbotin Iris und befahl ihm, solange Agamemnon im Vordergewühl tobte, selbst zurückzustehen
und dem andern Volke die Feldschlacht zu überlassen, bis der Atride verwundet würde. Dann wollte
der Göttervater ihn selbst wieder zum Siege führen. Hektor gehorchte. Von der Hinterhut aus
mahnte er die Seinigen zu frischem Kampfe. Aufs neue begann das Gefecht; Agamemnon stürmte
voraus und fing wieder an, in den Scharen der Trojaner und ihrer Bundesgenossen zu wüten. Ihm
begegnete zuerst Antenors Sohn, Iphidamas, ein großer, gewaltiger Held, der in Thrakien bei seinem
Ahn aufgewachsen war und neuvermählt zum Kampfe in die alte Heimat gezogen kam. Agamemnons
Lanze fehlte; der Speer des Iphidamas verbog sich die Spitze am Leibgurt seines Feindes. Schleunig
ergriff jetzt Agamemnon die Lanze des Gegners, riß sie ihm aus der Hand und durchhieb ihm den
Nacken mit dem Schwert. So sank der Arme, von der Gattin getrennt, im Kampfe für die Seinigen,
bemitleidenswert in den ehernen Todesschlummer. Agamemnon entwaffnete ihn und prahlte mit
der herrlichen Rüstung durch die Reihen der Achiver. Als ihn so der ältere Sohn des Antenor, Koon,
einer der gepriesensten trojanischen Kämpfer, einherschreiten sah, faßte ihn unaussprechlicher
Gram um den gefallenen Bruder; doch raubte ihm der Schmerz die Besinnung nicht, sondern,
unbemerkt vom Atriden, stach er diesem seitwärts mit seinem Speere mitten in den Arm, dicht unter
dem Gelenk. Agamemnon fühlte sich von einem plötzlichen Schauer durchdrungen; dennoch gönnte
er sich keine Rast vom Kampfe, und während Koon seinen Bruder am Fuß aus dein Gewühl zu ziehen
bestrebt war, durchstach ihn der Schaft des Atriden unter dem Schilde, so daß er entseelt auf den
Leichnam des Bruders hinsank.
Solange das Blut noch warm aus der offenen Wunde hervordrang, fuhr Agamemnon fort, mit Lanze,
Schwert und Steinen in den Reihen der Trojaner zu morden; als aber das Blut in der Wunde zu
erharschen anfing, da mahnte ihn ein scharfer zuckender Schmerz, das Gewühl der Schlacht zu
verlassen. Schnell sprang er in den Sitz des Streitwagens, dem Rosselenker gebietend, nach den
Schiffen umzukehren; und bald trug der Wagen, mit Staub umwölkt, den von der Wunde hart
gequälten König dem Schiffslager zu.
Als Hektor sah, wie der Atride sich entfernte, gedachte er an den Befehl des Zeus, eilte in die
Vorderschar der Trojaner und Lykier und rief laut aus: »Jetzt, ihr Freunde, seid Männer und sinnet auf
Abwehr! Der tapferste Mann Griechenlands ist ferne, und Zeus verleiht mir Siegesruhm. Auf, mitten
unter die Helden der Danaer hinein mit den Rossen, damit wir um so höheren Ruhm gewinnen!« So
rief Hektor und stürzte sich wie ein Sturmwind zuerst in die Schlacht. Und in kurzer Zeit waren neun
Fürsten der Griechen, dazu viel gemeines Volk unter seinen Händen erlegen. Schon war er nahe
daran, das fliehende Heer der Griechen in die Schiffe zu drängen, da ermahnte Odysseus den
Tydiden: »Ist es möglich, daß