Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab

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Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil - Gustav  Schwab


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sprach der greise König Priamos mit wohlmeinender Gesinnung: »Laßt uns heute nichts Weiteres

       mehr beginnen, ihr Freunde! Verteilet den Nachtimbiß unter das Heer, stellet die Wachen aus und

       überlasset euch, behutsam wie immer, dem Schlafe. Am nächsten Morgen aber soll Idaios, unser

       Herold, zu den Schiffen der Griechen gehen und denselben das friedsame Wort meines Sohnes Paris

       verkündigen, zugleich sie erforschen, ob sie geneigt seien, uns Waffenruhe zu gewähren, bis wir

       unsere Toten verbrannt haben. Können wir uns nicht vereinigen, so mag nachher die Feldschlacht

       wieder beginnen.«

       So geschah es. Am andern Morgen erschien Idaios als Herold vor den Griechen und meldete das

       Anerbieten des Paris und den Vorschlag des Königes. Als die Helden der Danaer solches hörten,

       blieben alle lange stumm. Endlich begann Diomedes: »Laßt euch doch nicht einfallen, ihr Griechen,

       die Schätze anzunehmen; auch nicht, wenn ihr Helena dazubekämet. Der Einfältigste wird ja wohl

       hieraus erkennen, daß die Trojaner bereits mit dem Untergang bedroht sind!« Diesem Worte

       jauchzten die Fürsten alle Beifall zu, und Agamemnon sprach jetzt zu dem Herolde: »Du hast selbst

       den Bescheid der Griechen, was den Vorschlag des Paris betrifft, vernommen; die Verbrennung der

       Toten aber soll euch keineswegs verweigert sein; der Donnerer selbst soll diese unsere Zusage

       hören!« Mit diesen Worten hub er den Zepter gen Himmel. Idaios kehrte nach Troja zurück und traf

       den Rat der Trojaner wieder versammelt. Auf die willkommene Botschaft wurde es schnell in der

       Stadt lebendig; die einen holten die Leichname, die andern Holz aus der Waldung. Und ganz dasselbe

       geschah im Schiffslager der Griechen. Friedlich begegneten im Strahl der Morgensonne Feinde den

       Feinden und suchten ihre Toten, einer an der Seite des andern. Schwer war der Gegner vom Freunde

       zu erkennen, wie die Leichname blutig und der Rüstungen beraubt dalagen. Unter heißen Tränen

       wuschen die Trojaner den ihrigen, deren viel mehr waren, das Blut von den Gliedern, aber alle laute

       Wehklage verbot Priamos. So huben sie sie verstummt auf die Wagen und türmten unter großer

       Herzensbetrübnis die Scheiterhaufen auf. Dasselbe taten die Griechen, gleichfalls mit traurigem

       Herzen; und als die Glut ausgelodert, kehrten sie zu ihren Schiffen zurück. Der Tag war über dieser

       Arbeit zu Ende gegangen, und das Abendmahl begann. Gerade zur rechten Zeit waren aus Lemnos

       von Euneos, dem Sohne Iasons und Hypsipyles, Lastschiffe mit einer Ladung edlen Weines

       angekommen, den der Gastfreund den verwandten Griechen zum Geschenke sandte, viel tausend

       Krüge. Da ward ein lieblicher Festschmaus gerüstet, und als die Griechen ihre Beute bei den Schiffen

       untergebracht, setzten sie sich zum Mahle.

       Auch die Trojaner wollten sich beim Schmause von der Schlacht erholen. Aber Zeus ließ ihnen keine

       Ruhe und schreckte sie die ganze Nacht hindurch mit Donnerschlägen, die sich von Zeit zu Zeit

       wiederholten und ihnen neues Unglück zu verkündigen schienen. Entsetzen faßte sie, und sie wagten

       den Becher nicht an den Mund zu führen, ohne dem zürnenden Göttervater ein Trankopfer

       auszugießen.

       Sieg der Trojaner

       Für den Augenblick jedoch hatte es Zeus anders in seinem Rate beschlossen. »Höret mein Wort«,

       sprach er zu den versammelten Göttern und Göttinnen am andern Morgen, »wer mir heute hingeht,

       den Trojanern oder den Griechen beizustehen, den fasse ich und schleudere ihn in den Abgrund des

       Tartaros unter das Erdreich, so tief hinab, als tief unter dem Himmel die Erde liegt; dann verschließe

       ich die eiserne Pforte, welche die eherne Schwelle der Unterwelt verwahrt, und der Missetäter

       kommt mir nicht mehr herauf. Und zweifelt ihr an meiner Allmacht, so versucht es: befestiget eine

       goldene Kette am Himmel, hängt euch alle daran und sehet zu, ob ihr mich auf den Erdboden

       herabzuziehen vermögend seid. Vielmehr würde ich euch selbst mitsamt Erd und Meer emporziehen,

       die Kette an der Felsenkuppe des Olymp festbinden und so das Weltall in der Schwebe tragen.« Die

       Götter demütigten sich unter dieses zornige Wort; Zeus selbst bestieg seinen Donnerwagen und fuhr

       nach dem Ida, wo er einen Hain und Altar hatte. Dort setzte er sich auf die Höhe und überschaute mit

       freudigem Trotze die Stadt der Trojaner und das griechische Schiffslager. An beiden Orten warfen

       sich die Männer in die Rüstung. Der Trojaner waren zwar weniger, doch waren auch sie nach der

       Schlacht begierig, galt es ja den Kampf für ihre Weiber und Kinder. Bald öffneten sich bei ihnen die

       Tore, und ihr Kriegsheer stürzte, zu Fuß und zu Wagen, unter Getümmel heraus. Den Morgen über

       wurde mit gleichem Glücke gekämpft, und auf beiden Seiten strömte viel Blut auf den Boden. Als

       aber die Sonne hoch am Mittagshimmel stand, legte Zeus zwei Todeslose in seine goldene Waage,

       faßte sie in der Mitte und wog in der Luft. Da sank das Verhängnis der Griechen, daß ihr Gewicht sich

       bis zur Erde niedersenkte und das der Trojaner zum Himmel emporstieg.

       Mit einem Donnerschlage kündigte er die verwandelte Schickung dem Heere der Griechen an, indem

       ein Blitzstrahl mitten unter dasselbe herabfuhr. Bei diesem Anblicke durchschauderte ein

       ahnungsvoller Schrecken die Reihen der Griechen, und die größten Helden fingen an zu wanken.

       Idomeneus, Agamemnon, die beiden Ajax selbst hielten nicht mehr stand. Bald war nur noch der

       greise Nestor im Vorderkampf zu schauen, aber auch dieser nur gezwungen; denn Paris hatte sein

       Roß vorn am Mähnenbusch mit einem Pfeile tödlich getroffen. Das Pferd bäumte sich angstvoll und

       wälzte sich bald mit seiner Wunde; während nun Nestor dem Nebenroß die Stränge mit seinem

       Schwert abzuhauen bemüht war, kam Hektor mit seinem Wagen, in der Verfolgung der Griechen

       begriffen, auf ihn zugefahren; und jetzt war es um das Leben des edlen Greises geschehen, wenn

       nicht Diomedes herbeigeeilt wäre. Dieser schalt den mit umgewandtem Rücken den Schiffen

       zufliehenden Odysseus und ermunterte ihn vergebens zur Abwehr; dann stellte er sich selbst vor die

       Rosse Nestors, überantwortete sie dem Sthenelos und Eurymedon und nahm den Greis auf seinen

       eigenen Wagen. Hierauf ging er mit ihm gerade dem Hektor entgegen, schickte seinen Speer ab und

       verfehlte zwar den Helden selbst, durchschoß jedoch seinem Wagenlenker Eniopeus die Brust, daß er

       dem Wagen entsank. So tief ihn der Tod des Freundes schmerzte, ließ ihn Hektor doch liegen, rief

       einen andern Helden herbei, die Rosse zu lenken, und flog dem Diomedes entgegen. Hektor wäre

       verloren gewesen, wenn er sich mit dem Tydiden gemessen hätte, und der Göttervater wußte wohl,

       daß mit seinem Sturze sich die Schlacht gewendet und die Griechen noch an diesem Tage Ilion

       erobert hätten.


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