Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab

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Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil - Gustav  Schwab


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aus dem erbitterten Streit als Sieger hervorgeht.« Nun bezeichnete sich jeder selbst ein Los; alle

       zusammen wurden in den Helm Agamemnons geworfen; das Volk betete; Nestor schüttelte den

       Helm, und heraus sprang das Los des Telamonssohnes Ajax. Ein Herold zeigte dasselbe

       herumwandelnd den acht Helden vor Ajax, aber keiner erkannte es, bis die Reihe an den kam, der es

       sich selbst bezeichnet hatte. Freudig warf Ajax das Los vor die Füße und rief. »Freunde, wahrlich, es

       ist meines, und mein Herz ist froh, denn ich hoffe, über Hektor zu siegen. Ihr alle betet in der Stille

       oder laut, während ich mich rüste.« Das Volk gehorchte ihm, und bald stürmte Ajax, den riesigen Leib

       in blinkende Erzwaffen gehüllt, zum Kampfe vor, dem ungeheuren Kriegsgott selber ähnlich. Ein

       Lächeln flog über sein finsterernstes Antlitz, wie er mächtigen Schrittes, die gewaltige Lanze

       schwingend, einherwandelte. Alle Danaer freuten sich ringsum seines Anblicks, und Schrecken

       durchschauderte die Schlachtreihen der Trojaner. Ja dem gewaltigen Hektor selbst fing sein Herz im

       Busen an zu schlagen, aber er konnte nicht mehr ins Gewühl seiner Scharen zurückfliehen, hatte er

       doch selbst den Zweikampf gefordert.

       Ajax näherte sich ihm, den ehernen siebenhäutigen Schild vortragend, den der berühmte Künstler

       Tychios ihm einst gefertigt. Als er ganz nahe vor Hektor stand, sprach er drohend: »Hektor, nun

       erkennst du, daß es im Danaervolk auch außer dem löwenherzigen Peliden noch Helden gibt, und

       zwar ihrer genug. Wohlan denn, beginne den blutigen Kampf!« Ihm antwortete Hektor:

       »Göttergleicher Sohn des Telamon, versuche mich nicht wie ein schwaches Kind oder ein

       unkriegerisches Weib. Sind mir doch die Männerschlachten wohlbekannt; ich weiß den Stierschild

       rechts und links hinzuwenden, weiß den Tanz des schrecklichen Kriegsgotts zu Fuße zu tanzen und

       die Rosse im Gewühl zu lenken! Wohlan, nicht mit heimlicher List sende ich den Speer nach dir,

       tapferer Held, nein, öffentlich: laß sehen, ob er dich treffe!« Mit diesen Worten entsandte er in

       hohem Schwung die Lanze, und sie fuhr dem Ajax in den Schild, durchdrang sechs Schichten und

       ermattete erst in der siebenten Haut. Jetzt flog die Lanze des Telamoniers durch die Luft: diese

       durchschmetterte dem Hektor den ganzen Schild, durchschnitt seinen Leibrock und würde ihm in die

       Weiche gedrungen sein, wenn nicht Hektor ihrem Fluge ausgebogen wäre. Beide zogen die Speere

       aus den Waffen und rannten wie unverwüstliche Waldeber aufs neue gegeneinander an. Hektor

       zielte, mit dem Speere stoßend, dem Ajax auf die Mitte des Schilds; aber seine Lanzenspitze bog sich

       und durchbrach das Erz nicht. Ajax hingegen durchbohrte mit dem Speere den Schild seines Gegners

       und streifte ihm selbst den Hals, daß ihm schwarzes Blut entspritzte. Nun wich Hektor wohl ein wenig

       rückwärts, seine nervige Rechte ergriff jedoch einen Feldstein und traf damit die Schildbuckel des

       Feindes, daß das Erz erdröhnte. Ajax aber hub einen noch viel größeren Stein vom Boden auf und

       sandte ihn mit solchem Schwunge dem Hektor zu, daß er den Schild einwärts brach und den Gegner

       am Knie verletzte, so daß derselbe rücklings hinsank; doch verlor er den Schild nicht aus den Händen,

       und Apollo, der ihm unsichtbar zur Seite stand, richtete ihn schnell vom Boden wieder auf. Beide

       wären jetzt mit dem Schwert aufeinander losgegangen, um den Streit endlich zu entscheiden: da

       eilten die Herolde der beiden Völker, Idaios, der Troer, Talthybios, der Grieche, herbei und streckten

       die Stäbe zwischen die Kämpfenden. »Nicht weiter gekämpft, ihr Kinder«, rief Idaios, »ihr seid ja

       beide tapfer, beide von Zeus geliebt; wir alle haben das gesehen! Jetzt aber kommt die Nacht herbei,

       gehorchet der Nacht.« »Ermahne du deinen eignen Volksgenossen!« entgegnete dem Herold Ajax,

       »er ist es ja, der den Tapfersten der Griechen zum Kampfe hervorgerufen hat! Will er es so, so mag

       ich dir gehorchen!«Und nun sprach Hektor selbst zu seinem Gegner: »Ajax, ein Gott hat dir den

       gewaltigen Leib, die Kraft und die Speerkunde verliehen: doch laß uns heute vom

       Entscheidungskampfe ausruhen; ein andermal wollen wir ihn erneuern und so lange fechten, bis ein

       Gott einem von beiden Völkern Sieg und Kriegsruhm verleiht! Nun laß uns aber auch noch einander

       rühmliche Gaben schenken, damit es einst bei Trojanern und Griechen heiße: sehet, sie kämpften

       miteinander den Kampf der Zwietracht, aber in Freundschaft sind sie voneinander geschieden!« So

       sprach Hektor und reichte dem Gegner sein Schwert mit dem silbernen Griff samt Scheide und

       zierlichem Wehrgehenk. Ajax aber löste seinen purpurnen Gurt vom Leibe und bot ihn dem Hektor

       dar. Dann schieden beide voneinander. Ajax zog sich in die Schar der Griechen zurück, Hektor ins

       Gewühl der Trojaner. Diese waren froh, ihren Helden unverletzt aus den Händen des furchtbaren

       Ajax zurückzuerhalten.

       Waffenstillstand

       Die Fürsten der Danaer versammelten sich jetzt in dem Gezelte ihres Oberfeldherrn Agamemnon,

       wohin sie auch den seines Sieges sich hocherfreuenden Ajax jubelnd geführt hatten. Hier wurde dem

       Zeus ein fünfjähriger fetter Stier geopfert und beim Schmause der Sieger mit dem besten

       Rückenstücke geehrt. Als sie sich an Speise und Trank gesättiget, eröffnete Nestor den Rat der

       Fürsten mit dem Vorschlage, am andern Morgen den Krieg ruhen zu lassen und nach Abschluß eines

       Waffenstillstandes die Leichname der gefallenen Danaer auf Wagen, mit Rindern und Maultieren

       bespannt, abzuholen und abseits von den Schiffen zu verbrennen, damit, wenn sie wieder zum

       Vaterlande heimzögen, ein jeder den Kindern seiner Verwandten den Staub der Ihrigen mitbringen

       könnte. Die Könige riefen ihm ringsumher Beifall.

      Kapitel 5

      Auf der andern Seite kamen auch die Trojaner auf ihrer Burg, vor dem Palaste des Königes, nicht

       ohne Schmerz und Verwirrung über den Ausgang des Zweikampfes, zur Versammlung, und hier stand

       der weise Antenor auf und sprach: »Höret mein Wort, ihr Trojaner und Bundesgenossen. Solange wir

       treulos gegen den heiligen Vertrag, den Pandaros gebrochen hat, kämpfen, kann unserm Volke keine

       Wohlfahrt blühen; deswegen berge ich meines Herzens Meinung und meinen Rat nicht, daß wir die

       Argiverin Helena mitsamt ihren Schätzen den Atriden ausliefern sollten.« Dagegen erhub sich Paris

       und erwiderte: »Wenn du im Ernste so geredet hast, Antenor, so haben dir wahrhaftig die Götter

       deinen Verstand geraubt; ich aber bekenne geradeheraus, daß ich das Weib nie wieder hergeben

       werde. Die Schätze, die ich aus Argos mitgeführt, mögen sie meinethalben wiederhaben; und ich will

       freiwillig von dem


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