Kopfsprung ins Leben. Marc Lindner
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Marc Lindner
Kopfsprung ins Leben
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Die hellen Marmorplatten blendeten in der grellen Nachmittagssonne. Mit zusammengekniffenen Augen ließ ich meinen Blick über die Terrasse gleiten. Kritisch überprüfte ich die Handtücher, die auf den Liegen lagen. Lässig lehnte ich am Rahmen der weit geöffneten Schiebetür. Während der Sommermonate gab diese meistens die gesamte Wohnzimmerbreite der frischen Meeresluft preis und verlieh dem Raum die Illusion gänzlich wandlos zu sein. Befriedigt stellte ich fest, dass die Getränkeboxen unter den kleinen Schirmen mit frischem Eis befüllt waren und jedem Geschmack die passende Erfrischung boten. Die neu angebrachten Unterwasserspots verliehen dem Wasser im Pool ein Tiefseeblau. Als sie den Pool in karibisches türkisgrün tauchten, bewegte für einen Augenblick ein Schmunzeln meine Lippen. Vater hielt es für etwas übertrieben, doch ich fand, es war sein Geld durchaus wert gewesen. Was nützte einem schließlich eine Ferienwohnung, wenn man nicht das Gefühl hatte, im Urlaub zu sein.
Zufrieden mit dem Anblick, stieß ich mich am Rahmen ab und ließ mich etwas widerwillig zu einem Rundgang bewegen. Die seit einer Woche unermüdlich drückende Frühlingssonne hatte mich bisher weitestgehend hin zu schattenreichen Plätzen geschmeichelt. An diesem Tag jedoch galt es, Gastgeberpflichten nachzukommen. Ich wollte mich selbst davon überzeugen, dass alles in meinem Sinne vorbereitet war. Schließlich feierte man nur einmal seinen Uniabschluss. BWL in 13 Semestern war eine Leistung, die gern gefeiert werden wollte.
Es war nicht meine erste Fete, aber die Erste, die ich in Eigenregie führte. Demgemäß detailbesessen war ich an die Aufgabe herangegangen und nahm die Herausforderung mit von mir ungekanntem Elan und Ernst an. Ich war der Nesthocker in unserer Familie. Selbst wenn ich in meiner Unistadt in einer WG gewohnt hatte und nur sporadisch zu Hause eingekehrt war, blieb der Eindruck an mir haften, als wäre es der angeborene Tatbestand des Letztgeborenen. Meine Zwillingsbrüder waren seit beinahe zehn Jahren in den Staaten tätig und meine Schwester hatte sich zur erfolgsverwöhnten Managerin hochgearbeitet und lebte seit nunmehr zwei Jahren in einem ständigen Jetlagzustand und gondelte in der Weltgeschichte herum, ohne dass irgendwer sagen konnte, wo sie Rast einlegte, geschweige denn, wo sie wohnte.
Den Pool umschreitend überprüfte ich das gleichmäßige Leuchten der hinter Milchglas versteckten Strahler, von denen keiner als solcher zu erraten war. Ein Atemzug kühlte überraschend meinen Nacken. Jemand war um eine Biegung getreten. Ich tat als habe ich ihn nicht bemerkt und starrte ungestört auf meine neue Errungenschaft. Ein bemessener aber eilig ausgeführter Schritt rückwärts brachte die Person in meinem Rücken auf Abstand. Wort- und bewegungslos blieb sie stehen und wartete darauf, dass ich den Weg freigab.
Ich genoss für einen Moment die Huldigung meiner gesellschaftlichen Stellung und trat wie beiläufig zur Seite und gab mich verwundert, mich nicht allein zu wissen.
Jane stand mit lächelndem Gesicht da und nickte dankbar, dass ich sie nicht weiter zur Tatenlosigkeit verdammte. Ihre schwarzen Hände und Arme waren überfüllt mit Bademänteln, die den Gästen zur Verfügung stehen sollten. Ich hatte Jane diese Party etwas kurzfristig angekündigt. Nicht, dass sie spontan gewesen wäre, ich hatte schlicht vergessen, es ihr zu sagen. Doch wie stets, so war sie auch diesmal nicht aus der Ruhe zu bringen und dachte selbst an Kleinigkeiten, die niemand ihr jemals aufgetragen hatte.
„Na Jane, glaubst du meine Freunde werden sich wohlfühlen?“ Meine heitere Laune färbte auf meinen Ton ab.
„Gewiss Sir.“ Damit wäre üblicherweise ihr Gespräch zu Ende gewesen. „Ich kenne keinen der so vorausschauend Parties plant wir ihr! Euer Vater ausgenommen, Sir.“ Jane strahlte mir entgegen. Nicht wenig war sie an meiner Erziehung mitverantwortlich und ihr „Sir“ war kaum mehr als ein Necken. Sie wusste, wie sehr mir ihre Komplimente schmeichelten. Ich war auch der Einzige, der so vertraut mit ihr reden konnte. Ich zweifelte gar, dass Vater ihren Namen überhaupt kannte. Nennen tat er sie stets „die Putze“ und entkräftete gleichsam jede Kritik, die ihre Daseinsberechtigung in Zweifel stellen wollte. Ein durchweg sozialer Zug. Direkt anreden tat er sie nie. Er befand, dass Personal sich dadurch auszeichnete, selbsttätig zu handeln und sich in einer Art Parallelwelt ohne jedwede Verbindung zu den Arbeitgebern zu bewegen.
„Danke. Wie immer hast du recht!“ Ich wollte mir nicht sagen lassen, mit meinen Komplimenten zu geizen.
Erneut nickte sie und strahlte mir unbeirrt freundlich entgegen. Sicheren Schritts trat sie an der Kante des Pools entlang und ließ einen großzügigen Meter zwischen uns unausgefüllt. Ihr massiger Leib, in eine schwarz-weiße Uniform gehüllt, entfernte sich in unnachahmlicher Geräuschlosigkeit. Ich blieb eine Weile stehen und sah Jane bei ihren geübten Handgriffen zu. Trotz der Hitze, die zugegebenermaßen meinen Verstand in Mitleidenschaft zog, war auf ihrer dunkelbraunen Haut nicht ein einziger Tropfen Schweiß zu erkennen. Daran, dass sich Zeichen von Erschöpfung bei ihr zeigten, war nicht zu denken. Und das, obwohl sie zu unmenschlichen Zeiten bereits auf den Beinen war.
Ich schüttelte den Kopf und schritt einen geschwungenen Pfad durch die gepflegte Gartenanlage und kam zurück in den Schatten, um den Rest des Weges unter den Arkaden längst des Hauses zurückzulegen. Ein weiter Platz mit weißem Kies warf das Sonnenlicht in alle Richtungen zurück. Obwohl das Eingangstor offen stand, parkten vier Autos draußen. Schwarz, gelb, rot und silbern funkelten sie aus dem Schatten hervor. Vater mochte es nicht, wenn Autos dem Haus die Show stahlen. Nicht selten waren seine Geschäftsfreunde, die er ab und an einzuladen pflegte, verwundert, wenn sie in der Auffahrt ihre Autos stehen lassen mussten und genötigt waren, den Anblick des Hauses zu genießen, während sie über den Vorhof schritten.
Genauso wenig schätzte es Vater, wenn die Lacke der Sonne ausgesetzt waren. Deshalb hatte er kurzerhand die meisten Bäume der Allee roden, und eine Überdachung errichten lassen. Als Ausgleich wurde diese von einer steuerfinanzierten Solaranlage bedeckt, und spendete seinem Porsche nachhaltigen Schatten.
Dass das Tor offen stand, würde ihn bei der drohenden Schar an Besuchern mehr als beunruhigen. Aber ich würde meinen Freunden eine solch erschwerte Anreise nicht zumuten. Steve würde mir die Abwechslung sicher danken, die ich ihm bot. Morgen durfte er dann den Kies ebnen und die Spuren der Reifen tilgen. Ohne dass