Kopfsprung ins Leben. Marc Lindner

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Kopfsprung ins Leben - Marc Lindner


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Um nachzudenken, wie Mutter immer scherzte. Also würde Steve Morgen den Rechen zur Hand nehmen und bis zum Sonnenuntergang nach der perfekten Anordnung der Kieselsteine trachten. Worüber er derweil nachdenken wollte, blieb mir schleierhaft. Sein Leben war ereignislos, und dank der Monotonie geordneter als ich es je von einem Leben für möglich gehalten hätte. Jedenfalls bevor ich ihm das erste Mal begegnet war.

      Alles war wie von mir gewünscht. Auch hier war mein Einschreiten also unnötig. Meine Armbanduhr verriet mir, dass es noch eine Stunde dauern würde, bevor mit den ersten Ankömmlingen zu rechnen war. Verlegen blieb ich stehen und rieb mir den Unterarm. Ich mochte dieses Warten gar nicht. Angestrengt dachte ich nach, ob ich mir noch etwas einfallen lassen könnte. Doch außer aufgestauter Hitze war in meinem Kopf nichts zu finden. Vielleicht sollte ich der Bar einen Testbesuch abstatten. Ein reflexartiges Nicken hieß den Vorschlag für gut und meine Beine kamen dem Befehl zuvor und trugen mich hinein. Die Klimaanlage, die üblicherweise für angenehme Kühle sorgte, ließ meinen schwitzenden Körper einen Moment lang frösteln, doch meine Haut erinnerte sich rasch, wie wohltuend diese Frische war. Ein Martiniglas rann zügig meine Kehle hinab und fand kaum Zeit meinen Gaumen zu benetzen. Frevel, dachte ich, und schimpfte stumm über meine Ungeduld.

      Ich fragte mich, wann ich bloß so erwachsen geworden war, dass ich mir so viele Gedanken machte. Wo war dieser unbekümmerte Student, der keine Party ausgelassen hatte? Ich sah mich schon so trocken wie meinen Vater werden. Ständig am Planen und derweil nichts Anderes im Sinn als Termine und Verpflichtungen. Unsinn, lachte ich dem Spiegel hinter der Bar entgegen, schließlich schmiss ich eine sinnlose Fete, die mit Geschäftssinn rein gar nichts gemein hatte. Mein Gegenüber hinter der Bar legte seine Stirn in Falten. Viele meiner Freunde waren Töchter und Söhne der Geschäfts­freunde meines Vaters. Wenn sie nicht zufrieden wären, würde selbst mein ernsthafter Vater mich rügen, obwohl er den Lärm der Jugend als geistlose Kinderei abtat und nur wenig Verständnis dafür aufbringen wollte. Doch selbst er hatte sich an den Einladungen beteiligt, ohne dass es mein Mitwissen oder das der Eingeladenen bedurft hätte. Das machten unsere Väter unter sich aus. Dass die Einladung zum Jugendtreff von den Sprösslingen dann nicht angenommen wurde, war sehr selten und nie ohne triftigen Grund. Es galt zu repräsentieren und die Neugier der Eltern zu stillen. So oder so ähnlich konnte man die Tätigkeit meiner Generation beschreiben. Zumindest dann, wenn man die Gelage in ein schönes Licht rücken wollte. Für uns gab es nur eines: Feiern und Spaß haben. Umso ausgefallener die Party umso besser. Dabei wurden die Statussymbole unserer Eltern zur Kulisse degradiert.

      Ich hob ein weiteres Glas an und bemerkte, als die Flüssigkeit meine Zunge berührte, dass ich mir diesmal Cognac eingeschenkt hatte. Verwundert über meine Wahl ließ ich mir diesmal Zeit, ihn zu genießen, und leerte das Glas in mehreren Zügen. Das Hobby meines Vaters, unsere Bars selbst mit Getränken zu bestücken, war dank seines guten Geschmacks eine Bereicherung. Mit dem letzten Schluck hob ich das Glas dem Spiegel entgegen und sprach einen kurzen Toast auf meinen Vater.

      Meine anfänglich heitere Laune kehrte zurück und ein Lachen verdrängte die ernste Stimmung, die mich zwischenzeitlich ergriffen hatte.

      Hinter mir klopfte es gegen eine Glasscheibe. Reflexartig rutschte das Glas hinter eine Flasche, bevor ich mich umdrehte und dabei möglich unerschrocken zu wirken versuchte.

      „Verzeihung“, meinte der Ankömmling und deutete mit einem leichten Kopfnicken eine Begrüßung an. Seine Kleidung verriet, warum er gekommen war. „Ihre Haushälterin meinte, ich sollte mich hier bei ihnen melden.“ Der Haushälterin war er sicher nicht begegnet. Die hatte heute ihren freien Tag, er musste Jane meinen, deren Auftreten so Manchen schon hatte glauben lassen, es mit der Haushälterin zu tun zu haben. Der Mann mit südländischer Färbung stand etwas unbeholfen an der offenen Glastür. „Sir?“

      Offenbar war er darüber verwundert nicht meinen Vater anzutreffen, dachte ich. Den Barkeeper kannte ich nicht. Sam, der üblicherweise unsere Getränke mixte, musste für Ersatz gesorgt haben – auch ihn hatte ich erst kurzfristig von diesem Abend in Kenntnis gesetzt. Ein Brummen entwich meiner Kehle. Es gefiel mir nicht, dass der Fremde mich nicht als Herr des Hauses erkannte. Ich stand auf, willens ihm durch meine Selbstsicherheit diese Meinung auszutreiben.

      „Wenn du magst, kannst du mir gleich einen Cocktail mixen.“ Ich lächelte ihm freundlich zu und mein ausgestreckter Arm deutete an, wie das, „wenn du magst“ zu verstehen war. Er näherte sich mir und ich schritt auf die Terrasse zu. Dass ich nicht direkt auf ihn zuhielt, verwirrte ihn noch mehr. Seine Schritte wurden unregelmäßig und zunehmend kleiner. Unvermittelt blieb ich stehen und reichte ihm meine Hand, die er dankbar schüttelte. Ich spürte, dass er ansetzen wollte, etwas zu sagen und kam ihm zuvor.

      „Etwas alkoholfreies zur Erfrischung, nicht zu süß.“

      Er nickte eifrig, und bevor er sich entsann, dass er etwas sagen wollte, war ich weiter geschritten. An der Terrasse angelangt blieb ich stehen und lehnte mich wie zuvor gegen die Wand. Ich hörte keine Schritte in meinem Rücken. Der Barkeeper musste unentschlossen stehen geblieben sein. Meinen Blick ließ ich auf dem Pool ruhen und musste schmunzeln. Dass ich so tat, als wäre es für mich alltäglich neue Angestellte einzuweisen, musste ihn beeindruckt haben. Ich stand eine Weile so da, bevor ich Schritte hörte, gefolgt von leisem Klirren.

      Wirklich kontrollieren musste ich den Neuen nicht. Sam würde keinen als Vertretung schicken, für den er nicht die Hand ins Feuer legen würde. Wer auch immer dieser Südländer war, er musste sein Handwerk verstehen.

      Mein Blick fuhr prüfend die Außenanlage entlang. Eine innere Genugtuung ergriff mich beim Anblick eines jeden Details, das meinen Anforderungen entsprach. Wenn Jane es geschafft hatte ihren Einfallsreichtum einmal mehr unter Beweis zu stellen, stahl sich mir gar ein Schmunzeln über die Lippen.

      Das Wasser vor mir änderte abermals seine Färbung. Leicht verärgert starrte ich auf die Oberfläche. Auch wenn mich diese Errungenschaft ungemindert erfreute, so durfte ich nicht zulassen, dass die Wirkung so leichtfertig verpuffte. Entschlossen diesem Problem die gebührende Dringlichkeit zu widmen, griff ich in die Hosentasche und zog mein Smartphone hervor. Wenige Fingerzuckungen später war die passende App geöffnet. Farbpaletten, Effekte und Wassertiefen ließen der Fantasie kaum Grenzen erscheinen. Kaum war meine Wahl bestätigt, änderte sich das Farbspiel zu einem kräftigen Marineblau. Die Änderungen deaktivierte ich bis nach Beginn der Dämmerung, während die Übergänge mit der Einstellung „fließend“ versehen wurden. Die Gäste sollten nicht bemerken, dass sich das Wasser änderte. Gedanken malten mir ein Grinsen ins Gesicht. Ich freute mich bereits auf die rätselnden, verwirrten Blicke, wenn sie unentschlossen waren, ob ihre Augen ihnen einen Streich spielten oder ob tatsächlich der Pool anders aussah, als noch Minuten zuvor.

      Die Vorstellung genießend, vernahm ich Schritte, die sich von hinten näherten. Der Barkeeper schritt in einem sanften Bogen an mir vorbei und blieb am Rande meines Blickfeldes stehen. Er trug ein Glas bei sich und seine Gestik bot es mir an, ohne es mir aber aufdringlich in die Hand drücken zu wollen. Als würde er den Ausblick genießen, hatte er den Kopf gen Garten gerichtet. Niemand der uns zusah, würde auf den Gedanken kommen, ich könnte ihn warten lassen.

      Ich tat als habe ich ihn eben erst bemerkt und blickte auf. Fast gleichzeitig vollendete er seine Geste und das Glas fand den Weg in meine Hand. Kein Zweifel, er tat lässig und war doch ungemindert aufmerksam.

      Ich ließ ihm nochmals Gelegenheit die Anlage zu genießen. Bevor ich das Glas anhob, begutachtete ich die Präsentation, die – wie zu erwarten – keinen Makel erkennen ließ. Ich prostete ihm zu und sprach somit das erste wortlose Kompliment aus. Er schimpfte den Eindruck Lügen, sein Blick wäre im Garten gewesen und erwiderte sogleich mit einem angedeuteten Nicken seinen Dank.

      Kleine Schlucke sollten zeigen, wie routiniert ich war, und dass Qualitätssicherung mir eine Herzensangelegenheit war. Herrlich, dachte ich und genoss das Bild, das ich von mir anfertigte. Dabei nutzte ich die Zeit und versuchte mich an die gestellten Anforderungen zu erinnern. Bevor mir jedoch dämmerte, was ich bestellt haben mochte, bestätigten mir Zunge und Gaumen, dass es ihnen zusagte, und verlangten, dass ich den Rest des Glases in einem Schluck leerte. Mit dem letzten Tropfen erinnerte ich mich an meine Bestellung und nickte zufrieden.

      „Meine


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