Kopfsprung ins Leben. Marc Lindner
Читать онлайн книгу.Jane wusste, dass die Zeit gekommen war, und hatte das Anwesen verlassen. Erst Morgen würde sie zurückkehren, zusammen mit Steve, und sich den Spuren des anbrechenden Abends annehmen.
Allerdings dauerte es noch einige Zeit, bevor die ersten Gäste den Hof entweihten. Keiner wollte seinen Eltern die Blöße geben, unter den Ersten zu sein und so zu zeigen, wie besessen sie waren, zu kommen. Vielmehr sollte ich mich geehrt fühlen, dass sie es trotz ihrer wenigen Zeit hatten einrichten können, zu erscheinen. So zumindest die Deutung des Etiketts, das mit der Ankunft der Gäste bereits in weiten Zügen seine Schuldigkeit getan hatte.
Natürlich wusste ich es besser. Meine Generation hatte einen Ausweg gefunden. Eine recht heitere Errungenschaft, die wie ich nun feststellen musste, auch eine Schattenseite besaß.
Geladen war für sieben Uhr. Aber selbst um acht wies der Kies keinen Streifen auf. Ich wollte das Beste aus der Situation machen und verzog mich in die Bar.
Emilio mixte mir unaufgefordert einen Cocktail. Sein Mitgefühl ärgerte mich, doch er bot mir keine Angriffsfläche, meine Wut los zu werden. Der Spiegel zeigte mir die unliebsame Wahrheit, allein zu sein. Emilio sprach kein Wort und blieb keinen Moment untätig. Er schien seine ganz eigenen Vorstellungen zu haben, wie er auf meine Gäste vorbereitet sein wollte.
Er fügte sich widerstandslos der Hausordnung und traf die nötigen Entscheidungen mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie all unsere Angestellten. Meine Anwesenheit war so sinnlos, wie meine Anweisungen. Alles funktionierte, alles lief wie geschmiert.
Der Spiegel prostete mir zu und so tat ich, was mir zu tun übrig blieb. Ich trank aus, stellte das Glas hin, beglich die Rechnung mit einem abwesenden Lächeln, gab gedankenlos ein Kompliment als Trinkgeld und stand auf, bevor Emilio mich durch eine weitere Aufmerksamkeit daran erinnern konnte, dass ich allein und nutzlos war.
Ein flüchtiger Blick Richtung Auffahrt reichte, um mich zu vergewissern, dass keiner gekommen war. Ich bezwang meine auflodernde Wut, fluchte lautlos und stieg die offene Treppe hoch. Wenigstens meine engsten Freunde hätten pünktlich sein können. Aber nein, auch sie wollten sich den Spaß nicht entgehen lassen, den so eine Aufwärmparty bot. Erst später würden sie dann alle gemeinsam im Autokorso meiner Einladung Folge leisten.
Ich ging in mein Studierzimmer, da ich von dort aus die Auffahrt im Blick hatte. Es war ein seltsames Gefühl hier zu stehen. Gelernt hatte ich hier nur selten, aber wenn, dann intensiv. Meist kurz vor den Klausuren hatte ich mich hierher verkrochen, um das aufzuholen, was ich während der Semester durch mangelnden Fleiß versäumt hatte. Herrlich, wie man durch geeignete Wortwahl alles in ein besseres Licht rücken konnte. Ich musste schmunzeln und ein wenig schwermütig dachte ich daran, dass meine Studienzeit nun vorbei war. Ab jetzt begann der Ernst des Lebens, wie Vater mir in letzter Zeit gehäuft androhte.
„Zum Teufel!“ Diesmal durfte ich laut fluchen. Emilio konnte mich nicht hören. Ich rieb mir kräftig über die Stirn, als könnte ich damit diese Gedanken vertreiben. Bis auf leichte Kopfschmerzen blieb es ergebnislos. Da fiel mir ein, dass noch etwas Konzentrationssaft im Kühlschrank in der Ecke stand. Das Bier war angenehm kühl und beruhigte mich ein wenig.
Ich zog meinen Sessel ans Fenster und sah hinunter zum Strand. Vollkommene Geräuschlosigkeit erfüllte meine Ohren, und doch war es mir, als könnte ich Partygetöse hören.
Schatten tanzten zur Musik. Dahinter saß ich als Spiegelbild und vervollständigte die Illusion, die mein Empfinden in Bilder kleidete. Eigentlich hätte ich genauso gut dahin gehen können, schließlich wusste ich, wo wir uns zu diesem Zwecke trafen.
Dieser Frevel ging natürlich nicht. Meine Verpflichtung zu repräsentieren hielt mich davon ab. Die erste Verpflichtung, wie zum Hohn, war wegen einer Party, deren Sinnlosigkeit wir mit reichlich Alkohol zu begießen beabsichtigten.
Das Bier war ausgetrunken, doch ich war zu faul, um mir eine neue Flasche zu holen. So blieb ich im Sessel und stierte auf den Hof, schwelgte in meiner melancholischen Stimmung und bedauerte mich selbst. Wenigsten brachte ich es fertig, mich nicht selbst zu foltern, in dem ich unablässig die Uhr nach ihrer Meinung fragte.
Von weit herangetragene Bässe schreckten mich auf. Gelegentliches Hupen verlangte in gewohnt ordinärer Weise nach Aufmerksamkeit. Meine Gäste kündeten an, mich endlich mit ihrem Besuch zu beehren. Einem feindlichen Angriff nicht unähnlich, erzwangen sie im Autokorso den von Villen überwucherten Berg. Die Bässe, abwechselnd von Häuserfronten und Felsüberhängen gedämpft, ertönten siegesgewiss. Sie ließen wenig Raum für Zweifel darüber, wem diese Insel gehörte.
Ein bitterer Geschmack drang mir die Kehle hoch. Ein unbewusstes Schlucken ließ mich meinen trockenen Gaumen wahrnehmen. Es lag eindeutig nicht an mangelndem Trinken. Vielmehr trug der Umstand warten zu müssen und die daraus folgende unterdrückte Wut daran die Hauptschuld. Ich gefiel mir in der Rolle des Hausherren. Als großzügiger Gastgeber auftreten zu können, erfüllte mich mit Genugtuung. Nicht aber die unleugbare Tatsache, dass ausnahmslos alle ein x-beliebiges Saufgelage abgehalten hatten, anstatt mit Zeiten auf meiner Feier zu erscheinen.
PS-starke Motoren jaulten auf und ließen auf Hochglanz poliertes blechernes Vermögen die Auffahrt erklimmen. Unnötiges Hupen begrüßte mich. Scheinbar unberührt schlenderte ich über den Kies. Staub wirbelte auf, als Einige ihre Fahrkünste mit gezogener Handbremse unter Beweis stellen wollten und doch daran scheiterten, vollendete Kreise im Kies zu hinterlassen. Vater hätte wohl einen Herzkasper erlitten doch mir zwang es lediglich ein süffisantes Grinsen ins Gesicht – ich konnte es besser. Die Spuren zu beseitigen hatte Steve schon so manchen Nachmittag gekostet.
„Hey!“ Irgendein aufgeblasener Kerl glaubte meine Aufmerksamkeit für sich beanspruchen zu dürfen. Er rief quer über den Hof, ohne dass ich ihn im Tumult ausmachen konnte oder wollte. Autotüren wurden zugeschlagen. Gejaule und geschriene Vokale verrieten, dass der Ansturm nun seinen Höhepunkt erfuhr.
„Ahoi“, grüßte ein fröhlich Angetrunkener in meine Richtung. Auch ihm wandte ich mich nicht zu und setzte meinen Rundgang über den Hof fort. Todesmutig bewegte ich mich zwischen anbrausenden Angebern, die in einer sündhaft teuren Blechlawine den Hof zuschütteten. Die ausgelassene Stimmung ließ meinen Unmut schwinden.
„Na“, nickte ich einem im Vorbeigehen zu.
„Recht heiß heute“, grölte er „gib es auch anständig was zu trinken?“ Ich zuckte mit den Schultern, als würde mich das nichts angehen. Er derweil reckte sein Haupt und ließ sich von zwei Mädchen anhimmeln als habe er mit seinem Wetterbericht der Wissenschaft soeben einen großen Dienst erwiesen.
„Hey“, begrüßte mich Sebastian, einer meiner etwas engeren Freunde. „Wusste gar nicht, dass so viele kommen würden.“
Auch für ihn blieb ich nicht stehen. „Ich auch nicht“, log ich und blickte mich verwundert um und kommentierte es mit einem weiteren Schulterzucken.
Der Anmut des Anwesens war verwirkt. Die Pracht des Hauses nur mehr Kulisse einer antanzenden Meute. Ich musste Vater Recht geben. Der Sinn seines Verbotes wurde schnell deutlich. Doch bei der Frevelbande konnte ich ohnehin nur Eindruck schinden, indem ich mich von allem unbeeindruckt zeigte. Diesem Umstand trug ich mit reichlich zur Show gestellter Gleichgültigkeit Rechnung. Als wäre ich zu einem abendlichen Rundgang heraus gekommen, nickte ich gelegentlich, grüßte sporadisch und erwiderte die derbsten Bemerkungen mit theatralischer Gelassenheit.
Es kostete mich Einiges an Überwindung, nicht lachen zu müssen. Meine engsten Freunde versuchten unter den anderen Gästen hervorzustechen, indem sie sich mit mir und dem Anwesen vertraut zeigten. Nachdem sie mich so feige im Stich gelassen hatten, strafte ich auch sie mit förmlicher Distanz. Eine Einladung, mir zu folgen, sprach ich nicht aus. Zu einer weiteren Demütigung war ich nicht bereit. Sie folgten mir auch so. Teils Neugier, teils die Getränke waren für einige Motivation genug. Andere versuchten sich zu profilieren, indem sie sich gleich wie zu Hause fühlten und freizügig Snacks austeilten und kühlgestellte Champagnerflaschen unbekümmert schüttelten und sich über umherfliegende Korken freuten, nur um dann dem Zwang zu erliegen, den aus der Flasche strömenden Inhalt mit dem Mund vor der Verschwendung zu bewahren. Es waren alles selbst ernannte