Kopfsprung ins Leben. Marc Lindner
Читать онлайн книгу.ablenken und vergeudeten Durst und Hunger in einem unbedachten Saufgelage. Erfahrene Gäste wussten, dass der Abend noch jung war. Sie hatten die Warm-up-Party genutzt, um ausreichend angeheitert durch anfänglichen Verzicht zu zeigen, dass das präsentierte Angebot für sie alltäglich war.
Ich vergeudete keine Kraft, die Unruhestifter zu mehr Benehmen zu bewegen. Ganz im Gegenteil. Sie erfüllten eine wichtige soziale Aufgabe. Wir erfahrenen Trinker feuerten sie gar an und vermochten uns durch unser gelegentliches Gelächter von ihnen abzugrenzen. Die Besten unter ihnen belohnten wir mit missbilligendem Kopfschütteln. Diesen Unterbrechungen folgten dann hinter vorgehaltener Hand geführte Gruppengespräche, die der engeren Bindung dienten. Herkunft und Vermögen des gefeierten Rüpels wurden mit Vermutungen und Gerüchten ermittelt. Dabei war dies selten vorrangig abwertend gemeint. Es galt vielmehr dem gesellschaftlichen Zweck, Neulinge kennen zu lernen. Nebenbei half es uns allen. Denn nur so könnten wir die unstillbare Neugierde unserer Eltern etwas lindern.
„Hey Theo“, grüßte mich Sebastian. Er hatte den Barkeeper bereits gefunden und winkte mir mit einem halb geleerten Cocktail zu. Ein geschickter Einsatz seines Ellbogens reichte ihm und schon war er in unserem elitären Kreis aufgenommen. Fritz, einer der Jüngeren, hatte zu viel Platz zwischen sich und mir gelassen. Deshalb musste dieser nun mit Sebastians Rücken vorlieb nehmen. Fritz war nicht bloß für sein Alter zu groß geraten. Er wollte eben Protest einlegen, doch Sebastian schaffte es, sich im richtigen Augenblick umzudrehen.
„Entschuldigung Fritzchen“, blickte Sebastian nach oben zu Fritz und würgte ihn so ab. Ungeniert wandte sich Sebastian gleich wieder mir zu. „Nicht schlecht dein Softmixer.“
Gelächter verwirrte Fritz. Unentschlossen blieb er stehen.
„Ja Theo, mir hat er doch glatt einen Früchtesaft gegeben, als ich um Erfrischung bat! Ist wohl ein Kindergeburtstag heute.“ Grölendes Gelächter entlohnte Max für seinen Auftritt.
„Nein, den Erwachsenen schenkt er auch Alkohol aus“, verteidigte mich Sarah. Sie hob ihr Glas und schenkte Max ein provokantes Grinsen. Sie hätte wohl jeden verteidigt, wenn sie damit Max ärgern konnte. Max ließ sich auch nicht lange bitten. Nachdem seine Drohgebärden einen Teil seines Saftes verschüttet hatten, drehte er sich um – wohl um seine Röte zu verbergen. „Dem werde ich was erzählen!“ Stampfend eilte er davon.
„Vergiss deinen Ausweis nicht!“, rief Sarah ihm hinterher.
Er wusste, dass er ihr nichts entgegnen konnte, was sie nicht gegen ihn verwenden würde und tat als hätte er es nicht gehört.
Was er nicht wusste, war, dass Sarah für ihn schwärmte. Und dies nicht einmal heimlich, denn es war für uns alle offensichtlich. Dieses Spektakel ging nun seit Wochen schon so. Auch deshalb war das Gelächter herzhaft laut, während Max von dannen zog.
Was Sarah an ihm fand, war weniger erkennbar, denn sobald sie den Mund öffnete, bekam er das Stottern oder brachte gleich gar kein Wort zustande. Nicht selten gar trieb sie ihn mit nur wenigen Sätzen in die Flucht. Trotz seines üblicherweise aufgeblähten Benehmens kam er nie dazu, sie zu beeindrucken.
Der überlange Fritz hatte einen taktischen Rückzug angetreten. Sebastians Eröffnungsgag war verflogen und so hatte er auch nichts mehr zu sagen. Er pflegte die Kunst des Dazwischenplatzens. An Diskussionen, die eine Satzlänge überschritten, zeigte er wenig Interesse.
Max kam zurück. In seinem Schlepptau folgte Emilio mit strahlendem Gesicht und beladenem Wägelchen, in dem er den wichtigsten Teil der Bar mit sich führte. Max dekorierte ungestüm den Tisch in unserer Nähe um. Nachdem der Nachbartisch die doppelte Beladung aufwies, klatschte Max zufrieden in die Hände und sprang auf den Tisch.
Ein gellender Pfiff ließ den Tumult am Schwimmbecken abebben. Max Bemühen verfehlte nicht die gewünschte Wirkung. Selbst Emilio schien die Initiative mit Freude abzuwarten und postierte sich geduldig und gut sichtbar daneben.
„Leute, kommt mal her!“ Max wusste die Aufmerksamkeit für sich und kostete es aus. „Ein wichtiges Ereignis will angekündigt werden.“
Emilio ließ einen Cocktailbecher in die Luft schwirren und fing ihn Sekunden später hinter seinem Rücken auf. Max Worte waren damit unnütz geworden. Dadurch wollte er sich seinen Auftritt aber nicht rauben lassen.
„Ich präsentiere euch den Meister der Flaschen, Emilio the Mixer.“ Zwei Shaker flogen in sich kreuzenden Bahnen nach oben.
„Der unerfreuliche Zwischenfall mit den Fruchtsäften war wohl ein fader Scherz unseres Gastgebers.“ Gelächter schalte über das Anwesen.
In meiner Tasche ballte sich eine Faust. Sebastian klopfte mir auf die Schulter und so stimmte ich widerwillig in das Lachen mit ein. Jeder Versuch einer Verteidigung wäre fatal gewesen.
„Dank meines Eingreifens sind alle unzumutbaren Getränke von der Karte gestrichen!“ Diesmal währte das Gelächter nicht solange. Emilio verlangte wortlos die Aufmerksamkeit für sich. Nicht nur für Angetrunkene war seine Showeinlage schwindelerregend. Max tat als wäre dieser frühe Übergang von ihm beabsichtigt gewesen und zeigte mit ausgestreckten Armen auf Emilio. Sein Nicken, mit dem er die Bühne übergeben wollte, wurde kaum mehr beachtet.
Die Feier nahm ihren Lauf. Die einzelnen Unterbrechungen folgten einem eigenen Rhythmus. Janes Vorbereitungen wurden gern genutzt und bald waren überall Bademantel zu finden. Die Ordnung schwand schneller als die Sonne sich zur Nacht senkte. Licht und Lärm vertrieben jede Müdigkeit. Meine Teilnahme am Geschehen war entbehrlich und so ertappte ich mich des Öfteren, dass ich ziellos über das Gelände schritt. Bald war jeder mir vorgestellt worden und die Fremden, deren Namen ich nun kennen könnte, fühlten sich gänzlich wie zu Hause.
Nicht selten empfahl ich mich gar rückwärts und ließ aufgescheuchte Pärchen ungestört. Von den Ruhmeshymnen, die ich mir heimlich erhofft hatte, war kein Ton zu hören. Man kannte sich und traf sich hier, weil es schlicht eine Gelegenheit war, uns selbst zu feiern. Jeder für sich und durch das Anwesen von den unwichtigen Leuten der Insel abgesondert.
„Ist toll hier“, stieß ich mit einem leidenschaftlichen und gleichermaßen unbegabten Sänger zusammen. Er schlang seine Arme um mich. Ich brummte und versuchte sie zu lösen.
„Weißt du ...“ Er blickte kurz in den Himmel und starrte mich dann an. „Weißt du ...“ Er war verwundert, dass ich ihn offenbar nicht in den Arm nehmen wollte. „Weißt du eigentlich welcher eingebildeter ...“ Trotz meines Bemühens ihn los zu werden, ließ er sich nicht beirren. Nur seinem Alkoholpegel musste er Tribut zollen und musste eine Pause einlegen, bevor er weitersprechen konnte.
„Weißt du, welchem eingebildeten Trottel wir die Party verdanken?“ Sein Atem stank fürchterlich. Er kippte vorn über und sein Gewicht lastete vollends auf mir. Unangemessene Gewalt wäre von Nöten gewesen, ihn nun von mir zu trennen. Sein Kinn lag auf meiner Schulter und sein Arm glitt mir unangenehm sanft den Rücken hinunter.
„Dem, der sich gerade an deine Freundin macht“, flüsterte ich ihm ins Ohr und bekam das ungute Gefühl mich übergeben zu müssen.
Ihn schienen die Worte weit mehr zu beeindrucken, als ich gehofft hatte. Er ließ von mir ab und richtete sich kurzzeitig auf. Er verlor aber schnell das Gleichgewicht und musste zwei Schritte nach hinten treten, um stehen zu bleiben. Erleichtert atmete ich auf und sog die saubere Luft genüsslich ein. Auf den Schreck genehmigte er sich einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Nachdem er die nächste Gleichgewichtsstörung ausbalanciert hatte, hob er die Flasche in meine Richtung.
„Ich habe eine Freundin?!“ Er lachte vergnügt auf. „Wieso sagt mir das denn keiner?“ Er wirkte als wollte er mich erneut in den Arm nehmen. Vorsichtshalber trat ich einen Schritt rückwärts. Unterdessen hatte er es sich anders überlegt und sich umgedreht. Seine Arme waren dabei reichlich beschäftigt, seinen Körper aufrecht zu halten.
„Trottel“, lachte er und schritt noch tiefer durch den Garten. „Trottel“, rief er voller Begeisterung. „Trottel mein Freund, zeig mir, wer meine Freundin ist.“ Er begann von Neuem, die Nacht mit seinem Gesang zu bestrafen.
Beruhigt