Kopfsprung ins Leben. Marc Lindner
Читать онлайн книгу.während viele der Flaschen brachen. Die Scherben lagen in einem weiten Kreis verteilt. Mit Alkohol beladener Dunst erhob sich und erweckte unerwünschte Geister in meinem Kopf.
Kleine Splitter glitzerten auf der Erde und mir war es, als wäre das Klirren immer noch zu hören. Die Welt kam nicht zur Ruhe. Überall war Lärm und Schmerz. Ich lag gegen die Wand gerollt auf der Erde. Als ich wieder zur Ruhe kam, horchte ich.
Doch Jane kam nicht nach mir sehen.
Eine Weile starrte ich die Treppe hoch. Dann zog ich mich an der Wand nach oben.
Jane war immer noch am Wischen. Die Stühle waren hochgestellt und der Boden glänzte feucht. Auch wenn sie es bemerkte, so reagierte sie nicht, als ich ihr bei der Arbeit zusah.
Ich konnte mich nicht entschließen etwas zu sagen und senkte den Blick. Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf, bevor ich glauben konnte, was ich dort sah. Vor meinen Füßen stand ein kleiner Handfeger samt Eimer und Schaufel.
Ich sah Jane nochmals an und gehorchte ihrem Befehl.
Auf allen Vieren rutschte ich über den Kellerboden und sammelte die Scherben auf.
Es war mühselig und nicht selten fand ich unter meinem Knie einen Splitter der mitrutschen wollte.
Mehrmals setzte ich mich auf den Hintern und musste resignierend feststellen, dass Jane das viel schneller und gründlicher tun würde.
So konnte das nicht weiter gehen. Nachdem die meisten Scherben eingesammelt waren, stand ich auf und fasste einen Entschluss. Diesmal würde Jane mich nicht aufhalten. Keiner würde mich aufhalten.
Den Eimer mit Scherben stellte ich direkt neben Jane ab.
„Hier bitte“, sagte ich und reichte ihr den Handfeger.
„Danke.“ Sie musterte mich von oben bis unten.
„Das hast du gut gemacht, mein Junge.“ Alles war wieder wie immer. Den Ton kannte ich gut. Sie war mir nicht mehr böse. Auch wenn ich mich sonst über das fragwürdige Kompliment geärgert hätte, freute ich mich diesmal.
„Jane?“
Sie hielt inne und wirkte etwas angespannt.
„Ich meinte das ernst.“
Sie wurde unruhig.
„Du hast mir nie von dir erzählt.“
„Du hast nie gefragt!“ Sie nahm ihren Wischmopp und ging nach draußen. Dort stellte sie ihn ab, weil sie merkte, dass sie andere Arbeit hatte liegen lassen.
„Hast du auch eine Familie?“
„Ja.“ Jane schüttelte den Kopf.
Ich kam mir so dumm vor. So hatte ich es eigentlich nicht fragen wollen.
„Ich meine da wo du herkommst.“
Jane flüchtete in die Gartenanlage und sammelte unter den Büschen noch die Überreste der Nacht ein.
Diesmal ließ ich sie nicht fort und lief ihr hinterher. Jane zügelte ihre Schritte als sie merkte, dass ich nicht nachließ.
Sie hob die Schultern.
„Jane?“
„Ja.“ Sie blickte mich nur kurz an. „Ja, hab ich.“
„Wo kommst du denn her?“
„Ich wohne auf dieser Insel!“ Sie blieb stehen und drehte sich suchend um.
„Dort.“ Sie zeigte vom Meer weg den Berg hinunter. „Dort unten. Du kannst es aber nicht sehen. Es liegt hinter dem Kaufhaus.“
Jane wollte, dass ich es sah. Sie wich mir nicht mehr aus und drängte mich, ihrem ausgestreckten Finger zu folgen. Ich hörte ihrer Beschreibung zu, auch wenn es mir unmöglich war, mich dort unten in dem Gewusel an Gebäuden wieder zu finden.
„Jane, sei mir nicht böse. Ich meine, wo du wirklich herkommst.“
Sie ließ ihren dunklen Arm resignierend fallen und sah mich an, als würde sie mich bitten die Frage zu vergessen.
Aber ich hielt ihrem Blick stand.
„Ein Dorf bei Yendi“, antwortete sie gepresst. Sie wollte nicht darüber sprechen.
Ich nickte gedankenversunken.
„Wo ist das?“
„Ghana.“ Sie legte ihre Stirn in Falten. „Westafrika.“ Mit einem Seitenblick auf mich ging sie weiter durch den Garten.
„Und bist du schon lange hier?“
„Länger als du lebst.“
Ich rechnete in meinem Kopf.
„27 Jahre.“
„31 und 4 Monate“, antwortete sie fast zeitgleich.
Ich verstand, was sie mir damit sagen wollte. Aber es war mir gleichgültig. Sie brauchte sich nicht zu rechtfertigen. Ich wollte wissen, wo sie herkam.
„Bitte erzähl mir, wie du hergekommen bist.“
„Das ist keine Geschichte zum Erzählen.“ Sie bückte sich und zog ein nasses Badetuch unter einer Hecke hervor und klopfte den Mulch ab.
„Bitte.“
Sie schwieg.
„Oder erzähl mir von Ghana.“
Mit finsterem Blick wollte sie mich zum Schweigen bringen. Das Lächeln auf meinem Gesicht schien sie dabei zu irritieren.
„Du hast keine Ahnung.“
Obwohl ich damit gerechnet hatte, traf es mich härter, als ich gedacht hätte.
Wieder zog sie davon. Als ich mich erholt hatte, folgte ich ihr und holte sie nach wenigen Schritten ein. Sie wusste sie würde mich nicht mehr loswerden. Schließlich kannte sie mich seit ich auf der Welt war.
„Warum?“, fragte sie und setzte sich auf eine niedrige Wand am Pool.
„Weil“, ich brauchte ein wenig bis ich die richtigen Worte fand. „Weil ich nichts von dir weiß.“
Sie setzte an, mir zu widersprechen. Sie rang mit sich selbst. Dann deutete sie neben sich. Sie gestand sich ein, dass ich wirklich nichts von ihr wusste.
„Was möchtest du denn wissen?“ Sie war es nicht gewohnt über sich zu sprechen.
Ich musste viele Fragen stellen um sie am Reden zu halten. Zunächst gab sie nur wortkarge Antworten, aber als sie merkte, dass ich mich interessierte, gab sie sich Mühe mir eine Vorstellung von ihrem bisherigen Leben zu geben.
Dabei ließ ich meinen Blick nicht von ihr. Sie sah größtenteils vor sich. Nach einer Weile glaubte ich, dass sie vergessen hatte, dass sie mit mir redete.
Dann plötzlich stand sie auf. Sie blieb kurz stehen, als wollte sie noch etwas sagen. Sie schwieg aber und ging fort. Ich war völlig verwirrt. Noch war ich in Gedanken von ihrer Erzählung gefangen. Hatte ich auf etwas falsch reagiert? Was hatte sie gesagt, dass sie nun ging? Oder was hatte sie nicht gesagt?
„Jane?“
Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht um. Sie war der Meinung, dass sie mir schon zu viel erzählt hatte. Ihr Rücken war verkrampft.
„Ich möchte dahin!“
Eine Sekunde geschah nichts.
Dann brach sie in Gelächter aus und wandte sich mir zu.
„Junge“, lachte sie und ging weiter und wischte sich die Tränen weg.
„Ich meine das ernst.“
„Sicher.“ Ihr Lachen wurde leiser.
„Jane?“
„Unsinn Junge, du hast keine Ahnung!“
„Und ich geh doch!“
Sie