Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke
Читать онлайн книгу.und Stiernackigkeit und betrachteten den Arsch von beiden Seiten. Es war eine Prozedur, die in eingefahrenen Gleisen lief und stets kritisch, wenn auch nicht selbstkritisch, überwacht wurde. So machten es ihm die anderen nach, bevor sie in den verschiedenen Etagen ausstiegen, sich in ihren Schreibtischstühlen niederließen, aus dem Südfenster in Richtung Pretoria blickten und die Kopfnickbewegung einschalteten. Die kleinen machten es den großen Ärschen nach, weil auch sie der größeren Arschkategorie der nächsten Etage angehören wollten, weil mit dem Aufstieg auf der Karriereleiter unweigerlich das höhere Gehalt verbunden war, mit dem sie ihren Frauen noch imponieren konnten. Die Etagierten brachten es zum Erfolg, wenn sie den Zustand der idealen Proportionalität erreicht hatten, jenen Idealzustand, in dem Häufigkeit und Dauer der pretorianischen Fensterblicke, die Ausdauer in der Kopfnickbewegung, die Breite der Stiernacken und die Ausmaße der Ärsche, bei den Damen kamen Busenumfänge und Wippweiten hinzu, der Etagenhöhe voll entsprachen. Die Schreiberlinge und Sekretärinnen mit der idealen Proportionalität befanden sich im harmonischen Schwebezustand, was bedeutete, dass sie aufgrund der idealen Übereinstimmung die geforderten Kriterien erfüllten und bereits unter der Decke zur nächsten Etage schwebten, die nun zum Greifen nahe war. Sie wussten aus den Erfahrungen ihrer Vorgänger und Vorausgeschwebten, dass es nun nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie befördert wurden. Da konnten es die meisten nicht abwarten, dass sie der Fahrstuhl eine Etage höher beförderte, womit ihnen gleichzeitig mehr Gelegenheit zur Selbstbespiegelung zustand. Je höher ein Schreibarsch fuhr, desto neidvoller beäugten ihn die Fahrstuhlmitfahrer, weil sie vor ihm wieder aussteigen mussten. Der Schreibarsch mit den idealen Proportionen wurde daher von den Mitärschen der jeweiligen Etage bewundert und als Vorbild genommen. Sie bescheinigten ihm, wenn auch mit Neid, das Idealbild eines Schreibarsches zu sein. Einer jungen Frau mit dem beneidenswerten hormonellen Status bescheinigten sie das Idealbild einer Sekretärin.
Was im Pyramidenbau noch angenehm auffiel, waren die Teeküchen, auf jeder Etage eine, die etagenaufwärts größer und voller eingerichtet waren. Die Wände der Teeküchen waren bis zur sechsten Etage weiß gestrichen und von der siebenten Etage aufwärts mit teuren Kacheln ausgelegt. In den Teeküchen auf den beiden obersten Etagen hingen großformatige Fotos von den Sambesi-Wasserfällen und mit Jagdszenen in der Kalahari, in Sambia und Tansania an den Wänden, auf denen auch die Chefs mit Freundesärschen neben erlegten Antilopen, Kudus und Büffeln abgebildet waren. Andere Fotos zeigten die Großärsche bei Fress- und Saufgelagen mit Feuer und Gespießtem, mit heruntergerutschten Hosen beim Durchqueren des Oranje und andere mit anders heruntergelassenen Hosen bei zweifelhaften Unternehmungen. Was an den Teeküchen auffiel, war, dass sie nach oben hin größer wurden, obwohl die Etagen, wie es sich für einen Pyramidenbau gehört, kleiner wurden. Je höher es mit den Etagen ging, desto größer wurden die Eisschränke. Ebenso nahm der Küchenluxus zu. Während die Wandregale in den Teeküchen der unteren Etagen mit ganz gewöhnlichen Tassen, von den einige bereits Sprünge hatten, voll gestellt waren, und nur eine alte Kaffeemaschine auf einem abgewetzten Tresen stand, wurden die Tassen auf den Wandregalen der Teeküchen in den höheren Etagen weniger, dafür aber größer und bunter. Auch die Kaffeemaschinen wurden, je höher es ging, moderner und vielseitiger, was Getränke wie türkischen Mokka und italienischen Cappuccino betraf. Auf den Regalen in den Teeküchen der Chefetagen standen neben verzierten Großtassen mit ausladenden Henkeln, durch die eine Kinderhand passte, Unmengen von Gläsern in allen Größen und Formen, die jeder Situation gerecht wurden. Der Besucher kam ins Staunen, als er auf den oberen Regalen eine Überfülle an Knabberzeug, Gebäck, Pralinen und Schokoladentafeln südafrikanischer, italienischer und belgischer Herkunft vorfand. Dann war er nicht mehr überrascht, durchsichtige Plastiktüten im obersten Regal zu erkennen, die mit getrocknetem Biltong gefüllt waren. Er nahm sich das Recht nicht heraus, den größten Eisschrank im Pyramidenbau, einen so großen hatte er noch nie gesehen, zu öffnen, um die gekühlten Getränke zu betrachten. Die Größe des Eisschrankes empfand er anmaßend, weil er die Notwendigkeit eines solchen Riesenkastens für eine kleine Etage nicht verstand. In den Chefetagen waren alkoholische Getränke offensichtlich zugelassen. Dafür sprachen die abgestellten Gläser neben der Spüle sowie die geleerten Bier-, Wein- und Whiskyflaschen in den Abfallkörben. „Kein Wunder“, schoss es dem nachdenklichen Beobachter bei der Ungleichheit der Teeküchen durch den Kopf, „dass die Ärsche und ihre Stiernacken von unten nach oben zunehmen.“ Was die Sitzmöglichkeiten betraf, so saß er in den beiden untersten Etagen auf einem Holzstuhl, als er darauf wartete, dass der Fehler in einem Vierzeilenschreiben bereinigt wurde. Eine noch jugendliche Dame in der Bodenetage hatte ihm das Warten auf dem Holzstuhl angeboten, während sie mit dem Papier verschwand. Er machte vom Warten reichlich Gebrauch und übte sich in Geduld. Eine Bemerkung, dass er in Eile war, hielt er in Anbetracht der lauten, kichernd-zwitschernden Geschwätzigkeit der Bodenärsche für nicht angebracht, wobei einige genüsslich in ihren Nasen rumpopelten, was er als ekelhaft empfand. Er sah ein, dass Worte aus dem Repertoire des guten Benehmens während der Dienstzeit fehl am Platze waren, da sie nur missverstanden würden und unnötige Gegenreaktionen bei den Ärschen ausgelöst hätten. Das wollte er vermeiden, um Strafaktionen aus dem Wege zu gehen. Es war leicht möglich, dass sie ihn noch länger warten ließen, oder ihm gegen besseres Wissen schlichtweg mitteilten, dass er an der falschen Stelle oder die Sachbearbeiterin auf Mutterschaftsurlaub war. Die junge Dame kam nach einer Stunde zurück und überreichte ihm das korrigierte Vierzeilenschreiben mit Unterschrift der vorgesetzten Sachbearbeiterin der höheren Etage und Stempel. Von der dritten bis zur sechsten Etage gab es dann gepolsterte Stühle, die bequemer waren und für die Mitteletagenärsche breitere Sitze hatten. Der Besucher konnte sich wie ein König fühlen, wenn er sich nach vorheriger Absprache in die bequemsten Polstersessel der beiden letzten Etagen setzte, die ganz oben mit Kuduleder überzogen waren. Dort wurde er von den Mogulärschen des Hauses, die keine Steigerung zuließen, wie ein hochrangiger Politiker, der die Schalthebel der Macht noch in den Händen hielt, empfangen und mit einem fleischigen Händedruck begrüßt. Dem Besucher gegenüber und an den Seiten ließen sich die machthellhörigen, gepuderten Drohnen in die Sessel fallen und füllten sie voll mit ihrer Arschigkeit aus. Die Unterredung über banale Themen fand in der Sprache der Buren statt, als wären sie dem Englischen abgeneigt. Es war ein großer Raum mit holzgetäfelten Wänden, in dem ein mächtiger Tisch von sechs Stühlen mit verschnörkelten Arm- und hohen Rückenlehnen vom Typ des pretorianischen Biedermeiers umstellt war. Die Sesselgruppe mit einem niedrigen Glastisch befand sich im Südteil des Raumes, also fensternah. Der groß porträtierte und eingerahmte Präsident mit dem unnachahmlichen pretorianischen Blick, dem ein Lächeln der Hoffnung wirklich nicht abzugewinnen war, schaute streng mit kalten Augen und gedankenvoll von Westen nach Osten. Sein Blick ließ nicht an einen Kompromiss denken. Zornesröte überschattete sein Gesicht. Eine Colouredschönheit von etwas über zwanzig, die sich ihrer geballten Proportionen bewusst war und ihnen den großzügigen Einblick gewährte, der den höchsten Anforderungen spielend gerecht wurde, brachte mit bezauberndem Charme und weichem Lächeln die Getränke, vom dampfenden Kaffee bis zur eisgekühlten Scotchflasche. Im zweiten Gang füllte sie die runde Glastischplatte mit Knabberzeug, Pralinen und Schokolade. Es wurde geknabbert, getrunken und mit der wichtigsten Miene über banale Dinge in Afrikaans gesprochen. Während der dritten Unterbrechung aus dem Anlass, die Gläser und Tassen nachzufüllen, ermunterte der Prinzipalarsch den Besucher in freundlich aufgeknöpfter Burenmanier, was nicht ganz ohne Stottern ging, ans Fenster zu treten und den Höhenblick über die Stadt und den weiten Südblick zu genießen. Der Besucher folgte der Aufforderung und hatte in der Tat ein weites, sonnendurchstrahltes Südpanorama vor sich, mit dem weiten Talbecken, das die Stadt aufnahm und sich weiter ausdehnte bis in die Ferne, wo im Westen das Hochland des Khomas war, das sich im Süden mit den Auas-Gebirgszügen traf, die weiter nach Osten zogen. Der pretorianische Blick war auch vom Besucher erwünscht, das bemerkte er an den Sätzen und Blicken, die ihn begleiteten. Doch blieb für ihn die Hochburg der Buren versteckt. Er sah auch davon ab, an die Gebäude zu denken, in denen sein Atem gehemmt und sein Wort abgeschnitten wurde; schlechte Erinnerungen sollten nicht noch geweckt werden. Er stand am höchsten Fenster der gläsernen Pyramidenwand und hatte sich in den Weiten des Sicht- und Unsichtbaren so sehr verloren, dass es ihm schwer fiel, das Fenster zu verlassen. Es drängte ihn nach draußen, dorthin, wo es keinen Krieg mehr gab. Er wollte eigentlich nicht mehr zu den Ärschen zurück und mit ihnen weiter zusammensitzen.
Das waren tagträumerische Bilder des Dr. Ferdinand am Montag der dritten