Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

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Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens - Helmut Lauschke


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passte, um sich auf Kosten der anderen zu bereichern. Diese opportunistisch gemeinen, widerlichen, gut gekleideten Schmarotzer hatten durch ihr Nie-genug-Kriegen zu viele Menschen ins Elend gestürzt und sie im Schlamm der Armut und dem Siechtum der Slums achtlos liegen lassen. Sie wussten es und machten weiter. Deshalb musste dieses Ausbeutungssystem frühkapitalistischer Herkunft erst einmal sterben, damit es danach (hoffentlich!) gesitteter zugehen konnte. Es würde schwer sein, sich zurechtzufinden, wenn es beim Recht nicht mehr mit unrechten Dingen zugehen darf. Im Denken und Handeln müssen ganz neue Wege gegangen werden. Da wird es für die Weißen nicht schmerzlos abgehen.

      Für den Buren gab es noch nie Zufälligkeiten. So etwas lehnte er von vornherein ab. Immer sprach er von Fleiß und Arbeit, auch dann, wenn er die Arbeiter auf seinen Farmen und Feldern schuften und schwitzen sah. Den Stock zur „Auf- und Übersicht“ hielt er in der Hand bereit. So waren es Fleiß und Willen, dass es die Buren zu solchem Wohlstand schafften, niemals aber war es der Zufall. Die Buren hielten die Macht bis auf den Tag fest und eisern in den Händen. So sollte es bleiben bis in alle Ewigkeit. Die anderen Weißen, für die Afrikaans die zweite Sprache, Englisch oder Portugiesisch dagegen die erste Sprache war, haben sich ihnen in derselben opportunistischen Weise angeschlossen, da auch sie erkannten, wie Wohlstand mit den geringsten Kosten zu schaffen war. Sie haben von den Buren gelernt, ihr Patentrezept übernommen und, wenn überhaupt, nur geringfügig modifiziert. So unterschied sich ihre Art von der burischen vielleicht durch eine etwas größere Toleranz den Schwarzen gegenüber, aufgrund einer offeneren Denkweise mit dem freieren kulturellen Hintergrund, der größeren intellektuellen Öffnung und einer liberalen Lebensphilosophie seit der Aufklärung, die dem engen calvinistischen Gehorsamsprinzip gegensätzlich war. Aber der Kern blieb derselbe. Auch diese Weißen lebten auf Kosten der Schwarzen, hatten sie niemals als gleichberechtigt erachtet, sie nie als Menschen eingestuft, denen die gleichen Menschenrechte zustanden wie ihnen selbst, weder bei der Erziehung und Bildung, noch beim Recht auf Arbeit und ein menschenwürdiges Zuhause. Der, dem das Recht, als Mensch geachtet zu werden, genommen wurde, musste sich damit abfinden, als billige Arbeitskraft sein Leben für die Weißen einzusetzen und zu verschleißen. Er musste sich von dem Gedanken befreien, dass es für ihn und seine Familie jemals ein Leben geben würde, in dem es Sicherheit und Chancen des Aufstiegs oder Aussichten auf eine lebenswerte Zukunft für seine Kinder gab. An einen bescheidenen Wohlstand sollte er erst gar nicht denken, das sollte er sich gleich und gründlich aus dem Kopf schlagen. Er war einfach nicht in diese Welt geboren, um so etwas erwarten zu können. Es entsprach nicht dem europäischen Denken, und auch nicht dem, was Weiße von nichtweißen Rassen erwarteten, als sie Afrika zwecks Kolonisierung 1884 in Berlin europäisch aufteilten. Dass dieser Verheerungsgeist sich tief in die Hirnwindungen der weißen Köpfe eingegraben hatte, konnte von daher nicht verwunderlich sein. Dass er aber die Köpfe im Machtstreben bis zum menschlichen Wahnsinn trieb und noch nach ihrem Ableben in den von Alzheimer geschrumpften Windungen neben anderweitigen Verkalkungen mikroskopisch nachweisbar war, das ging nun doch zu weit. So war die Macht-Parabel über Aufstieg und Fall des weißen Mannes ein Musterbeispiel für den Kreis, wo Bildung und politische Einbildung als zwei Punkte auf dem Kreisumfang wie verrückt hintereinander herjagen, sich nie berühren und in der ersten Differentialgleichung nach Leibniz zu einem Nichts verschwinden. Da war die Sprache der Vernunft in einer solchen Parabel erst einmal zu suchen, und wenn gefunden, neu zu sortieren. „Doch was hilft das den Schwarzen, die sich auf eine Ewigkeit ohne Hoffnung einzustellen haben?“, fragte Dr. Ferdinand.

      Die Sekretärin brachte den Zehnuhrtee kurz vor elf mit zwei Tassen und Zucker. Sie sagte, dass die Matrone wartet, die gebuchten Patienten nicht nach Windhoek transportiert werden konnten, da der Bus noch in der Werkstatt war, einer von zwei Sterilisatoren ausgefallen und die Eingangstür zum „Outpatient department“ aus den Angeln herausgebrochen war. Dr. Witthuhn nahm es gelassen zur Kenntnis, verließ seinen rollenden Drehstuhl, ging im Raum auf und ab, sah durch die Fenster auf die gegenüberliegende Station und betrachtete den alten, knorrigen Baum mit den dicken, langen Aststümpfen. Er sah in den strahlend blauen Himmel und schien mit seinen Gedanken irgendwo dort herumzuschwirren. Er ging zum Schreibtisch zurück, goss sich die Tasse voll Tee und rührte mit stoischem Gleichmut einen Löffel Zucker ein, während seine Skleren sich entröteten. Über eine Minute rührte er kreisförmig mit dem Löffel im Tee herum. Dr. Ferdinand dankte für die Einführung in die Geschichte der Buren, er war noch gefesselt von der lebendigen Darstellungsweise seines Freundes, die ihm eine plastische Vorstellung von der Situation gab. Er war beeindruckt und beklommen zugleich und erinnerte sich gut an ein Nachtgespräch vor etwa einer Woche, als er beim Meinungsaustausch über geschichtsphilosophische Ansichten den Namen Karl Marx und dessen Geburtsstadt Trier erwähnt hatte. Als er das erwähnte, hatte sein Freund Leon bereits vier „Guinness“-Dumpies intus. Da erstaunte ihn sein Erinnerungsvermögen. Mit wenigen Worten beim Tee erwähnte er diesen Herrn noch einmal, der auf Großplakaten mit Friedrich Engels aus Wuppertal tausendmal abgebildet war, von denen beide bärtig und kompromisslos dem europäischen Bürgertum mit Ablehnung ins Gesicht sahen. Vom Gesichtspunkt des Porträtmalers war Dr. Witthuhn von Karl Marx recht angetan, in dessen Gesicht er außer dem Rauschebart von der Fülle des Moses jüdische Merkmale zu sehen glaubte. In seinen Schriften kannte er sich dagegen so gut wie nicht aus, weil er in seiner Schulzeit weder mit Marx noch mit der marxistischen Lehre in Berührung gekommen war.

      Sie leerten die zweite Tasse Tee, als Dr. Witthuhn den Hörer abnahm und mit dem „Medical & Dental Council“ in Pretoria verbunden war. Frau van Vuuren teilte ihm mit, dass ein Schreiben mit der Arbeitserlaubnis für Dr. Ferdinand per Post an ihn unterwegs sei, und eine Kopie des Schreibens die „Administration for Ovambos“ in Ondangwa erhalten werde. Sie teilte mit, dass das Council die deutsche Facharztanerkennung nicht akzeptiert habe und Dr. Ferdinand als „Practitioner“ registriert wurde. Die Arbeitserlaubnis beschränke sich jedoch nur auf eine Tätigkeit als „Medical officer“ am Oshakati Hospital. Jede ärztliche Tätigkeit außerhalb des Hospitals sei daher unerlaubt. Dr. Witthuhn legte den Hörer auf. Dr. Ferdinand ahnte auf dem Gesicht eines „gezähmten Ochsen“, dessen Augen trocken blieben und eher ein Gelähmtsein ausdrückten als Freude versprachen, dass Dr. Witthuhn mit dem Ausgang des Gespräches nicht glücklich war. Sein Lächeln scheiterte mit einer Grimasse, deren blitzartige Komik zum Lachen gewesen wäre, aber nicht war, so gut sein Versuch des Ausgleichs und der Beruhigung auch gemeint war. Mit ernstem Gesicht sagte er schließlich: „Nun haben wir sie endlich.“ Da er aufgrund seiner Erfahrungen mit der Nichtanerkennung eines deutschen Facharztzertifikats und der beschränkten Arbeitserlaubnis gerechnet hatte, widersprach dieses Telefonat seinen Erwartungen nicht. Doch eine echte Freude kam nicht auf, als er den Telefonhörer auflegte. Das mochte am anderen Ende der Leitung anders verstanden und dem Auftrag entsprechend quittiert worden sein, als eine dienstbeflissene Erledigung in einer nicht normalen und nicht bequemen Angelegenheit. Der Freund hatte in vertraulichen Gesprächen bereits zur Kenntnis gebracht, dass es der pretorianischen Politik gar nicht ins Konzept passte, wenn ein Zivilarzt im hohen Norden am Hospital arbeitete, wo der Entscheidungskampf um die Unabhängigkeit Namibias mit Härte ausgetragen wurde. Die Buren in den Sesseln der Macht sahen in jedem Zivilisten, der dort arbeitete, die Gefahr der Kollaboration mit der schwarzen Bevölkerung, die ihren anachronistischen Ansprüchen nach einem Status quo nur schaden konnte. Die Annahme war realistisch, dass die Sache „Dr. Ferdinand, Oshakati“ vom Misstrauen begleitet wurde und seine Akte nach dem geführten Telefonat einen handgeschriebenen Eintrag bekam, der diesem Misstrauen Rechnung trug und mit Stempel und Datum dort abgelegt wurde, wo die anderen Akten der Unerwünschten bereits lagen. Es entsprach den „regulations“, dass alle sachbezogenen Einwände der anderen Seite, die von Dringlichkeit sprach, was wirklich nicht übertrieben war, erfolglos bleiben mussten, da trotz aller Notwendigkeit die vorgelegten Dokumente mit den ins Englisch gebrachten und beglaubigten Übersetzungen als wertlos verworfen wurden. Jubelrufe und Schulterschlag waren nach dem Telefonat nicht angebracht. Dr. Witthuhn rollte mit dem Schreibtischstuhl hin und her. Er sagte: „Jetzt müssen wir deine Sache in Ondangwa voranbringen.“ Dr. Ferdinand nahm es gefasst zur Kenntnis, natürlich enttäuscht, dass ihm trotz der Notsituation im Norden unweit der angolanischen Grenze und seiner langjährigen Tätigkeit als Chirurg in Deutschland die gebotene Anerkennung durch das Council verweigert wurde. Das ernste Gesicht von Dr. Witthuhn entsprach dem Ernst der Lage. Dr. Ferdinand akzeptierte voll, dass der Freund, Arzt und Superintendent sich in den Mühlen der Bestimmungen


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