Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

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Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens - Helmut Lauschke


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um das zu können, was von uns in elementarster Weise gefordert wird, müssen wir uns auch verstehen. Ich meine, das gegenseitige Verständnis darf dort nicht aufhören, wo die Sprache der Lippen sich von einer anderen unterscheidet. Diese Sprachgrenzen müssen wir mit dem tieferen Verständnis, das in jedem von uns ist, durchstoßen, dann sind die Voraussetzungen gegeben, ein wirkliches und starkes Team zu bilden.“ Es war eine Ansprache der Matrone, die durchblickte und ein wesentliches Integral formulierte, das an die Herzen aller ging, dachte Dr. Ferdinand. Diese Rede hatte Gewicht, sie forderte zum Denken über das Wesentliche auf. Bedrückendes Schweigen lag im Raum. Alle hatten ihre Gesichter gesenkt, nur Dr. Witthuhn sah mit seinen geröteten Skleren der Matrone geradewegs in die Augen. Auch er war von diesen Worten ergriffen und verharrte einige Minuten nachdenklich und sprachlos. Innerlich hatte Dr. Ferdinand überhaupt keine Bedenken dagegen, dass eine solche Ansprache an den Anfang einer jeden Morgenbesprechung gestellt werden sollte. Das hatte nun wirklich nichts mehr mit einem Wiederkäuen zu tun. Hier ging es um die Motivation, den Kern, um die Seele der Arbeit. Sie machte die Wichtigkeit deutlich, dass der Mensch über das, was er ist, und das, was er tut, aufrichtig nachzudenken hatte, um den Auftrag seines Hierseins zu verstehen und zu erfüllen, den Willen zu stärken, das Temperament zu zügeln, und die Fürsorge an den Menschen in Not und Elend in die Tat umzusetzen. Wenn das richtig verstanden und von allen beherzt in die Tat umgesetzt würde, so dachte Dr. Ferdinand weiter, dann wäre das der Beginn einer Menschheitszivilisation, wo es für Krieg keinen Raum mehr gäbe, für die Künste dagegen ungeahnte Möglichkeiten. Die aufrüttelnde Ansprache der weißen Matrone, die Antje P. hieß, von hagerer Gestalt war und ein blasses, markantes, fast kantiges Gesicht hatte, belegte die fundamentale Bedeutung, das Hospital in diesem Kriegsgebiet mit allen verfügbaren Kräften am Laufen zu halten, selbst wenn es in Anbetracht der miserablen Bedingungen bezüglich der Versorgung der Patienten und der hygienisch zum Himmel schreienden Zustände die Kriterien zur Schließung und zum Abriss erfüllte. Die Spannweite von der Theorie, was ein Krankenhaus alles haben musste, um reibungslos zu funktionieren, bis zur Praxis war groß. Es war die Notwendigkeit, die besagte, dass selbst ein Krankenhaus mit mittelalterlich ausgestatteten Krankensälen, den verstopften Toiletten und vielen anderen gravierenden sanitären Mängeln hier dringend erforderlich und noch nützlich war. Das sollte im Auge behalten werden, denn das war entscheidend. Es war die Situation des Krieges, weshalb man sich für das praktische Ende des Bogens dieser Spannweite zu entscheiden hatte, der die endlose Weite einer entblößten, von Wunden geprägten Wirklichkeit überspannte. Dr. Ferdinand war bei allem Für und Wider damit einverstanden. Es war ihm klar, dass das andere Ende des Bogens eine theoretische Betrachtungsweise war, die anhand der Erkenntnisse der modernen Medizintechnik ein modernes Krankenhaus beleuchtete, das es hier aber nicht gab. Es war ihm auch klar, dass eine solche theoretische Betrachtungsweise den Menschen hier nicht half, weil es wichtiger war, sie in dieser Not zu versorgen, und wenn es in einem Hospital mit so schwer wiegenden Mängeln war. Eine Alternative gab es nicht. Er war realistisch genug, um sich einzugestehen, dass sich an diesen Missständen in absehbarer Zeit nichts ändern würde. Das dritte und letzte Thema bezog sich auf die akuten Probleme des Patiententransportes nach Windhoek und zurück sowie die Beschaffung von Blutkonserven. Beides gehörte zusammen, weil der aus Windhoek abfahrende Bus nicht nur die Patienten zurückbrachte, die dort von Spezialisten der verschiedenen Fachbereiche behandelt wurden, sondern auch die Blutkonserven von der Blutbank brachte, soweit sie vorhanden waren und für das Hospital im Norden zur Verfügung gestellt wurden. Beides musste kombiniert werden, da es über eine große Entfernung ging und es an Fahrzeugen fehlte. Das Thema des Transports war von größter Wichtigkeit, da es die lebensrettenden Maßnahmen unmittelbar betraf. Aus Zeitgründen und wegen der großen Zahl von Patienten, die auf ihre Behandlung warteten, wurde es auf die nächste Besprechung verschoben.

      Der Raum hatte sich geleert, die Klimaanlage ratterte und tropfte, es war angenehm kühl, und die Luft war frischer als zu Beginn der Besprechung. Dr. Witthuhn saß hinter seinem Schreibtisch, nahm den Telefonhörer und versuchte den Mann der Administration in Ondangwa zu erreichen. Das Problem des permanenten Uringestanks auf dem Vorplatz musste endlich einmal gelöst werden. Er erreichte diesen Mann und fragte ihn nach dem Wasserschlauch. Ein längeres Gespräch war nötig, um zu erfahren, dass das Budget für das Hospital überzogen war und die bestellten Instrumente für die Operationssäle sowie die acht Betten für den chirurgischen Männersaal erst mit den Geldern aus dem nächsten Jahresbudget bezahlt werden können. Bezüglich des Wasserschlauches wurde ein Weg gefunden, hier war die Finanzierung durch einen Übertrag sichergestellt. Die Order war somit positiv entschieden und der Wasserschlauch von Windhoek angefordert. Dr. Witthuhn sagte nach dem Telefongespräch, dass auch dieser Herr von der Administration vom Ekelgefühl befallen wurde, als er vor einigen Tagen einen Patienten besuchte. „Wenn die Leute von der Administration es am eigenen Leibe spüren, dann passiert jedenfalls etwas“, meinte er lächelnd, dabei war es eine Binsenweisheit von globaler Bedeutung. Er sagte auch, dass er später das „Medical & Dental Council“ in Pretoria anrufen wolle, um sich nach dem Stand der Arbeitserlaubnis zu erkundigen. „Ich möchte mir mal die Bibliothek anschauen“, sagte Dr. Ferdinand, dem die eindringliche Rede der Matrone durch den Kopf ging. „Ich muss dir sagen“, sprach er weiter, während Dr. Witthuhn die Fächer der Schreibmappe durchsah und die eingelegten Papiere vom vergangenen Freitag mit großen Schriftzügen unterschrieb, „die Rede der weißen Matrone hat mich beeindruckt, sie hat den Kern getroffen. Ich hoffe, dass ihre Worte sich positiv auswirken.“ Dr. Witthuhn lehnte sich zurück und blickte über die aufgestapelten Krankenmappen und Papiere hinweg, die kreuz und quer auf dem Schreibtisch herumlagen. Dann meinte er, dass das alles nicht so ging, wie es sich Dr. Ferdinand vorstellte. Da war das Militär, die meisten der hier arbeitenden Ärzte trugen Uniformen bei der Arbeit, was die Zivilbevölkerung ablehnte. „Die Menschen hier sind im hohen Grade verunsichert und verängstigt, wenn sie eine südafrikanische Uniform sehen, und diese Ablehnung geht bis zu den Schwestern und Pflegern auf den Stationen.“ Er selbst habe diese Bedenken sowohl dem ärztlichen Direktor, der selbst eine Offiziersuniform trage, als auch dem Sekretär der Bantu-Administration vorgetragen. Doch geändert hatte sich an dieser Situation nichts. Im Gegenteil, der ärztliche Direktor teilte ihm in einem schriftlichen Erlass mit, dass Offiziere und Soldaten, die hier ihren Dienst ableisteten, dem Befehl, ihre Uniformen zu tragen, Folge zu leisten hatten. Was hinter dem Erlass steckte, versuchte Dr. Witthuhn so zu erklären, dass es da ein psychologisches Moment gab. Die Militärführung war sich der ablehnenden Haltung der Zivilbevölkerung bewusst und registrierte mit Sorge die Zunahme dieser Haltung. Deshalb sollten die Militärärzte in ihren Uniformen im Hospital den Dienst versehen, um der Bevölkerung sichtbar zu machen, dass die südafrikanische Armee ihr helfe, und lediglich die „PLAN-fighter“ der SWAPO bekämpfe. Es gehörte zu ihrer Strategie, die friedliche Seite der Okkupationsmünze so sichtbar wie nur irgend möglich zu machen. „Das ist also die Politik mit Zuckerbrot und Peitsche“, meinte Dr. Ferdinand, „die Uniformen der Besatzungsmacht ins Hospital zu tragen.“ „Natürlich ist das Politik“, bejahte Dr. Witthuhn, „die Menschen haben das durchschaut, die sind doch nicht dumm. Sie haben ein feines Gespür für das, was abläuft, und misstrauen dem Militär wie den Weißen generell.“ Ernüchtert stellte Dr. Ferdinand fest: „Dann kann ein Teamgeist, wie ihn die Matrone beschwor, nie entstehen.“ „Das ist es eben“, sagte Dr. Witthuhn. „In einem Apartheidsystem ist ein solcher Geist von vornherein ausgeschlossen. Die Buren sind eine geschlossene Gesellschaft für sich, die in Zeiten wie dieser besonders eng zusammenhalten. Wenn es um die Einbeziehung der Schwarzen geht, lehnen sie sofort ab. Das ist die Burenmentalität, dass nur der Weiße herrschen kann, dem sich die Schwarzen zu fügen haben. So haben es die Buren von ihren Hugenotten-Vorvätern gelehrt bekommen, und genauso behalten sie es ohne Wenn und Aber bei. Es ist ein Dilemma, was die Politik, die in Pretoria gemacht wird, anrichtet.“ „Dabei ist hier wirklich Not am Mann“, sagte Dr. Ferdinand. So dokumentierte das Militär die Abhängigkeit der Bevölkerung von den weißen Ärzten in Uniform. Den Menschen sollte klar gemacht werden, dass ohne die weißen Südafrikaner im Lande nichts geht, auch nicht in der ärztlichen Versorgung. Dr. Ferdinand erkannte die Teufelsspirale mit der Ausweglosigkeit der Menschen hier. Diese Spirale wurde über Generationen sisyphusartig ausgearbeitet und war mit friedlichen Mitteln nicht aufzubrechen. Das Aufbrechen wurde versucht, aber es scheiterte an der Ohnmacht der Schwarzen, die es dann jedes Mal schlimmer zu spüren bekamen. In der Politik zählte die Macht, und die Macht war bei den Weißen.


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