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hielt seinen Kaffee schwarz. „Da sind wir noch einmal heil davongekommen“, resümierte Dr. Witthuhn das Granatenerlebnis der vergangenen Nacht. Beim Wort „heil“ lachte er und trank seine Tasse als Erster leer. „Das hat uns einen Schreck eingejagt und zwei ,Guinness’ gekostet“, fügte er hinzu. Aus seinen Worten war zu entnehmen, dass er diese Schreckreaktion von sich selbst nicht erwartet hatte, da es ja nicht der erste Granatenbeschuss gewesen war. Frau Laura meinte, dass der Granateneinschlag der letzten Nacht heftiger gewesen war als die vorherigen Einschläge. Diesmal hatten die Kinder große Angst gehabt und wollten nicht mehr in ihre Betten zurück, sie hatten sich an die Eltern angeklammert und waren dann schließlich mit ihnen eingeschlafen. „Für alle gab es keine gute Nacht“, ergänzte Herr C. mit einem sorgenvollen Gesicht, als Dr. Ferdinand an die gestörte Nachtruhe der schwarzen Menschen dachte und die Angstschreie der Kinder zu hören und die weinenden Gesichter der Mütter zu sehen glaubte. Von diesen Kindern und Müttern wurde nicht gesprochen. Bilder dieses Entsetzens reichten nicht bis zum weißen Bewusstsein, wo das Wort „alle“ sich auf die Weißen beschränkte, weil ihnen Angst und Schrecken der schwarzen Menschen nicht in die Köpfe ging, und so die Betrachtungsweise einseitig und weiß begrenzt blieb. Je länger darüber gesprochen wurde, umso schwärzer wurde die Bedrohung, die nach mehr Schutz für die Weißen verlangte, wobei an den Schutz schwarzer Menschen erst gar nicht gedacht wurde. Dr. Ferdinand hatte gut zugehört und sich dabei auch etwas gedacht.

      So stellte er die Frage, ob denn auch einmal an die vielen schwarzen Menschen und ihre Kinder gedacht wurde, die der Bedrohung nicht weniger ausgesetzt und völlig schutzlos seien. Sie hätten nicht weniger das Verlangen nach einer ruhigen Nacht und einem ruhigen Leben. „Solange wir diese Menschen aus unseren Gedanken ausschließen, denken wir ungleich und ungerecht. Da bleiben auch die Gebete der Weißen unvollständig. Der Frieden der Versöhnung bleibt dann aus.“ Das rundliche Gesicht des Herrn C. rötete sich stärker, während Dr. Witthuhn „Die Zauberflöte“ auflegte, nachdem er noch einmal kräftig über die Platte gepustet hatte und mit dem Bademantelzipfel darübergefahren war. Er stellte den Plattenspieler an, setzte den Tonarm auf die Platte, die Ouvertüre begann und wurde von den Quietschlauten der Nadel in den ausgefahrenen Rillen begleitet. Wie in der Nacht davor bekam er nach den ersten Takten strahlende Augen wie ein Geburtshelfer, der der Mutter ein gesundes Kind entbunden hat und ihr den kräftigen Sohn in die Arme legt. Herr C. setzte die Tasse auf die Glasplatte des Klubtisches zurück und war sichtlich mit seinen Gedanken zugange. Etwas stotternd versuchte er Dr. Ferdinand zu antworten und lehnte sich dabei zurück. „Haben Sie etwas Geduld“, sagte er, „auch Sie brauchen wie alle, die aus Europa kommen, mehr Zeit, um zu verstehen, wo die Probleme wirklich liegen. Ich bin von Ihrer Bemerkung nicht überrascht und weiß, dass wir Buren immer missverstanden werden. Doch so hat uns die Geschichte das Leben gelehrt.“ Dr. Ferdinand konnte den Sinn dieser Sätze nicht richtig verstehen, verkniff sich aber in Anbetracht der Zeit und weil es ein Sonntag der Entspannung und des nachzuholenden Schlafes sein sollte, noch einmal nachzuhaken. In Form einer höflichen Floskel räumte er bereitwillig ein, dass er mit dem Leben der Buren und ihrer Geschichte nicht vertraut sei und die Ursachen des getrennten Nebeneinanderlebens von Schwarzen und Weißen eher ahnen als wissen könne. Doch an dieser Tatsache, wo es völlig am Miteinander fehlt, käme wohl keiner vorbei. „Mir scheint“, fügte er hinzu, „soweit ich es beobachten konnte, dass die grundlegenden Dinge des Lebens mit zweierlei Maß gemessen werden, nur weil es da Unterschiede in der Hautfarbe gibt. Das kann ich als Christ mit dem Reformator Luther und meinem Gewissen nicht vereinbaren.“ Herr C. schien das gut verstanden zu haben. Das Blut in seinen Gesichtskapillaren hatte sich verlaufen, und die Röte blasste etwas ab. Er zündete sich eine Zigarette an und war damit einverstanden, dass Dr. Ferdinand seine Lektion über die Buren und ihre Geschichte noch lernen wollte. Dr. Witthuhn erzählte dann ausführlicher aus Dr. Ferdinands Leben und scheute sich vor Übertreibungen nicht, als er von seinen chirurgischen Leistungen und Erfahrungen sprach. Schließlich räumte er ein, dass er nun schon zwei Wochen auf die Arbeitserlaubnis aus Pretoria wartete. Herr C. nahm seine Worte positiv auf. Sie verabschiedeten sich, wobei Herr C. seiner Hoffnung Ausdruck gab, dass die Arbeitserlaubnis bald eintreffen möge. Er sicherte Dr. Ferdinand seine Unterstützung zu. Die Familie C. verließ das Haus, schritt in Gänsemarschformation zum Toyota-Kleinbus vom Typ Hiace, winkte aus den Fenstern und fuhr davon. Die „Zauberflöte“ war noch nicht beendet. Die Kollegenfreunde setzten sich gegenüber. Dr. Witthuhn begleitete die Arien teils brummend, teils singend, meist eine Oktave tiefer und goss den restlichen Kaffee ein. Dr. Ferdinand schwieg mit der Zigarette zwischen den Fingern, während er sich einer tagträumerischen Exkursion von Planet zu Planet anvertraute und dabei die aufsteigenden Rauchschwaden verfolgte, die sich an der Zimmerdecke brachen. „Lass uns mal sehen, wo die Granaten eingeschlagen haben“, sagte Dr. Witthuhn, eine Bemerkung, die den Bezug zur Realität unterstrich, „doch erst nehme ich ein Bad.“ Mitsingend erhob er sich von der Couch, machte Zwischenstation auf der Toilette, wo der Gesang fortgesetzt und von synkopischen bis taktlosen kontrabasstiefen, stakkatohaften Analgeräuschen begleitet wurde, die eine erfolgreiche Verdauung mit derart kräftigen Donnerschlägen verkündeten, dass das Türschloss quietschte. Dann verschwand er für eine Stunde, um sein Bad zu nehmen, das er der Länge nach genoss. Dr. Ferdinand legte die „Symphonie phantastique“ auf, pustete nach Kräften die Plattenrillen frei und setzte behutsam die Nadel auf. Was für eine Gabe, die Gefühle so reich auszudrücken, merkte er für sich an und erinnerte sich, wie er seinem Vater nach überstandenem Abitur den Wunsch vortrug, sein weiteres Leben mit der Musik, mit Geige und Klavier zu verbringen. Er erinnerte sich auch an dessen heftige Reaktion mit der erhobenen rechten Hand, als er diesen Wunsch mit der Bemerkung aus der Welt räumte, dass das völliger Blödsinn sei. „Du studierst Medizin, und damit basta!“, war seine ganze Begründung. In der Frage der Berufswahl ließ er sich in puncto Musik erst gar nicht auf ein Gespräch ein. Und das war es. Der Wunsch blieb unerfüllt und hatte eines widernatürlichen Todes zu sterben; das machte Dr. Ferdinand für lange Zeit traurig. Doch in seinem Denken, Fühlen und Träumen nahm die Musik einen großen Raum ein, und so blieb es bis auf den Tag. Er hörte mit innerer Anteilnahme, was Berlioz aus seinem Leben zu berichten hatte, wie er Freude gegen Leid, erfüllte gegen verlorene Liebe, Glück gegen Einsamkeit und Tod in der wunderbarsten der Sprachen ausdrückte und gegenüberstellte.

      Das Telefon klingelte. Dr. Ferdinand nahm den Hörer ab, und eine junge Frauenstimme verlangte Dr. Witthuhn zu sprechen. Da die Stunde Bad bis auf fünf Minuten erfüllt war, kam er bis zum Nabel in ein Badetuch gewickelt und führte ein langes Gespräch in deutscher Sprache, in dem das Wort „Liebling“ häufiger vorkam, das ihn jedes Mal dazu veranlasste, mit der linken Handpranke die Tropfen von der Stirn zu wischen. Im konventionellen Teil des Telefongesprächs berichtete er über den mitternächtlichen Granatenbeschuss und die Anwesenheit eines deutschen Arztes, der vorübergehend im Haus wohne. Dr. Witthuhn zeigte sich als guter Zuhörer, der diese Eigenschaft auskostete und das am anderen Ende Gesagte mit charmant vorgetragenen Komplimenten erwiderte, was die Vermutung einer intimen Beziehung nur bekräftigte. Das Gespräch war beendet, und die Freude strahlte aus seinem Gesicht. Da war das Glück im Spiel. Nach dem Telefonat ging er nicht zurück ins Bad, sondern zu den Platten, aus denen er „Figaros Hochzeit“ herauszog und auflegte. „Jetzt öffnen wir eine Flasche Wein!“ Er holte sie irgendwoher, stellte zwei Gläser auf den Tisch und öffnete den „Nederburg“, Jahrgang 1983. Er war in bester Laune und leerte ein volles Glas stehend mit dem Badetuch umwickelt. Die Arie des Figaro singend verschwand er aus dem Wohnraum, und mit derselben Arie kehrte er angekleidet zurück. Dr. Ferdinand blätterte im „Woordeboek“, denn sein Afrikaans war noch wackelig auf den Füßen, wenn er auch seine letzten zwei deutschen Wochen dazu benutzt hatte, sich in diese Mundartsprache einzulernen, deren Wurzeln ins Flämisch-Holländische gehen.

      Medizin inmitten des Krieges

      Das Telefon läutete das zweite Mal. Diesmal war es das Hospital. Da ging es um Blutkonserven, die für die Patienten gebraucht wurden, die in der vergangenen Nacht mit schweren Verletzungen gebracht worden waren. Bei dem einen wurde das Bein amputiert, bei dem anderen wurden die Milz und vier Finger der rechten Hand entfernt. Die Konserven waren in Windhoek vorrätig und konnten geholt werden. Für die Tagesfahrt von hin und zurück eintausendfünfhundert Kilometern musste der Fahrer mit einem offiziellen Schreiben der höchsten


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